Der Abenteuer- und Reiseschriftsteller Friedrich Gerstäcker
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am 10. Mai ist Friedrich-Gerstäcker-Tag, nicht in Deutschland, sondern im US-Bundesstaat Arkansas.
So verfügte es 1986 der seinerzeitige Gouverneur und spätere Präsident Bill Clinton. Bereits 1957 war Gerstäcker posthum zum Ehrenbürger von Arkansas ernannt wurden. Doch nicht nur diese Daten sind Anlass, immer wieder mal an den Verfasser zahlreicher Abenteuerromane über die Pionierzeit in den USA und Autor vieler landeskundlicher Berichte über die außereuropäische Welt zu berichten.
"Viele fragen mich, was mich denn in die Welt hinausgetrieben hat? Ich will aufrichtig sein. Den ersten und wesentlichen Anstoß gab ein alter Bekannter von uns allen, und zwar niemand anders als Robinson Crusoe". Dieser Abenteuerroman, verfasst von Daniel Defoe und 1719 erschienen, hatte den achtjährigen Gerstäcker so fasziniert, dass ihn das Fernweh sein Leben lang nicht losließ. Was er auf seinen Reisen erlebte, verarbeitet er später in mehreren Romanen und vielen landeskundlichen Beschreibungen. Sein Gesamtwerk umfasst etwa 80 Bände.
Geboren wird Gerstäcker am 10. Mai 1816 in Hamburg. Sein Vater, ein bekannter Operntenor, stirbt früh. Die Mutter, eine ehemalige Schauspielerin, zieht mit den Kindern nach Braunschweig, wo Gerstäcker zur Schule geht. Eine kaufmännische Lehre bricht er ab, später absolviert er ein landwirtschaftliches Praktikum. 1837 zieht es den 21-Jährigen endgültig in die Ferne: Auf einem Auswandererschiff erreicht er New York. Sechs Jahre reist er durch das Land, arbeitet unter anderem als Heizer auf einem Mississippi-Dampfer, als Farmer, Holzfäller und Silberschmied: „Ich durchzog die ganzen Vereinigten Staaten, von Kanada bis Texas, zu Fuß, mit der Eisenbahn, mit den Flussschiffen. Wenn mir unterwegs das Geld ausging, arbeitete ich. In Arkansas blieb ich hängen, wo ich von der Jagd lebte, bis ich selbst halb verwilderte."
Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit, die er an seine Mutter gesandt hatte, übergab diese dem Journalisten und Schriftsteller Robert Heller, der die belletristische Zeitschrift »Rosen« herausgab. Sie waren Gerstäckers erster schriftstellerischer Erfolg. Zeitlich parallel zu dieser Veröffentlichung kehrt er 1843 nach Deutschland zurück. Die unvermutete Anerkennung macht ihn mutig und er entschließt sich, freier Schriftsteller zu werden. Zunächst fertig er Übersetzungen aus dem Englischen an, dann schreibt er seine ersten Bücher. Als erstes den Roman „Die Regulatoren in Arkansas. Aus dem Waldleben Amerikas“, der 1846 erscheint. Er ist ein Abenteuerroman, der in realistischer Weise das harte Siedlerleben in dem westlich des Mississippi gelegenen Land beschreibt, das von Bergen, dichten Wäldern und fruchtbaren Ebenen geprägt ist. Zwei Jahre später, 1848, folgt ein weiterer Roman, der sich ähnlicher Motiven wie in den „Regulatoren“ bedient, „Die Flußpiraten des Mississippi“. Diese Erzählung zielt noch stärker auf Spannung und Effekte, beschreibt aber in authentischer Weise das Leben am größten Fluss der USA, die Landschaft, die Menschen und die sozialen Verhältnisse. Mit beiden Büchern ist Gerstäcker erfolgreich, sie werden ins Englische übersetzt und auch in den Vereinigten Staaten viel gelesen.
Doch obwohl er 1845 geheiratet und eine Familie gegründet hat, hält es Gerstäcker nicht dauerhaft in der Heimat. 1849 bricht er erneut auf. Er reist nach Südamerika, dann weiter nach Kalifornien. Dort erlebt er den Goldrausch und macht sich wie Tausende andere vergeblich Hoffnungen auf den großen Fund. Er entrinnt diesem tatsächlichen wilden Westen, in dem er sich auf einem Walfänger einschifft, der ihn in die Südsee mitnimmt. Über Australien und Java kehrt er 1852 wieder nach Deutschland zurück, wo er sich in Braunschweig niederlässt.
Die Eindrücke dieser Reisen fließen ein in Bände wie „Tahiti“, „Die beiden Sträflinge – ein australischer Roman“, „Gold. Ein kalifornisches Lebensbild“ und „Unter dem Äquator“. Farbig und spannend werden diese Regionen der Welt beschrieben. Und es ist ihnen anzumerken, dass sie speziell auf die Erwartungen der deutschen Leser zugerichtet sind.
1860/61 unternimmt Gerstäcker erneut eine Reise nach Südamerika. 1862 begleitete er seinen Förderer, den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, auf einer Jagdreise durch Ägypten und Äthiopien, an der auch der Zoologe Alfred Brehm teilnimmt. Literarische Zeugnisse dieser Zeit sind der sechsbändige Roman „Zwei Republiken“ (1864) und die dreibändige Sammlung einzelner Erzählungen, die unter dem Titel „Unter Palmen und Buchen“ von 1865 bis 1867 erscheinen.
Zu seiner letzten großen Reise bricht er 1867 auf. Sie bildet die Grundlage für die dreibändige Länderbeschreibung „Neue Reisen in Nordamerika, Mexiko, Ecuador, Westindien und Venezuela“.
Das ständige Unterwegssein fordert seinen Tribut. Die Texte verlieren an literarischer Kraft. Manche geraten langatmig, einige gar oberflächlich. Die gelungeneren Erzählungen werden überwiegend in der Zeitschrift »Gartenlaube« zuerst veröffentlicht. Sie fallen nicht nur wegen der sprachlichen Komposition positiv auf, sondern auch wegen ihrer Momentaufnahmen, in denen Landschaftsbeschreibungen und das Lebensgefühl ihrer jeweiligen Bewohner verdichtet werden. Neben seinen Romanen wurde Gerstäcker auch durch die erwähnten Reisebücher bekannt, auch im Ausland, auch in den USA. Viele von ihnen wurden zu Ratgebern für auswanderungswillige Deutsche. Seine ungeschminkte Darstellung der realen Verhältnisse in der „Neuen Welt“ trug wesentlich dazu bei, das Amerikabild der Deutschen zu korrigieren und die Auswanderungseuphorie zu dämpfen.
1872 will Friedrich Gerstäcker nach Asien aufbrechen, doch noch während der Vorbereitungen stirbt er am 31. Mai 1872 in Braunschweig im Alter von nur 56 Jahren.
Nach seinem Tod gerät der Schriftsteller rasch in Vergessenheit. Zwar werden Abenteuererzählungen vom Publikum nach wie vor gern gelesen. Doch das Interesse gilt mehr den reinen Spannungsgeschichten; authentische, wahrheitsgetreue Schilderungen über fremde Länder sind deutlich weniger gefragt. Das fällt auch einem von Gerstäckers begeisterten Lesern auf, Karl May. Zwar sind dessen Romane fixiert auf spektakuläre Geschichten und strahlende Helden. Doch er möchte zumindest am Rande auch Tatsachen vermitteln. So imitiert ganze Passagen aus Gerstäckers Büchern, verwendet an vielen Stellen sowohl Landschaftsbeschreibungen als auch ganze Figuren aus dessen Romanen. Ein Indianer aus den "Regulatoren von Arkansas" scheint Karl May die Vorlage für Winnetou geliefert zu haben.
Die „Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft“ in Braunschweig hält die Erinnerung an diesen Autor wach, auch wenn deren Museum leider wegen fehlender Finanzen geschlossen werden musste. Die Stadt Braunschweig verleiht seit 1947 alle zwei Jahre den „Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur“. Die Auszeichnung würdigt ein in deutscher Sprache verfasstes Werk eines lebenden Schriftstellers, „das jungen Erwachsenen in sprachlich anspruchsvoller Form das Abenteuer der Begegnung mit fremden Welten fantasievoll vor Augen führt und dabei die Gedanken der Toleranz und Weltoffenheit in der Auseinandersetzung mit anderen Traditionen, Religionen, Ethnien und Wertvorstellungen näherbringt“ (so die Präambel).
Foto:
Umschlag „Die Regulatoren in Arkansas“, Ausgabe Union Verlag, Stuttgart 1987, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt 1988.
© Union Verlag