familienleben tiereMario Ludwig bringt uns Tiere via menschlicher Psychologie, aber artgerecht nahe

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn man mit Haustieren lebt, dann kann man gar nicht anders, als ihr Verhalten auf sich selbst zu beziehen und nach und nach zumindest bei Hunden und Katzen deren Charakter, ihre Psyche, ihr soziales Verhalten den eigenen Arten gegenüber erst zu studieren, dann zu analysieren, schließlich zu bewerten. Man kennt seine Tiere. Das glaubt man zumindest. Wie aber sieht es mit den Tieren aus, die man aus dem Zoo, aus Büchern, vielleicht auch aus dem Fernsehen oder den Tierfilmen kennt?

Das Familienleben der Tiere. Wie sie leben, lieben, streiten von Mario Ludwig

Der Autor, so heißt es auf der Rückseite, „ist Deutschlands Experte für Kurioses im Tierreich“, macht Rundfunk und hat schon zahlreiche Bücher über Tiere verfaßt. Die 175 Seiten sind in 28 Kapitel unterteilt, zeigen die Tiere, um die es wohl geht, in zarten Zeichnungen und haben am Ende sogar für jedes der Kapitel ein Literaturverzeichnis von 3 bis 16 bibliographischen Angaben. Das macht einen soliden Eindruck und ist es auch.

Es ist einfach gut, daß schon der erste Satz Wissen vermittelt: „Im Tierreich gibt es folgende Faustregel: Je mehr Nachkommen eine Tierart hat, desto weniger kümmern sich die Eltern um den Nachwuchs.“ Als extremes Beispiel wird dann das Weibchen des Mondfisches genannt, der wiederum der größte Knochenfisch der Welt ist; das Weibchen legt pro Laichvorgang bis zu 300 Millionen Eier. Das ist sofort einsichtig, daß sich darum keiner kümmern kann und einfach nach der Wahrscheinlichkeit genügend Mondfische heranwachsen. Übrigens werden es in der Regel nur zwei sein, die von den Millionen als erwachsene Fische übrigblieben. Die Natur geht dabei von der Arterhaltung aus, daß mittels Fortpflanzung sich jedes Tier selbst ersetzt.

Demgegenüber bemühen sich die tierischen Eltern von Säugetieren und Vögeln , die nur wenige Nachkommen haben, intensiv um Brutpflege (Bewachung der Eier, Wärme, Suche nach Futter) und Aufzucht (Futter, Wasser, Verhalten). Dabei ist auffällig, daß bis in unsere Zeit die generellen tierischen Väterverhaltensweisen auch den menschlichen Vätern zugeschrieben wurden, nämlich, daß die Mütter die Erziehenden sind, grundsätzlich die, die mit den Kindern zu tun haben, die Väter (Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben...) unterwegs sind und unter Umständen nur das Bestrafen übernehmen. Das dies beim Menschen nicht genetisch bedingt ist, zeigen heutige Vätergenerationen.

Bei den Tieren ist es meist so, daß die Väter zwar Nachkommen zeugen, aber nur selten Familien gründen, meist alleine wieder unterwegs sind und ihre Kinder nicht kennen. Polygam ist die Regel, aber es gibt auch Ausnahmen und sogar schwule (Gier, Flamingos und Störche) und auch alleinerziehende Väter. Die Steigerung sind dann die Seepferdchen, die männlich schwanger werden. Köstlich dann der Harem, wo männliche Strauße sogar zwischen Hauptfrau und Nebenfrauen differenzieren. Und dann die Adoptionen! Das lesen wir mit Rührung in der Zeitung, wenn ein Tier ein Waisenkind ganz anderer Art dennoch aufzieht.

Nachdem die Vielfalt gepriesen ist und eigentlich bei den Tieren alle Möglichkeiten durchgespielt sind, werden nun spezielle Tiere mit ihrem Familienverhalten vorgestellt. Wenn die Überschrift heißt „Familie Musterwolf“, weiß man schon, daß hier gründlich erzogen wird, einschließlich des Begriffs LEITWOLF, der das überkommene dominante Männerverhalten kennzeichnet. Aber – und darum sind solche Bücher für die eigene Erkenntnis hilfreich – das sind Vorurteile, denn Wölfe sind überhaupt nicht so. Nicht, wenn sie in der Natur leben, nur in Gehegen und Zoos nehmen sie solche Hierarchien an! Die Wölfe sind am ehesten den Menschenfamilien ähnlich in ihren Kleinfamilie, einschließlich Monogamie, was ja für die Menschen nicht unbedingt gilt. Die Wolfsfamilien leben dann gemeinsam in Rudeln von maximal 30 Kleinfamilien. Auch falschen Annahmen geht der Autor auf den Grund. Niemals heulen Wölfe den Mond an, sie heulen in der Paarungszeit.

Stimmt. Seit dem Film „Die Reise der Pinguine“ des Antarktisforschers Luc Jacques hat man an diesen Tieren, die nur am Südpol leben, großes Interesse. Daß sie Vögel sind, flugunfähige Vögel, lerne ich nun auch. Auch, daß sie einst fliegen konnten, dies aber verlernt haben, weil sie am Südpol keine Feinde, keine Landraubtiere kennen. Toll. Pinguine sind auch die einzigen Vögel, die im Winter brüten. Schauen Sie den Film an, er ist informativ und herzerwärmend, wenn man Elternliebe im Tierreich kennenlernen will. Und zum Sexualverhalten, unglaublich, das müssen Sie selber nachlesen. Wie überhaupt das ja nur ein Hinweis sein kann, auf ein sehr interessantes Buch, das zwischen Wissenschaft und flüssigen Formulierungen genau die Melange herstellt, die für Menschen, die Interesse an Tieren haben, eine hinreißende Lektüre ist.

Einschließlich all der Falschheiten, die aufgeklärt werden, wie beispielsweise die angeblichen Rabeneltern. Stimmt nicht. Raben sind „Supereltern“, heißt es. Das gibt es übrigens nicht nur im Tierreich, die falschen Bezeichnungen. Rabenmutter hat beispielsweise keine Entsprechung im Französischen.

Foto:
Cover

Info:
Mario Ludwig, Das Familienleben der Tiere. Wie sie leben, lieben, streiten, wbg Theiss 2021
ISBN 978 3 8062 4154 9