Von Reise-Erfahrungen in Afrika und in Europa

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – In Mosambik war es, dass ich erstmals persönlich erfuhr, wie es schwarzen Menschen in meiner alten Heimat, in der DDR, ergangen war. Dort, in meinem Geburtsort, 47 Kilometer von Dresden entfernt, hatte ich bis zu meinem 14. Lebensjahr von schwarzen Menschen nur aus Büchern erfahren, von Mark Twain, von Jack London, von B. Traven und natürlich von Karl May.
Ein paar Fremde im Dorf hatten eine dunklere Hautfarbe, einer hatte mir erlaubt, ihm zu helfen bei der Einrichtung einer provisorischen Werkstatt in einem heruntergekommenen Haus im Zentrum des Dorfes. Er war Schuster, und er kam aus dem Lager rumänischer Flüchtlinge, die es gelernt hatten, besser unter sich zu bleiben – am Rande unseres Dorfes.

Wir hatten sonst nur noch Fremde, die uniformiert waren, im Russenlager – ebenfalls außerhalb des Dorfes – durchaus beliebt als Musikanten, Chorsänger und Kasatschok-Tänzer anlässlich politischer Festlichkeiten – und als heimliche Wodka- und Machorka-Gönner bei offiziellen Pionier-Besuchen in ihrem Lager.

Wir hatten im Dorf keine „Gäste aus afrikanischen Bruder-Parteien“, die das „solidarische Angebot“ hätten wahrnehmen können, zu studieren oder einen technischen Beruf zu erlernen.

In der mosambikanischen Hafenstadt Beira trafen wir ein paar von ihnen, den ersten zufällig. Aus Simbabwe kommend, waren wir spät abends auf der Suche nach einer Adresse. Der Nachtwächter, der uns half, sprach plötzlich Deutsch. Er hatte in der DDR seinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht und in einer Großweberei gearbeitet. Und jetzt als Nachtwächter?

Er wies uns den Weg zu eine Bar, die ein Kollege versuchte, in Betrieb zu kriegen, auch er ohne Geld. Wir erfuhren: Tausende Menschen waren als Vertragsarbeiter aus Afrika in die DDR gekommen. Nach dem Mauerfall mussten sie zurück in eine unbekannte Heimat. Bis zu 60 Prozent ihres Lohns waren einbehalten worden. Es werde auf ein Konto in der Heimat überwiesen, hieß es. Damit wollten sie nach ihrer Rückkehr ein neues Leben aufbauen. Das Geld war bitter nötig: Der Bürgerkrieg in Mosambik endete 1992, mehr als eine Million Menschen waren ums Leben gekommen, die Wirtschaft lag am Boden. Doch das Geld war entweder nie überwiesen, oder von der DDR als Ausgleich für mosambikanische Staatsschulden zurückbehalten worden.

Günter Nooke, der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, sagte 2019 dem ZDF: "Für das, was in Mosambik falsch gelaufen ist oder auch politisch bewusst vielleicht anders entschieden wurde, dafür kann nicht die Bundesregierung einspringen."

Afrikaner in Europa! Ein junger Afrikaner machte sich auf den Weg, um herauszufinden, was das heute für schwarze Menschen bedeutet, egal ob gerade erst über das Mittelmeer gekommen, ob hier schon vor zwei Generationen geboren, ob Star auf Bühne oder im Fernsehen, oder sogar als Arzt in einem Krankenhaus oder als Priester in einer katholischen Kirche, die ihren Nachwuchs jetzt aus Afrika holen muss.

Ich begann mich durch die Ausgabe von Johny Pitts bei Penguin erschienenes Buch zu arbeiten, das im Original den Titel trägt "AFROPEAN – Notes from Black Europe".

Aufgewachsen im britischen Sheffield, mit dem Namen eines bekannten US-amerikanischen schwarzen Musikers als Vater und der Tochter eines weißen britischen Stahlarbeiters als Mutter, schreibt Pitts in der Einleitung: "I was born black, working class and northern in Margret Thatcher's Britain."

Das muss jetzt alles nicht mehr übersetzt werden, das können Sie – das sollten Sie selber in der deutschen Ausgabe lesen. Und Sie werden mehr von dem Buch hören, wenn es im Sommer den Leipziger Buchpreis erhält.

Johny Pitts, der Schriftsteller und Fotograf, ließ sich die Reise von niemandem finanzieren. Er reiste mit wenig Geld in der Tasche, und so machte er Bekanntschaft mit schwarzen Menschen, die eben nicht im Scheinwerferlicht stehen, weder in Paris, noch in Paris, in Brüssel, Amsterdam, Berlin, oder in Moskau ...

Dort war ich gerade mit meiner Lektüre angekommen, als ich lernen musste: Meine schulische Bildung hatte mir in der DDR die Grundlage für das Verständnis russischer Dichtung beigebracht, die Vorliebe zum Beispiel für in russischer Sprache vorgetragene Gedichte Alexander Puschkins, aber sie hatte ein schwarzes Element ausgeblendet!

Johny Pitts ist auf der Zugfahrt nach Moskau ins Gespräch gekommen mit einer weißen Studentin. Er erhält viele Tipps für seinen Moskau-Aufenthalt. Bevor sie sich vor dem Bahnhof trennen, sagt sie zu ihm: „Es ist so dumm von mir, aber ich muss es sagen. Du siehst aus wie einer von Russlands größten nationalen Helden!“

Und dann macht Johny Pitts ein Foto von der Statue dieses Mannes, zu sehen auf der folgenden Buchseite. Dieser hat einen Haarschopf wie er selbst. Und auf farbigen Bildern werden wir ihn dunkelhäutig finden. Sein Name: Alexander Puschkin!

Warum verschwiegen mir seinerzeit meine Lehrer in der DDR die Herkunft Puschkins? Weil es in Russland – wie ich jetzt bei Johny Pitts lerne – eine Zeit gab, in der schwarze Menschen, jedenfalls bei Hofe, ein hohes Ansehen genossen? Als Alexander Puschkin 1799 in Moskau geboren wurde, war sein Urgroßvater mütterlicherseits Abraham Petrowitsch Hannibal (russisch ausgesprochen: Ganibal), ursprünglich ein afrikanischer Sklave, der dem Zaren Peter dem Großen geschenkt, dessen Patenkind wurde und später bis zum Generalmajor und Gouverneur von Estland aufstieg.

Es sind nicht bloß solche Fundstücke, die es angeraten sein lassen, sich mit Johny Pitts auf eine Reise in die wunderbare Vielfalt Europas zu begeben.






Afropäisch: Eine Reise durch das schwarze Europa
von Johny Pitts und Helmut Dierlamm 
Suhkamp-Verlag, ISBN 3518429418
Ausgezeichnet mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung









FOTO:

© Suhrkamp-Verlag, Moscow Tourist

INFO:
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