Auf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 103
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gibt es die Angst schon vorher, ist sie Motor, um jeden Preis Karriere zu machen oder stellt sie sich ein, wenn man seinen Marktwert einschätzt oder erst dann, wenn einem das Aufgabenfeld und die Erwartungen an einen selbst zu viel werden, überfordern. Auf jeden Fall zeigt uns Nobelpreisträger Alvin E. Roth, wie es zugeht in diesem Raubtierdschungel, zu dem unsere wirtschaftliche Welt geworden ist.
Wahnsinnskarriere. Wie Karrieremacher tricksen, was sie opfern, wie sie aufsteigen von Wolfgang Schur und Günther Weick
Ganz lustig, ein Aufstiegsbuch, ja eine Anleitung von 1999 heute zu lesen, weil sie einem klar macht, daß sich nichts geändert hat, sondern alles nur noch krasser geworden ist. Abgesehen von den derzeitigen Situationen, in denen Corona auch in diesen Kreisen immer wieder Stillstand auslöst. Im Prolog spricht uns ein Trainee an, das nach oben will. Der junge Mann trifft im Zug auf den perfekten Manager, gut aussehend und in allem seriös. Und dann trifft er auf einen, von dem er nicht viel erwartet, der ihn aber zum Reden verleitet, ja zum Rösten, was er für eine Karriere machen wird. Und der spricht ihm seelenruhig von Regel 1: Arbeite nie selbst mit einem Computer, was zum ersten Kapitel führt.
Stimmt das galt einmal, als noch die Sekretärinnen die Bänder abtippten, die der oberen Herren, ‚obere‘ Damen gab es damals noch weniger als heute, wo es wenige sind. Solche Sekretärinnen gibt es zwar auch noch heute. Aber sehr viel weniger, denn es hat sich in den über 20 Jahren seit Erscheinen Entscheidendes verändert. Heute legen auch oberste Manager Hand an den Rechner oder ihr Smart- oder I-Phone. Aber schau‘n wir mal weiter. Da wird also allen Ernstes entschieden der Umgang mit dem Rechner als der Karriere schädlich abgelehnt. Regel 2 heißt: Verlerne absichtlich, was du weißt. Da denkt man erst einmal an eine Satire. Aua, dann wird aus der Tatsache, daß sich Sachwissen ständig ändert, geschlossen, daß man es sich erst einmal gar nicht aneignen soll. Was soll denn das?
Regel 3: Bewege dich im Zentrum der Macht – Sei dort, wo die Musik spielt, und nicht dort, wo gearbeitet wird
Wir lesen das noch brav, aber dann wird das so absurd, daß man dieses Buch nur empfehlen kann, wenn man kräftig lachen will.
Sicher hat das keiner von den Verfassern erwartet, daß jemand im Jahr 2021 ihr Buch noch mal in die Hand nimmt. Warnung!
Wer kriegt was und warum? Bildung, Jobs und Partnerwahl: Wie Märkte funktionieren von Alvin E. Roth
Das ist kein Geschwafel und Getue, sich in die Rolle von Trainees zu versetzen. Das ist, was die Amerikaner einfach gut können, ein Buch, das dem Leser auf unterhaltsame Weise Wichtiges vermittelt. Dabei steht die Wirtschaft für den Wirtschaftswissenschaftler, ja, 2012 hat er den Wirtschaftsnobelpreis bekommen, nicht im Zentrum, denn er ist Spieltheoretiker und da interessieren ihn die Räume, in denen es um den Abgleich von Interessen geht und wie man in solchen Situationen seine Absicht am besten verwirklichen kann. Er nennt das Märkte, alles sind Märkte, wo etwas auszuwählen ist. Da geht er hart zur Sache, wenn er nebeneinander erst ein Chirurgenteam eine Nierentransplantation vorbereiten läßt, und dann am Küchentisch ein Ehepaar sitzt und das Wetter studiert. Das hält man für unverhältnismäßig und wundert sich. Doch die Kenntnis brauchen sie, weil sie gleich in einem Kleinflugzeug eine Niere transportieren werden. Aha. Und dann fällt der Begriff Marktdesign.
Das ist ein Fachbegriff, denn unter Design stellten wir uns eher Mode und den ästhetischen Ausdruck von Sachen vor. Doch Marktdesign beschäftigt sich damit, wie unter der Prämisse zuvor festgelegter Ziele Marktprozesse verlaufen. Ehrlich gesagt, fordert einen das Lesen ganz schön heraus. Aber das wollten wir ja! Neues lernen!
Was am Buch interessant ist, weswegen man auch dranbleibt, ist die Breite der Thematik. Für viele Eltern ist es unüberschaubar, was die verschiedenen Möglichkeiten der! Schulwahl für ihre Kinder bedeuten. Mit Hilfe von Roth finden Eltern die richtige Schule, genauso wie die Nierenkranken den richtigen Spender finden. Nur, wie Eintracht Frankfurt jetzt die ‚Richtigen‘ findet, nämlich den richtigen Trainer und den richtigen Manager, das können wir WER KRIEGT WAS und WARUM nicht entnehmen. Mal Herrn Alvin E. Roth fragen.
Gesellschaft in Angst. Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit von Johann Strasser
Stimmt, SICHERHEIT ist ein Wahn der Zeit. Ein Begriff, der sich unter der Hand sehr in unser Bewußtsein geschlichen hat. Seit wann eigentlich. Spätestens seit dem 11. September 2001, denkt man sich, aber es geht um sehr viel mehr.
Johano Strasser geht der Angst nach, die letzten Endes eine Grundkomponente menschlichen Lebens ist, die aber in bestimmten Zeiten eine Dominanz erhält, und genau darum geht es ihm. Wenn man sich an die Anfänge Westdeutschlands erinnert, dann kommt einem der Wahlkampf der CDU unter Adenauer in den Sinn, bei dem es 1957 auf den Plakaten hieß: „Keine Experimente“. Dabei muß man in allen Lebenssituationen immer auch Experimente wagen, die ja nicht von sich aus schlecht sind, sondern die der Erkenntnis dienen. Es ist also eine geisttötende Angelegenheit, grundsätzlich Experimente auszuschließen. Man weiß aber, wes Geistes Kind jemand ist, der ein Verbot generalisiert. Und im Nachkriegsdeutschland kam das an, ein großer Sieg der CDU. Als aber Willy Brandt politische Experimente wagte und eine neue Ostpolitik begann, hinter der heute alle stehen, bekam er auch eine Mehrheit. Es kommt also immer auf die Details an.
Wir lesen das Buch, das sehr gut auf Ursachen von Ängsten, aber auch, worin sie sich ausdrücken eingeht. Stimmt. Den Einbrüchen, den Wohnungseinbrüchen kommt beim Stichwort Angst auch eine große Rolle zu. Und ich erinnere mich beim Lesen unmittelbar an die Situation im Elternhaus vor 30 Jahren, als ein – wie man später wußte – Junkie den Einbruch versuchte, viel zerstörte, aber nicht weiterkam, wie wir damals die neuesten Sicherheitssysteme anschauten, mit den Experten sprachen, schon den Vertrag auf dem Tisch hatten, mit all den technischen Sicherheiten, dem Scharfstellen, wenn man das Haus verläßt – und dann wir noch einmal uns das Leben vorstellten, wenn unsere Katzen das Alarmsystem auslösen, denn Scharfstellen nimmt auf Tiere, die den Alarm auslösen können, keine Rücksicht.
Das Buch ist aber unter einem anderen Aspekt auch heute interessant. Denn Corona und Angst, Angst und Corona gehören genauso zusammen. Von daher liest der heutige Leser das ganze Buch in einem anderen Kontext, als es damals geschrieben wurde. Aber gut, wenn das aufgeht, im Gegensatz zum ersten Buch, das so überholt ist, als ob hundert Jahre vorbei seien.
Fotos:
Cover
Info:
Wolfgang Schur, Günther Weick, Wahnsinnskarriere. Wie Karrieremacher tricksen, was sie opfern, wie sie aufsteigen, Eichborn Verlag 1999
ISBN 3 8218 1561 2
Alvin E. Roth, Wer kriegt was und warum? Bildung, Jobs und Partnerwahl: Wie Märkte funktionieren, Siedler Verlag 2016
ISBN 978 3 8275 0044 1
Johano Strasser, Gesellschaft in Angst. Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit, Gütersloher Verlagshaus 2013
ISBN 978 3 579 06640 0