Auf die Schnelle: Bestseller-Ratgeberliteratur, gebraucht, Teil 99
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch diesmal werden unterschiedliche Richtungen vorgestellt: neben gesellschaftspolitischen Kolumnen, die im Spiegel mal brillant gewesen sein sollen, kommen uns die absurdesten Erziehungssituationen vor Augen, die lange nachwirken, so daß es Tarzan erst einmal schwer hatte...
How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken von Jan Fleischhauer
Naja, geschliffen finde ich die Kolumnen nicht, so aber wird das Buch wie auf einem Hochglanzprospekt beworben. Nun ist es immer anstrengend, etwas in satirischer Anlage dann gleich über 60 Mal mit unterschiedlicher Thematik zu lesen. Es schleift sich einfach ab und – Papier ist wirklich vergänglich – so manches ist einfach nicht mehr aktuell, da kann man noch so flott formulieren, das ist einfach Schnee von gestern, wie der dritte Beitrag: "Über Bettina Wulff und das therapeutische Sprechen". Dagegen ist die erste Kolumne „Über die sexuelle Veranlagung von Politikern“ sicher publikumsträchtig, egal zu welcher Zeit.
Schauen wir mal bei den Personen nach, die heute aktuell sind: „Über Menschen, die Impfen für Sünde halten“. Da das Buch im Jahr 2020 erschien, verarbeitet er sicher nicht Corona. Aber um den Zeitpunkt herauszufinden, sind ja die Belegstellen da. Pustekuchen. Es gibt keine. Der Leser kann nicht wissen, wann das geschrieben worden ist. Ein Text ist aber immer seiner Zeit verhaftet, darum gehört es seit jeher zum guten journalistischen Brauch, die Daten zu nennen. Hier wird im Buch aber nur bei „Quellennachweis“ notiert: „Die..Kolumnen sind zwischen Juli 2012 uns Juli 2020 unter dem Titel ‚Der Schwarze Kanal‘ zuerst bei ‚Spiegel Online‘ und im ‚Focus‘ erschienen...“. Das ist unfair dem Leser gegenüber. Dabei wollte ich den Verfasser gerade ob seines süffisanten Eintretens für das Impfen loben, auch wenn der selbstgefällige Ton nach dem zehnten Beitrag auf die Nerven geht.
Ich vermutete den Kontext im damals völlig irre diskutierten Impffilm „Eingeimpft“ von David Sieveking aus dem Jahr 2017,der in einem Film die sehr komplizierte Entscheidungsfindung über die Impfung seiner neugeborenen Tochter dokumentiert hat. Kompliziert, weil er, der Vater impfen wollte, aber seine Frau nicht wollte, weshalb er recherchierte, woraus der Film wurde. Ich fand den Film völlig verständlich, er wurde aber von allen Seiten wütend runtergemacht. Doch darum geht es nicht. Aber, wo Fleischhauer die fanatischen Impfgegnerinnen am Berliner Prenzlauer Berg festmacht, gibt es eben auch: „Der eigentliche Kern der Impfkritik ist nicht wissenschaftlich, sondern nur ideologisch zu verstehen. Der Neoobskurantismus der Gegenvirologen geht Hand in Hand mit Kapitalismuskritik, linkem Naturkitsch und einem ökologisch gefärbtem Mutterkult, der alles verdächtigt, was nicht nach Baumwollwindeln, Kirschmolke und Pastinake riecht.“
Wo er Recht hat, hat er Recht, aber so oft konnte ich die Kolumnen nicht abnicken.
SIE MEINTEN‘S HERZLICH GUT. Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern von Jörg Zittlau
Erziehung ist ja nichts, was sich an Zahlen, an statische Vergleiche, an etwas Sachlichem orientiert, sondern ist vom Menschenbild abhängig, das jemanden prägt, von der Weltanschauung und den ethisch-moralischen Grundsätzen. Natürlich gab es zu allen Zeiten sehr unterschiedliche Erziehungsziele, aber gleichzeitig gibt es doch bei allen Unterschieden etwas Gleichbleibendes: ob ich ein Kind als eigenes Wesen respektiere.
Da werden wir im Vorwort gleich mit den schlimmsten Bestrafungen der Vergangenheit konfrontiert, die immer körperliche und seelische Pein bedeuteten. Das ist ein Buch, dessen Inhalt man nicht zusammenfassen kann, weil es um so viele Eltern geht, deren Kinder später berühmt wurden. Obwohl das Oben gesagte auch hier gilt, man nicht alle Berühmtheiten hintereinander lesen mag, gilt aber, daß man jedesmal mit neuem Vergnügen weiterliest, so Abenteuerliches trägt Zittlau zusammen. Echt gut!
HALLO TARZAN! Durch bessere Kommunikation zu einer glücklichen Beziehung von Gigi Thomasek/Birgit Engel
Das Buch in ansprechendem Blau und zudem durch ein ansprechendes Titelbild eines halbnackten Mannes, dem eine Frau durch die Flüstertüte signalisiert, wo es hingeht, trägt einen Titel, bei dem so viele dahinschmelzen, geht es doch um eine glückliche Beziehung, die die Autoren versprechen, wenn man nur besser kommuniziert. Na denn.
Zuerst einmal finden wir ein altes Muster: „Frauen wollen verstanden werden. Männer wollen akzeptiert werden.“ Aha, sofort verstanden, was läuft. Frauen sollen also wieder mal die sein, die den Mann ‚coachen‘, denn wie schon bei Schiller, wenn der Mann hinaus ins feindliche Leben muß, derweil das Frauchen...zu Hause sich überlegt, wie sie seinem Bedürfnis nach Ruhe zu Hause und Akzeptanz seiner Person, egal, wie er sich verhält, entgegenkommt.
Nein danke!
Foto:
Cover
Info:
Jan Fleischhauer, How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken, Siedler Verlag 2020
ISBN 978 3 8275 0140 0
Jörg Zittlau, sie meinten‘s herzlich gut. Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern, List Verlag 2010
ISBN 978 3 471 35054 6
Gigi Thomasek/Birgit Engel, Hallo Tarzan! Durch bessere Kommunikation zu einer glücklichen Beziehun 635054g, Rowohlt Verlag 2004
ISBN 3 8052 07