Eine doppelte Lesung von Ulrich Tukurs DIE SPIELUHR: im Literaturhaus Frankfurt und als Hörbuch, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Beim Vortragen im Literaturhaus gibt Ulrich Tukur den Zuhörern zusätzliche Informationen, wo die Handlung gerade spielt und wer das Sagen hat. Diese kurzen Hinweise klingen wie Regieanweisungen. Dabei fällt einem erst recht auf, wie bilderreich sein Text ist, in dem es zudem andauernd um Bilder geht. Das legt ja schon der Film über die Malerin SÉRAPHINE und den Kunsthändler Wilhelm fest.
Wir hören den von Ulrich Tukur gemalten und gesprochenen Bildern zu: Jetzt kommt Schloß Montrague – wir befinden uns am Rand der Picardie in einem endlosen Wald - ins Spiel, in dem leuchtende Gemälde hängen, die lebendig werden, in die aber auch Lebende verschwinden können. Dieses Schloß wird erst dem Assistenten Jean Luc, der nach Paris geschickt wurde, zum Verhängnis. Aber was heißt schon Verhängnis und wie schlimm ist es, sich im Baum zu erhängen, wenn dieser Jean Luc dafür das Himmelreich auf Erden sah: die Schöne am Klavier, nach der er sich immer sehnen wird. Nein, es spukt nicht in diesem Schloß einer zweiten Wirklichkeit, das unsichtbar bleibt, als die Filmmannschaft es aufsuchen will, um das von Jean Luc gefundene ideale Zimmer für die Filmfigur der Séraphine zu nutzen.
Das Schloß taucht aber wieder auf aus dem Nebel und diesmal in tief winterlicher Landschaft, als Schauspieler Ulrich Tukur mit dem Abschiedsbrief des Jean Luc in der Hand dessen Wegen folgt. Wieso er sich nach unglaublichen Erlebnissen im Schloß aus diesem in letzter Sekunde retten kann, zurück nach Paris findet und seinen Rückflug nach Deutschland antritt, ist genauso spannend wie die Tatsache, daß der erst leere Briefbogen des Jean Luc auf einmal dicht beschrieben ist. Wir erleben beim Hören, daß diese Novelle mit ihren unterschiedlichen Zeiten und Wirklichkeiten schon selbst wieder wie ein Film im Film agiert. Und noch stärker als beim Selberlesen machen die Lesung im Literaturhaus und die des Hörbuchs klar: die als „nach einer wahren Begebenheit“ ausgewiesene Erzählung stimmt! Denn das Leben ist vielschichtiger als es menschliche Vernunft erklären will und Ulrich Tukur ist dafür ein Garant!
Schon bei der Lesung im Literaturhaus gefiel der Schauspieler und Autor durch die Präsenz seines Auftritts, durch die Wachheit, mit der auf das Publikum, an jedes Räuspern, ja, ja, auch auf das Zuspätkommen oder die Außengeräusche, die nach innen dringen, reagiert, gleichsam als Bühne für seine interpretierende Lesung nutzte und zwar derart, daß er sie in die Handlungsabfolge einbindet, was regelrecht zu einem Einpersonentheaterstück wird.
Uns fielen beim Hören der von ihm besprochenen CDs sowohl die Unterschiede beim Vortrag wie auch Gemeinsamkeiten auf. Seine Stimme ist außerordentlich modulationsfähig. Eigentlich ist sie eher hell, aber kann so dringlich schneidend werden, daß man Reißaus nehmen möchte und wird dann beim Beschreiben der Liebesgefühle des Jean Luc zart und sehnsüchtig. Er spricht immer recht schnell, aber das geht nicht zu Lasten des Textes, sondern wirkt wie ein Ausdruck des den Autor überraschenden Geschehens.
Wir erkundigten uns bei Ines Hansla, Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Hörbuch Hamburg, ob Sie bei den Aufnahmen zum Hörbuch dabei war. Und ob: "Es war beeindruckend zu hören und auch zu sehen mit wie viel Energie und Körpereinsatz Ulrich Tukur seinen Text ins Mikrofon sprach. Er spielte, gestikulierte, er inszenierte seinen anspruchsvollen Text, wiederholte Absätze und nuancierte immer wieder einzelne Sätze bis sie perfekt waren - und er mit seiner Leistung zufrieden.“, meinte sie.
Und fuhr fort: „Ganz persönlich kann ich sagen, dass sich mir "Die Spieluhr" als Text erst durch die Lesung von Ulrich Tukur vollkommen erschlossen hat, da er es exzellent schafft den Zuhörer durch alle Zeiten und Räume zu geleiten."
Das haben wir genauso empfunden. Ach so, was wir hätten fragen wollen nach der Lesung im Literaturhaus? Zweierlei. Ob und wodurch sich Lesungen unterscheiden. Denn leider ist der heutige Abend im Literaturhaus der Abschluß der elfteiligen Lesereise, so daß wir die Veranstaltung nicht für das nächste Mal rühmen können, sondern nur Buch und Hörbuch anempfehlen. Wir hätten gerne gewußt, ob und wodurch sich z.B. eine Lesung im St. Pauli Theater in Hamburg von der im Literaturhaus unterscheidet. Wobei für Frankfurt gilt, daß dies die dritte Lesung DIE SPIELUHR ist. Denn schon am 10. und 11. Oktober trat Ulrich Tukur anläßlich der Buchmesse auf. Und dreimal volles Haus! Wir sind sicher: das gälte auch für ein viertes Mal.
Foto: Hörbuch Hamburg
INFO I:
Hinten im Buch ist die Buchanzeige: Ulrich Tukur, Die Seerose im Speisesaal. Venezianische Geschichten. Die zu lesen werden wir nachholen. Tukur steht in sehr ehrenwerter Gesellschaft. Denn die Seite weiter wird DIE WAND annonciert, jener hinreißender und tief berührender Roman der oberösterreichischen Hausfrau, die als Schriftstellerin erst nach ihrem Tod reüssierte. Dieser eigentlich unverfilmbare Roman wird durch die Schauspielkunst der Martina Gedeck auch zu einem überzeugenden Film: DIE WAND. Und dabei fällt uns ein, daß Ulrich Tukur, der ja auch als Felix Murot ein hessischer, ein Wiesbadener Tatortkommissar ist, DEN TATORT: WIE EINST LILLY mit Martina Gedeck spielte. Es gibt wirklich keine Zufälle.
INFO II:
Ulrich Tukur, Die Spieluhr. Eine Novelle nach einer wahren Begebenheit, Ullstein Verlag
Ulrich Tukur liest: Die Spieluhr, ungekürzte Autorenlesung, 3 CDs, Laufzeit 225 Minuten, Hörbuch Hamburg
Erste Buchbesprechung:.
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Lesung, Erster Teil
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Lesung, Zweiter Teil
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