scheiternBernd Imgrund tut es nur im Wesentlichen

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als ich den Titel las, mitsamt dem Untertitel VON SISYPHOS BIS DONALD TRUMP, wußte ich sofort, das will ich lesen, das will ich besprechen. Nach der Lektüre finde ich wichtig, mich selber zu fragen, was ich erwartet hatte, weil ich annehme, daß es anderen auch so geht. Man will Bücher lesen, weil sie mit einem zu tun haben, das erkenntnisleitende Interesse ist angesprochen -  und wer wäre in seinem Leben noch nie gescheitert? Natürlich sind die Grade des Scheiterns und die Häufigkeit dann ebenfalls wichtig.

Also, wann bin ich gescheitert und warum? Lassen wir mal das kleinere Scheitern weg, also, wenn ich viel zu lang eine Adresse suche, weil ich ein Navi oder den Stadtplan nicht nehmen will, oder ein tolles Kleid mir beim Einkaufen zu teuer schien, aber am nächsten Tag, wenn ich es doch kaufen will, weg ist. Kinder und Erziehung, ein Thema für Scheitern, Ehe und Freundschaft, wie oft scheitern sie, das tolle Haus, das wir wollten, es bekommen andere. Beruflicher Aufstieg für Frauen, wieviel Scheitern ist vorprogrammiert. Aber eben auch persönliche Niederlagen, wie bei Kandidaturen nicht gewählt zu werden. Eine tiefe Verletzung des Ego. Das alles ist für mich Scheitern – und um alle diese Dinge geht es in diesem Buch überhaupt nicht.

Trotzdem ist es interessant. Das ist ein Buch, das man gut in die Tasche stecken kann, wenn man einige Zeit unterwegs ist und zum Lesen kommt, auch ein Buch, das man jeden Abend in einigen Kapiteln – ja, auch vor dem Schlafen – lesen kann, das ist ein Buch, das stärker in die Breite geht und weniger in die Tiefe. Es hat wenig mit dem Scheitern von uns kleinen Leuten, sondern mehr mit Berühmtheiten aus Geschichte, Kunst und vor allem Sport zu tun. Durchaus unterhaltsam, aber eben ohne persönliche Betroffenheit. Das muß man dem 176 Seiten langen Büchlein nicht vorwerfen, aber man sollte es wissen, damit man nicht mit falschen Ansprüchen kommt.

Es beginnt mit der sprachlichen Herleitung von Scheitern, vom althochdeutschen skit, dem mittelhochdeutschen schit, was abgespaltenes Holzstück meint, wozu wir noch heute Scheit sagen, was dann in Scheiterhaufen zum Brennen fürht. Der Autor definiert dann Scheitern durchaus zutreffend in den verschiedenen Facetten, unterläßt aber den alltäglichen Sprachgebrauch vom Scheitern als der Tatsache, daß ein gewünschtes Ergebnis nicht eingetreten ist.

Länger las ich als Einleitung verstandene mehrseitige Kapitel, bis ich verstand, daß das ganze Buch in 13 solcher Kapitel aufgeteilt ist. Es beginnt mit ABSICHTLICH SCHEITERN; wer das nicht sofort versteht, muß nur an Fragmente und Torsi denken, wo Imgrund den Künstlern konstatiert: „Auf dem Weg zum Ziel kann Scheitern zur Methode werden“. Für die Literatur zieht er da die Romantik ran: „Die deutsche Frühromantik erhob das Scheitern gar zum Kunstprinzip.“ Für die Skulptur Rodin. Das ist nicht falsch, aber das beginnt nicht nur sehr viel früher, ja gehörte immer zur Kunst, daß das Vollendete auch im Unvollendeten liegen kann, wie es der Meister des Infinito, Tizian (1490-1576), vormachte. Auch daß der Autor die Körperkunst unter das Diktat des Scheiterns einreiht, ist ein interessanter Aspekt, weil ja die Zerstörung des Körpers als Scheitern zu verstehen, philosophischen Dimensionen erreicht, wie es beispielsweise auch der Selbstmord als gescheitertes Leben wäre, wovon im Buch aber nicht die Rede ist. Bei Körperkunst die Serbin Marina Abramovic zu nennen, ist richtig, und der Österreicher Wolfgang Flatz auch nicht falsch, aber es müßte dabei einfach der Name Rudolf Schwarzkogel und der Wiener Aktionismus fallen, was nicht geschieht. Da ist man perplex.

Genug der Kritik, die ja nur zeigt, daß die Erwartungen zu hoch waren, denn, wie schon geäußert, hat der Autor sehr viel zusammengetragen, eher zu viele Namen als zu wenig und eher zu viele Differenzierungen wie: Scheitern mit Mehrwert (Prometheus) , Schlechte Verlierer, Märtyrer...., also eher ein Aufzählen am Rande, statt der innerpsychischen Vorgänge beim Scheitern. Der Autor hat eine Menge von Zitaten aus aller Welt, aus vielen Bereichen zusammengetragen, die er im Wortlaut bringt, wie z.B. „Ein Wunsch kann durch nichts mehr verlieren, als dadurch, daß er in Erfüllung geht.“, was Peter Bamm gesagt hat und was, wie eigentlich alle Sentenzen im Buch, die reichlich zitiert werden, ansprechend, interessant, rätselhaft, zutreffend und nachdenkenswert sind,aber doch eher  als Beifang zum Thema, während das eigentliche Thema, das Scheitern, auf Sport, insbesondere sehr viel Fußball (was ich in anderem Zusammenhang sehr goutiere) gerichtet ist. Aber dabei geht es dann nur um die Ergebnisse und nicht solche Überlegung, ob Tore gelingen oder nicht. Denn das ist das Interessante an den Toren, was beispielsweise der Liveticker der Bundesliga bei Bildern von Torschützen bietet, wo man lesen kann: 7 Prozent Torwahrscheinlichkeit. Das ist dann ein Erfolg, während 70 Prozent eher selbstverständlich zum Tor führen muß. Das Scheitern wäre hier festzumachen, wenn die Torwahrscheinlichkeit 90 Prozent wäre, der Schuß aber nicht zum Tor führt.

Aber Sie merken schon, das sind nicht die existentiellen Fragen zum Scheitern. Es sind feuilletonistische Ausführungen, eben ein Zusammentragen von Menschen und Sachverhalten, auch die Frage des glücklichen Scheiterns, also die Chance, die Scheitern für die Entwicklung des individuellen Menschen bedeuten kann, wird behandelt, das Buch spricht über mögliches und geschehenes Scheitern, aber es spricht nicht vom Scheitern.

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Info:

Bernd Imgrund, Eine kleine Geschichte des Scheiterns. Von Sisyphos bis Donald Trump, Riva Verlag

ISBN 978 3 7423 1742 1