Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich hätten die Probleme mit der Akkustik in der Katharinenkirche – falsch, nich generell, da ist sie hervorragend, sondern an ganz wenigen Plätzen, am schlimmsten an dem, auf dem ich saß – hierher gehört, denn bei dem anspruchsvollen Part, in dem sich die Moderatorin Hadija Haruna-Oelker wirklich sehr um strukturierende Fragen bemühte und auch deren Beantwortung durch die Autorin immer wieder einforderte, wäre jedes Wort wichtig gewesen.
So blieb mir nur die Erkenntnis, daß das anwesende Publikum, das gut hören konnte, mit dieser Veranstaltung sehr zufrieden war. Vielleicht auch mit sich selber, daß sie so komplexe und literarisch zugespitzte Formulierungskünsteoß verstand und genoß. Leider haben wohl die meisten der Anwesenden das echte, das malerische Bauernkriegspanorama im eigens dafür entworfenen Rundbau in thüringischen Bad Frankenhausen nicht gesehen, das DDR-Staatsmaler – und das ist hier nicht abträglich gemeint! - Werner Tübke (1929-2004) in den letzten Jahren der DDR schuf und das dann schon in der sogenannten Wendezeit im September 1990 eröffnet wurde. Übrigens eine Schande, daß es nicht Usus ist, daß jede Schulklasse in höheren Jahren dorthin fährt, denn dort wird die Geschichte verhandelt, die ansonsten zu kurz kommt, die der Bauernaufstände und gesellschaftlichen Kämpfe gegen das Feudalsystem ab 1524, die wir insbesondere mit den Namen Thomas Müntzer verbinden, wo Bauern, die das Wohlergehen der Obrikgkeit, des Adels, der Patrizier und eben auch des Klerus mit ihrer Arbeitskraft finanzierten, mit dieser Ausbeutung Schluß machen wollten – und sie sich von Luther und anderen verraten fühlten.
Ehrlich gesagt, historisch eine schwärende Wunde, auch wenn sie dauernd mit Mull abgedeckt wird.
Kathrin Röggla, 1971 in Salzburg geboren, lebt in Berlin und ist als widerständige Autorin gegen den Gleichklang und die Verharmlosung von Konflikten bekannt, zumal sie eine derjenigen ist, die besonders viele Textsorten nutzt: viele Hörspiele und Theatertexte, neben den Prosabänden.
Der eigentliche Text von BAUERNKRIEGSPANORAMA umfaßt 27 DIN A 6 Seiten und ist eine Gedankensuada, die mit der Forderung beginnt: „Es bräuchte ein neues ‚Bauernkriegspanorama‘...“ und verschiedene unsägliche gegenwärtige Zustände ins Bewußtsein holt. Man kann den Inhalt deshalb schwer wiedergeben, weil er einem Bewußtseinsstrom gleicht, der gespeist wird von der Inhumanität unseres Alltags und seiner Einrichtungen. „Das ist mit Sicherheit der Augenblick, wo mir auffällt, daß keine Frauen auf dem Bild zu sehen sind...“(S. 36), was Versöhner dann gleich auf den mit Absicht vom Künstler leer gelassenen Raum beziehen. Schließlich ist die 360 Grad Geschichte ja noch nicht zu Ende, der Bauernkrieg ist hier nur der Auslöser für menschliche Schaffenskraft, Geist, Energie...Kathrin Röggla schreibt über die Menschen, die mit ihr im Rund stehen, als Konsumenten der fertigen Kunst betrachtet werden, Objekte, aber doch eigentlich Subjekte der Geschichte sein sollten, die sie in ihre eigenen Hände nehmen müßten, wie damals die aufständischen Bauern. Letzteres sagt nicht die Autorin, sondern wir, was angesichts eines wütenden, kraftvollen Essays doch angemessen ist!
Formal sollte man hinzufügen, daß der Text auf DIN A 4 auf 14 Seiten zusammenschnurrt, exakt Punkte und Kommas setzt und seitenlang ohne Absätze auskommt, weshalb einem auch der Begriff Strom in den Sinn kommt.
Kommen wir auf die intelligenten Fragen der Moderatorin zurück, die ich schriftlich vorliegen hatte, deren Antworten mir dann aber auf diesem gewissen Platz - vgl. vorherigen Artikel! - nicht hörbar waren. Trotzdem sind sie wert, notiert zu werden. Sie fragte nach
Was fasziniert Sie am Bild? Welche Kraft liegt in der Literatur, gesellschaftliche Kritik zu üben. Wie sieht die Autorin hierin ihre Rolle? Corona-Hygiene-Demos: Was ist das für ein Aufstand, der Freiheit einfordert? Wo stehen wir heute, ein Jahr nach Halle, acht Monate nach Hanau? Wie aktuell ist der Text. Was hat sich verschoben? Erzählen Sie uns etwas über den Schreibprozeß – war er auch malerisch?
Was an diesem Abend nicht weiter eine Rolle spielte, aber erwähnt werden sollte, das ist, daß die schon häufig mit Preisen ausgezeichnete Kathrin Röggla für BAUERNKRIEGSPANORAMA den Literarturpreis für kritische kurztexte, WORTMELDUNGEN erhielt, den die Crespo Foundation, eine Frankfurter Stiftung, auslobt und der mit 35 000 Euro dotiert ist (um 10 000 Euro mehr als der deutsche Buchpreis!) und mit diesem Buch eine eigene Reihe Wortmeldungen im Verbrecher Verlag konstituiert.
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