Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 88
Felicitas Schubert
München (Weltexpresso) – Eine bunte Mischung aus Lebensberatung, witzigen Übungen, wobei allein der Begriff ANLEITUNG für immer mit dem genialen Buch ANLEITUNG ZUM UNGLÜCKLICH SEIN verknüpft sein wird, aber ein Paul Watzlawick (1921-2007) ist heute leider nicht mehr zu haben. Und das dritte Buch fällt heraus und ist das stärkste, weil dieser kleine Junge, der immer nur – wie viele Journalisten – vom wir spricht, keine Anleitung braucht, um sich mit seiner Phantasie die dollsten Welten erschafft.
ANLEITUNG ZUM UNSCHULDIGSEIN. Das Übungsbuch für ein schlechtes Gewissen von Florian Illies
23 Übungen sollen das schlechte Gewissen erleichtern. Dazu kommen wir gleich. Da spricht dieser Autor, der sich gerne als Lautsprecher seiner Generation spöttisch über diese ausläßt, nun über Sachverhalte, die man für lächerlich halten kann, es auch oft sind, wo aber auf einer Ebene etwas verhandelt wird, was ganz woanders hingehört und wozu der Autor kein Wort verliert, weil er es nicht versteht, vermute ich mal.
Es geht um ein gewisses Verliebtsein im Schuldsein, das viele unserer Mitbürger empfinden oder das sie anderen als Nichtfühlen dieses Schuldseins vorhalten. Es beginnt mit Mülltrennung, wobei der ‚Witz‘ an der Sache ist, daß hier 23 Vorgaben sind, wie man sich schuldig/unschuldig machen kann: 1. HEUTE TRENNE ICH DEN MÜLL NICHT und was daraus wird. Ich fand das alles mäßig witzig.
Mir geht es aber um etwas anderes. Es stimmt ja, daß die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg besonders leicht zu schlechtem Gewissen neigen und auch den anderen gerne eins oktroyieren. Aber wie kann man diese Wirklichkeit lustig ausschöpfen, ohne sich auch nur einen Gedanken über den Grund zu machen. Dazu ist ja die Psychoanalyse da, sich über wahrnehmbares Verhalten Gedanken zu machen und auch gesellschaftliche Verdrängungen zu erkennen. Und da gibt es die besten Gründe, in dem kleinen häufigen schlechten Gewissen der Bundesdeutschen, die Folgen zu sehen, weil das große schlechte Gewissen der Reichsdeutschen unter den Nazis,die wie im Flug zu Bundesbürgern wurde, nie richtig aufgearbeitet, bedauert und somit Thema in jeder, aber auch jeder Familie war. Da ärgert man sich über so harmloses Zeugs und kann nicht mehr lachen.
ZEIT als Lebenskunst von Olaf Georg Klein
Es ist interessant, dies Buch heute wieder zu lesen, das, als es herauskam, 2007/2010 auf eine Gesellschaft ohne Zeit stieß. Die vorgeschlagene Verlangsamung unseres Lebens, die Entschleunigung, ist ja ungewollt durch die Corona-Pandemie eingetreten. Nur kann man mit der gewonnenen Zeit nicht das anstellen, was manche wollen.
Wir halten uns da raus, wir können mit der gewonnenen Zeit, die für unsereinen eintritt durch den Ausfall aller Pressekonferenzen, Filme, Ausstellungen, Konzerte, Theater und Oper... sehr viel anfangen. Endlich Zeit zu lesen, zum Beispiel. Endlich Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Von daher haben die gründlichen Bemühungen des Autors, der die Zeit in viele Zeitbegriffe unterteilt und viele Worte und klassischen Zitate bringt, doch etwas Müdes, denn natürlich ist die Zeit etwas, die – das sieht man in Zeiten von Corona – gesellschaftlich determiniert wird, wo gegen sich jeder wehren muß. Andererseits ist Zeit nicht von vorneherein ein anstrebenswertes Ziel beispielsweise für die Menschen, die mit ihr nichts Vernünftiges anfangen können. Also viele Worte für einen Sachverhalt, den man nicht ohne die jeweiligen Menschen diskutieren kann, nämlich welche Chancen Zeit für Dauerarbeitslose beispielsweise hat. Es fehlt dem Buch einfach das soziale Verhaftetsein.
TRICERATOPS von Stephan Roiss
Nach solchen Überfliegbüchern wird einem geradezu warm dabei, für diesen Roman, ein Debüt, zu werben. Eine ungewöhnliche, anrührende Geschichte, nicht alltäglich dazu. Man wünscht dem kleinen Jungen, dem namenlosen Wir-Erzähler dauernd Stabilität und auch sonst alles Gute, denn er hat es schwer, sehr schwer.
Er lebt in einer kranken und krankmachenden Umgebung, die auch Erwachsene kaum überleben: Mutter aus gutem Grund in der Psychiatrie, der Vater ist kein Priester geworden, verhält sich aber bibeltreu, von der Schwester kann er nichts erwarten. Wie verhält sich ein Kind, das alles merkt, aber die Situation doch nicht rational durchschaut, aber durch Verhalten reagiert. Das Wir, das er für sich verwendet, ist ein starker Einfall des Autors, man kann es gar nicht anders als interpretieren, daß er sich damit verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht, auf jeden Fall nicht mehr alleine ist. Das Wunderbare an diesem Einfall ist, daß es die Sprache ist, die stark macht. Und daß ein kleiner Junge ohne Germanistikstudium drauf gekommen ist!
Fotos:
© Cover
Info:
Florian Illies, Anleitung zum Unschuldigsein. Das Übungsbuch für ein schlechtes Gewissen, Fischer Taschenbuch 15696, 2002
ISBN 3 596 15696 3
Olaf Georg Klein, ZEIT als Lebenskunst, Verlag Klaus Wagenbach 2010
ISBN 978 3 8031 2632 0
Stephan Roiss, Triceratops, Kremayr & Scheriau, 2020
ISBN 978 3 218 01229 4