udoraddatzAuf die Schnelle: Gute Memoirenliteratur, gebraucht, Teil 96

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ziemlich abwegig, diese beiden Personen, die das alte Westdeutschland auf ganz eigene Weise symbolisieren, mit ihren eigenen Lebensbeschreibungen in einen Artikel zu zwingen – und doch und doch gibt es da etwas, was wir erst einmal mit Hamburg beim Namen nennen, wobei der Lebenslustige aus dem katholischen Westfalen kommt und der streitbare Intellektuelle aus dem weltläufigen Berlin. Aber beide haben über 50 Jahre in Hamburg gewohnt, 55 Jahre Raddatz (1931) bei seinem Freitod in der Schweiz 2015 und Lindenberg (1946) bis heute schon 53!

UDO von Udo Lindenberg mit Thomas Hüetlin

Und bevor wir uns auf UDO einlassen, noch eine Gemeinsamkeit der beiden. Sie sind Personen, an denen sich die Geschmäcker scheiden, die mehr als andere polarisieren. Teils infolge ihrer Werke, aber eben auch mächtig durch die eigene Person. Ich vermute mal, daß UDO eine sehr viel höhere Auflage erreichte, bin aber sicher, daß Raddatz nicht nur das interessantere Buch ist, das über die Zeit, über Erziehung, über die schwarz-braunen Hintergründe erzählt, sondern auch sprachlich auf einem anderen Niveau liegt.

Aber, wie gesagt, das interessiert die Fans von UDO überhaupt nicht, die hier geboten bekommen, was sie wissen wollen, daß da ein Überflieger aus seinem Leben eine Party macht, an der andere teilnehmen dürfen. Wer‘s glaubt, ist selber schuld. In sechs Kapiteln wird mit dem Auftakt TOD IN KREUZBERG dann doch linear das Leben erzählt. Und wenn es nicht immer ironisch durchbrochen wäre, wäre es unerträglich. Doch ist es ja gerade der Schalk, sich selbst als Rolle zu präsentieren, die den Leuten gefällt. Dazu gehört eben auch, gleich zu Beginn diese Spaltung zwischen Rolle und wie man darauf reagiert – eigentlich mit Depressionen. Dazu gehört auch, den Zwang zu thematisieren, der den Erfolgreichen drückt, wenn die Entourage ihn immer aufgeputscht sehen will und es letzten Endes nur der reichliche Alkohol ist, der ihn das durchhalten läßt, weil er sich die Fragen nach dem Sinn dann erlaubt, wenn er schon zwei Promille intus hat. Und dann stirbt sein Bruder. Einfach so. Der ältere Bruder, aber erfolglose Maler.

Aber auch Lindenberg hat einen Durchhänger, kurz nach der Jahrtausendwende schreibt er sich den Song DER MILLIONÄR HAT KEINE KOHLE MEHR, was durchaus auch für seine sinkende Beliebtheitskurve gilt. Seine Bank hat sein bisheriges Lebensverdienst von 4 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Alles weg. Da geht es ihm wie vielen. Nur steht er bei seiner Bank auf der Matte und Wochen später ist das Geld wieder aus seinem Konto. Aber auch seine letzte Platte, anspruchsvoll mit Liedern von Nazi-Verfolgten, bringt die Plattenfirma dazu, ihn aus dem Vertrag zu entlassen. Und dann kommt die Kreuzfahrt nicht als Passagier, sondern als auftretender Künstler, und er kommt auch bei denen an, die über ihn die Nase rümpften. Und dann der Mann von der Bank, der ihm die neue Karriere vorbereitet.

Das Buch ist besser als gedacht, dabei kommen die eigentlichen Ereignisse, die seiner Karriere den neuen Schub gaben, erst noch. In der deutschen Musikgeschichte wird er auf jeden Fall als der Rocker überleben, der sich traute in deutscher Sprache zu singen, eine überfällige Renaissance, wenn man daran denkt, daß CONNY UND PETER Ende der 50er mal auf Deutsch den Anfang machten.


EINE ERZIEHUNG IN DEUTSCHLAND, TRILOGIE von Fritz J. Raddatz

Mit der bitteren, harschen, aggressiven Persönlichkeit, mit der Fritz Raddatz im Literaturbetrieb auftrat, hatte ich immer meine Probleme, was sicher mit der Rolle als Mann, die er lebte, zu tun hat. Aber seine journalistischen Beiträge waren in der Regel geschliffen. Und das gilt auch für diese Trilogie, die uns wieder einmal Westdeutschland vorführt, wo sich Sehnsucht entwickelt, diese Kindheiten auch in der DDR literarisch zu erleben. Zwar gibt es solche – sofort fallen mir zwei großartige Beispiele ein: Angelika Klüssendorf mit DAS MÄDCHEN, einem erschütterndem, großartigen Roman, der auf der Sechserliste des Deutschen Buchpreises stand. Und ebenfalls bei der Zwanzigerliste dabei RABENLIEBE von Peter Wawerzinek, beides umwerfende Bücher! Aber sonst: tote Hose. Es gibt nur allerwelts oberflächliche Bücher zu diesem wesentlichen Thema.

Das ist die Westversion von Raddatz nicht, der nicht in der Ichform über sich schreibt, sondern den auktorialen Erzähler über sein Alter-ego- Bernd erzählen läßt und bestens über dessen Gedanken und Gefühle Bescheid weiß, über die Ereignisse sowieso. Köstlich – und wahr! - ist die Geschichte, daß er, ein ausgezeichneter Schüler, Liebling seiner Lehrerin Dr. Ivonne Bärenbach und in sie verliebt, von Westberlin in den Osten geht, wo sein Glück dann auch liegt, allerdings mit deren Ehemann. Nur sind ausgerechnet diese Passagen schwach, der große Liebeserzähler ist er nicht. Darum kann man eindeutig sagen, daß der erste Teil der Trilogie KUHAUGE am stärksten ist, wirklich fesselt, aber schon der zweite Band DER WOLKENTRINKER läßt nach und der dritte DIE ABTREIBUNG läßt einige Fragen offen. Vielleicht wurde, je dichter die Zeit an ihn selber als Verantwortlichen für sein Leben heranreicht, die Reflexion in geschliffener Sprache schwieriger, ja unmöglich.

Fotos:
Cover

Info:
Udo Lindenberg mit Thomas Hüetlin, UDO, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2018
Fritz J. Raddatz, Eine Erziehung in Deutschland, Trilogie, Rowohlt Verlag 2006