20er saarlandAuf die Schnelle: Gute Kulturliteratur, gebraucht, Teil 82

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es geht einmal um Kulturgeschichte und ein andermal um einen Roman, der in den Zwanzigern spielt, wobei uns dabei aber der kulturgeschichtlich sehr gut ausgearbeitete Teil wichtig ist, denn für uns kann es gar nicht genug Kulturgeschichtliches geben. Deutschland war in der Analyse von Geschichte und Kultur einst führend. Heute nicht.


Die 20er Jahre. Leben zwischenTradition und Moderne im Internationalen Saargebiet (1920-1935), Band zur gleichnamigen Ausstellung

Natürlich hatte das Historische Museum Saar einen Anlaß, warum gerade 2020 diese Ausstellung gezeigt wurde, die dann, wie alle Museen heftig von den Coronaschließungen beeinträchtigt wurde. Um so wichtiger, zu transportieren, daß Kataloge oder Begleitbände uns das Gezeigte bewahren, was ja bei kulturgeschichtlichen Themen besonders sinnvoll ist. Besagter Anlaß war, daß vor hundert Jahren, am 10. Januar 1920, das Saargebiet erstmals eine eigene politische Einheit bildete, die dann zwar zwischen Frankreich und Deutschland strittig, für 15 Jahre durch den Versailler Vertrag vom Deutschen Reich unter Verwaltung des neu entstandenen Völkerbundes abgetrennt blieb, aber als Saarkohlenrevier mitsamt den Bergleuten seit damals beisammen blieb.

Da hätte ich gerne eine Statistik, wieviele Bundesbürger, eben auch aus dem Osten, überhaupt je im Saarland waren. Meiner Einschätzung nach gehört es zu den am wenigsten frequentierten deutschen Landschaften und ich selbst komme dort nur wegen der Ausstellungen hin, wobei vor allem die Völklinger Hütte ein internationales Publikum anzieht. Dies ist ein 1873 gegründetes ehemaliges Eisenwerk in der saarländischen Stadt Völklingen. Es wurde 1986 stillgelegt und 1994 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt und hat eine ganz besondere Atmosphäre.

Natürlich denkt man bei 20er Jahren sofort an Berlin, Paris, Wien und auch wenn der Aufbruch an der Saar nicht ganz so spektakulär wie in diesen Hauptstädten war, sieht man den 70 Ausstellungsstücken doch die neue Welt an, die noch versuchte, technische Neuerungen mit neuen Formen zu verbinden: toll der Rundfunkempfänger von 1926/17, die Motorräder mit den Männern und Frauen in Motorradkluft. Zum Schreien komisch das Foto der vier fastnachtverkleideten Frauen, drei in Trachtenhosen bis vors Knie, drei rauchend, eben typisch: die 20er!

Die Geschichte des Gebietes ist ja vor dem Vertrag die allgemein deutsche. Und so wird auf den Versailler Vertrag genauso eingegangen wie auf den Spartakusaufstand, wobei im Text Zusammenfassungen sowohl auf Englisch wie Französisch abgedruckt sind. Den Jahren 1918-1920 gilt die Aufmerksamkeit wie auch den nächsten Jahren, wo ja eine völlig neue formale und inhaltliche Gestaltung in Gang gesetzt werden mußte. Im Detail wird die Zusammensetzung der ersten Regierungskommission formal, aber auch für uns erklärend vorgestellt, Geschichte zum Mitlernen. Schon komisch für uns Heutige, wie allein Männer die Geschichte bestimmten! Darum sind eben Fotos so wichtig, wie staatstragend sie dasitzen, diese besseren Herren, denn das wäre einem sonst ja gar nicht aufgefallen, diese Männerelite, ganz ohne Frauen.

Aber nicht nur die Spitzen der Regierung werden durchleuchtet, die Bevölkerung wird in den Formationen vorgestellt, die als Basis gesellschaftlicher politischer Beteiligung unabdingbar sind: Parteien, politische Kultur und Vereine. Dieser Beitrag hat mich besonders interessiert, weil ja in diesen Bereichen der entscheidende Unterschied zum Kaiserreich herrschte. Das gilt im nächsten Kapitel auch für die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung im Saargebiet. Auch der Kohle steht ein eigener Beitrag zu.

Höchste Zeit, auf das hinzuweisen, was einfach für jeden Leser Glück bedeutet: die großformatigen Fotos im Band. Natürlich schwarz-weiß. Und zahlreich auch. Ganz wichtig!

Der zweite Teil ist dann ein spannender Ritt durch die Schönen Künste der Zeit. Die Fotografie feiert nicht nur die Menschen, sondern auch die Architektur der Neuen Zeit. Der Umbruch nach dem 1. Weltkrieg war ja viel fundamentaler als nach dem zweiten. In jeder Hinsicht. Auch in der Mode, die natürlich, wenn es um die Zwanziger geht, einen eigenen Stil gebiert. Die Wanderbewegung und die Tanzsucht , Kino und Film, Theater, Musik, Literatur – alles kommt vor, in eigenen Kapiteln, wobei dann dem Expressionismus, Surrealismus, Dadaismus noch eine eigene Abteilung gewidmet wird.

Sehr überzeugend.


diamentanmadchenDAS DIAMANTEN MÄDCHEN von Ewald Arentz

Tatsächlich paßt dieser Roman, der ein historischer Roman, wie ein Krimi, eine Liebes- und Gesellschaftsgeschichte in einem ist und einen dazu noch über Diamanten aufklärt, sehr gut als Ergänzung zum obigen Katalog, weil einfach das Lebensgefühl der Menschen der Zwanziger vom Autor sehr gut eingefangen wird. Der Diamaensntenschleifer Paul van der Laan erhält von der Regierung einen geheimen Auftrag, er soll Rohdiamanten schleifen. Hintergrund ist die Geldnot der Reichsregierung angesichts der Reparationsforderungen der Alliierten, die diese dann geschliffenen Diamenaten, die sehr viel werrvoller sind als die Rohdiamanten auf dem internationalen Markt verdeckt verkaufen wollen. Den Kontakt hergestellt hat van der Laans Jugendfreudin Lilli Kornfeld, eine junge Journalistin der Berliner Illustrirten, die vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Carl von Schubert, darum gebeten wurde.

Zur gleichen Zeit kommt ein Schwarzer zu Tode. Mord. Auf dem Balkon des Theaters am Nollendorfplatz. Neben ihm liegt ein Rohdiamant! Da sind jetzt die Berliner Kommissare Schambacher und Togotzes zuständig. Die pflegen miteinander das echte schnoddrige Berliner Idiom wie überhaupt der Autor viel Wert auf die jeweils passende Sprache legt, was ihn gegenüber herkömmlichen historischen Romanen auszeichnet.

Ewald Arenz zeigt in Rückblenden das wilhelminische Berlin, wo im Kaiserreich nach außen die Welt sehr gutbürgerlich in Ordnung schien, und das flirrende, nervöse, vergnügungssüchtie Berlin, wo Politik, Geschäft und Verbrechen sehr viel verschränkter waren als je.

Ehrlich gesagt, war ich verblüfft, wie korrekt die Zwanziger Jahre eingefangen sind, ohne zu belehren, ohne zu banalisieren.


Fotos:
Umschlag

Info:
Die 20er Jahre. Leben zwischenTradition und Moderne im Internationalen Saargebeit (1920-1935), Begleitband zur Ausstellung im Historischen Museum Saar (18. Oktober 2019 – 30. August 2020), Michael Imhof Verlag 2020
ISBN 978 3 7319 0931 6

Ewald Arentz, Das Diamanten Mädchen, Ars Videndi Verlag, Neuauflage 2019
ISBN 978 3 7472 0043 8