erziehen ohne religionAuf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 89

Hede Franzke

Kassel (Weltexpresso) – Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß Bücher über Erziehung, selbst die über Schule, aber nicht die über Pädagogik, vor allem von Frauen verfaßt sind? Der Unterschied liegt darin, daß die Pädagogik als an der Universität gelehrte Wissenschaft (noch) stark von Männern vertreten wird, die Beratung in Erziehungsfragen aber eher Frauen zugetraut wird, die sie im übrigen bis heute auch stärker in der Praxis ausüben.

ERZIEHEN OHNE RELIGION. Argumente und Anregungen für Eltern von Ulrike von Chossy und Michael Bauer

Die Ausgangsfrage ist interessant: wie macht man das? Ohne Religion erziehen? Da wäre zuvörderst wichtig, selbst zu verstehen und in diesem Sinne auch zu erziehen, daß das Christentum, das die Religion der überwiegenden Mehrheit in Deutschland wie auch Europa nicht nur eine Religion ist, sondern über zwei Jahrtausend unsere Kultur zu dem geformt hat, wie sie ist. Angefangen von der Kunst, die sich überhaupt erst in der Verherrlichung Gottes entwickelte wie die Entstehung unserer Musik in kirchlichem Zusammenhang und erst die Literatur!

Das soll heißen, man kann das kulturelle Erbe nicht erleben, nicht verstehen, ohne die Kenntnisse der Heiligen etc. Das gilt entsprechend für die zahlreichen christlichen Mythen. Aber das ist nur das eine. Das andere ist unsere Moral, die sich an den zehn Geboten des Moses entlanghangelt. Jeder von uns, der sich als nicht christlich, nicht religiös oder sogar als Atheist bezeichnet, tut dies auf dem Hintergrund der überlieferten Moral, die zudem in Gesetzen festgeschrieben ist. Das gilt natürlich nicht für die Gebote gegenüber dem christlichen Gott (wobei ‚Gotteslästerung‘ eine Besonderheit darstellt) , und auch die folgenden Gebote sind zwar nach wie vor moralisch verwerflich, aber werden nicht (mehr) bestraft: .

- Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt!
- Du sollst nicht ehebrechen!
- Du sollst nicht begehren das Haus deines Nächsten! Du sollst nicht begehren die Frau deines Nächsten, noch seinen Knecht, noch seine Magd, noch sein Rind, noch seinen    Esel, noch irgendetwas, das dein Nächster...


Man kann sogar sagen, daß Letzteres nicht nur nicht verboten, sondern als Antriebskraft für den Kapitalismus durch diesen sogar gefördert wird!

Aber diese Gebote gelten bis heute und werden staatlicherseits sanktioniert:

- Du sollst nicht töten!
- Du sollst nicht stehlen!
- Du sollst kein falsches Zeugnis reden gegen deinen Nächsten!

An keinen Gott zu glauben oder sogar überzeugt zu sein, daß es keinen Gott gibt, kann jeder in einer säkularisierten Welt erlauben, kann es einfach tun. Aber er muß gewiß sein, daß er besser um die kulturellen Hintergründe weiß.

Das mußte gesagt sein, denn jetzt wird das Buch erst richtig spannend. Wie macht man das Erziehen ohne Religion?

In der Einleitung wird erst einmal stärker auf rechtliche Belange eingegangen. Dann geht es los mit „Religionsfrei ist nicht ‚nichts“. Aber solche dickgedruckten Aussagen wie: „Religionsfreie Erziehung ermöglicht eine Erziehung zum selbstbestimmten Leben“. Das klingt doch sehr abstrakt, ja formal. Und auch „zwei Botschaften“ wundern einen, weil ja der Begriff ‚Botschaft‘ wie auch Verkündigung direkt aus dem christlichen Bereich kommt. Diese zwei Botschaften sind:

Die erste ist, daß religionsfreie Menschen mit ihren Bedürfnissen nicht alleine sind. Als Begründung dient eine Statistik aus dem Jahr 2012, dernach in Deutschland 40 Prozent der Bevölkerung keiner Religion angehören.

Die zweite, daß Menschen, die ihr Leben ohne religiöse Bezüge führen, sind nicht „nichts“ - Das hatten wir doch schon?


Als nächstes kommt die Begriffsklärung: Atheismus, Agnostizismus und Humanismus, die wir als bekannt voraussetzen.

Es folgen entwicklungspsychologische Grundlagen der Moralentwicklung. Ab jetzt interessiert es uns. Aber mit „Religionsfreien wird oft eine Moral abgesprochen“, fühlen wir uns doch verschaukelt. Und auch das Folgende umgeht jegliche Konkretion. Es wird auf die Stufen der moralischen Entwicklung nach Piaget verwiesen, ehrlich gesagt, ein alter und nicht mehr anerkannter Hut, der von Lawrence Kohlberg weiterentwickelt wurde. Und dann kommen völlig unsinnige, für Eltern abwegige Fragestellungen von einem gewissen ‚Heinz-Dilemma‘, ob nämlich jemand, der für die kranke Ehefrau die dringend benötigte Medizin stehlen darf? Was hat denn das mit der kleinen Kind auf dem Titel und dem Begriff ERZIEHEN zu tun?

Jetzt kommt Moral und Gehirn, wo behauptet wird,daß wir mit der Anlage zu moralischem Verhalten geboren werden. Aber was heißt Anlage, denn im folgenden klingt es so, daß sich moralisches Verhalten von alleine entwickle und zudem in allen Kulturen übereinstimmen: „Fairness, Rücksicht, Mitgefühl, Scham, Schuld“.

Im nächsten Kapitel heißt es: „Argumentationshilfen für eine religionsfreie Erziehung“. Aber das war doch die Ausgangsfrage und Situation. Inzwischen bin ich ärgerlich, denn auf viel Platz wird in bunter Schrift mit Riesenbuchstaben und einem herzigen Kindchen mit Augenaufschlag das weiter ausgeführt, was nicht interessiert, weil man ja wissen will, wie die religionsfreie Erziehung aussieht und nicht lange noch Begründungen dafür lesen will.

Nein, es wird nicht besser. Unaufhörlich werden Überbauphänomene beschrieben, auch der Ethikunterricht in der Schule erfaßt, etc.

Habe ich das Ganze falsch verstanden? Na gut, da steht Argumente für Eltern, aber es steht dort auch Anregungen für Eltern, da darf man doch erwarten, daß auch Vorschläge zur Erziehung kommen, wenn der Titel heißt: ERZIEHEN OHNE RELIGION.

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Info:
Ulrike von Chossy, Michael Bauer, Erziehen ohne Religion. Argumente und Anregungen für Eltern, Ernst Reinhardt Verlag 2013
ISBN 978 3 497 02367 7