Auf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 112
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Farbpsychologie oder reine Ästhetik. Was bedeuten Farben in unserem Leben? Und warum sagen die meisten Menschen ROT, wenn sie nach einer Lieblingsfarbe gefragt werden, auch wenn sie GRÜN eigentlich lieber haben. Und erst Johann Wolfgang Goethe mit seiner Farbenlehre. Hochinteressant, in Marburg gab es vor Jahren eine eindrucksvolle Ausstellung. Aber am ungewöhnlichsten, ja faszinierend fand ich das Bewerfen mit ca. 20 Seidentüchern in unterschiedlichen Farben auf der Frankfurter Frühjahrsmesse in den 90er Jahren. Da lernte ich, daß es unter den Menschen vier Typen gibt: den Winter- und Sommertyp, den Frühjahr- und Herbsttyp und jedem Typ bestimmte Farben zukommen.
Und die Bezeichnungen haben keine inhaltliche Bedeutung, sondern wurde nur genommen, weil sich die vier unterschiedlichen Typen hier sprachlich gut unterbringen ließen. Sie können das übrigens selber ausprobieren und man lernt dabei, daß für die Erfahrung, die wir alle haben, daß uns bestimmte Farben stehen, wir uns in anderen nicht ausstehen können, eine Erklärung gilt, die man nicht erwartet hätte. Nicht die Augenfarbe, nicht die Haarfarbe ist dafür ausschlaggebend, welche Kleidungsfarben uns kleiden, sondern die Haut. Es ist wirklich so, versuchen Sie es. Dem Winter- und Sommertyp stehen klare, auch knallige Farben, dem Frühlings- und Herbsttyp solche Farben wie Orange und helle Farben. Schluß damit. Aber wir müssen das ein andermal vertiefen. Jetzt war es nur die Einführung in dieses Buch über die geheime Macht der Farben, das den Untertitel hat: WIE SIE UNSER VERHALTEN UND EMPFINDEN BEEINFLUSSEN.
Der Schutzumschlag, aber auch der leinene darunter, sind in einem Rot, das unter Bücherumschlägen ungewöhnlich ist. Es ist blutrot, nicht signalrot. Dies ist gleich der Beweis für die These, daß Rot die Farbe aller Farben ist und Symbolfarbe des Lebens,der Schönheit und Sexualität. Schauen wir doch gleich im zweiten Kapitel DIE KULTUR DER FARBEN nach. Das Buch hat übrigens nur zwei Kapitel, das erste heißt DIE NATUR DER FARBEN. Also auf Seite 175 beginnt es mit Rot, hinter der steht: viral, verlegen, dominant und gefährlich als Überschrift. Auf der linken Seite sehen wir die Gedächtnislandkarte Rot wo vier verschiedene Schattierungen von Rot: Lippenrot, Kardinalsrot, Blutrot und Schamrot mit je vielen verschiedenen schmalen Streifen das jeweilige Rot mit Adjektiven und Substantiven bepflastern. Nehmen wir Blutrot, das sich einige Begriffe mit dem Kardinalsrot teilt, wie aggressiv, offensiv, Haß, kraftvoll, entschlossen, überlegen, aktiv, kräftig, stark, energisch, Kampf, Sieger, Helden, gefährlich, abschreckend, Opferblut, Angst, Leid...womit wir erst die Hälfte der Angaben zitiert haben. Naja, darauf wären wir selber gekommen.
Daß im Russischen ‚krasny‘, das Wort für Rot, Synonym für Schönheit bedeutet, erklärt den Roten Platz in Moskau, der nichts anderes als der schöne Platz ist. Auch der Hinweis, daß in der Entwicklung unserer Sprachen nach HELL und DUNKEL die Farbe Rot als nächster Farbbegriff Eingang findet, ist erhellend und hat doch eine einfache Erklärung, sagen wir. Denn das Blut ist rot und daß Blut überhaupt das Leben und den Blutkreislauf ausmachen, wußten schon die ersten Menschen. Der Autor weist darauf hin, daß die Hautrötung im Altgriechischen ‚erythros‘ heißt, woraus unsere Erythrozyten wurden, die roten Blutkörperchen. Das ist also ein Buch, in dem man einfach so nebenbei eine Menge Wissen erwirbt.
Der Schluß gilt der Farbpsychologie. Da ist der Verfasser zu Hause, nennt viele Beispiel, die auch mit Kleidung zu tun haben - und weiß doch nichts von den Vorgängen, daß einem die einen Farben besser stehen als die anderen und wir das unbewußt oft richtig machen, was wir wählen, wie am Anfang ausgeführt!
Im Teil I sind alle die Farbinformationen untergebracht, die nicht auf der reinen Psychoebene verlaufen und geklärt, warum wir Farben sehen. Sieben biologische Funktionen der Farben werden aufgeführt, wobei Farbleitsysteme der Natur den Anfang machen. Die werden ausgerechnet mit den Fischen vorgeführt, was aber nach dem ersten Erstaunen völlig verständlich wird. Wir sehen Wasser, aber das Leben darunter, das extrem bunte Leben kennen nur Taucher und wir höchstens über deren Filmen. Auch Warnfarben – wobei jeder sofort weiß, was gemeint ist – gelten für Mensch und Tier, beispielsweise schwarz-gelb. Und die Kunst der Tarnung durch Farbe – Mimese – beherrschen die Tiere sehr viel besser als Menschen! Sie verschmelzen oft farblich mit ihrer Umwelt, sind dadurch einfach unsichtbar – und gerettet vor ihren Feinden.
Diese Thematik fasziniert besonders. Daß Quallen ohne jegliche Farbe, also transparent im Meer deshalb wenig auffallen, kann man so genauso erklären, wie das Weiß des Eisbären, der Schnee-Eulen und Schneeleoparden, die so in der Eislandschaft weniger auffallen. Aber noch schillernder sind dann die Tiere wie Schneehasen, Hermeline und Polarfüchse, die nämlich ihre Farben mit den Jahreszeiten wechseln, im Sommer sind sie braun! Tolle Passagen.
Aber auch technische Fragen werden unter das Wunder des Farbfernsehens beantwortet, doch dann kommen die Fragen, die Goethe beschäftigten,nämlich wie wir Farben sehen, eigentlich das wichtigste Kapitel des Buches: die Reise des Lichts von den Augen zum Gehirn! Nächster Punkt ist dann die Synästhesie. Es sind ja mit Farben nicht nur Gefühle verbunden, sondern es gibt Menschen, die Farben hören zum Beispiel. Farbe und Ernährung, Verpackungsfarben, Lichttherapien – es kommen noch eine Menge weiterer Themen, die durchaus Neues bringen, aber gleichzeitig merkt man, wie viel man doch längst über Farben weiß.
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Info:
Axel Buether, Die geheimnisvolle Macht der Farben. Wie sie unser Verhalten und Empfinden beeinflussen, Droemer Verlag 2020
ISBN 978 3 426 27787 4