EMPFINDLICHE WAHRHEIT von John le Carré aus dem Ullstein Verlag und bei Hörbuch Hamburg, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was für ein Buch! Ein Buch zudem, daß man kurz nach dem Anfang in die Ecke schmeißen möchte, aus Ärger, daß le Carré einen nicht stringent an der Hand nimmt, um einen durch den Dschungel in Feindesland sicher zu geleiten, damit wir immer wissen, woran wir sind, besonders, was Gut ist und was Böse sei. Ein Buch, das man am Ende angekommen, schon lange für grandios und superintelligent hält, bitterböse trotz des netten Tons.

 

Im Ernst, erst taten wir uns schwer. Wir hatten nämlich Carrés Buch DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM, gerade als Hörbuch wiedergehört – mit großer Überraschung, ob des Kalten Krieges, der unbarmherzig darin herrscht, was einen bei aller Spannung heute doch etwas naiv anmutet. Wir wir wissen, sieht das der Autor genauso. Der hatte damals seinen harten Thriller seinem Dienstherrn vorgelegt. Das mußte er, war er doch beim britischen Geheimdienst beschäftigt, noch dazu bei den guten Freunden, den Deutschen in Bonn. Seine Vorgesetzten ließen ihn den SPION ohne Auflagen veröffentlichen, denn sie hielten den Inhalt für so abwegig, daß sie kein Problem damit hatten, so eine Science Fiction Geschichte veröffentlichen zu lassen.

 

Es kam anders. Das Buch wurde als realistischer Thriller aufgefaßt und ein Welterfolg, weil sich die westliche Welt genauso die gefährlichen Geheimdienste - die grausameren und durchschlagenderen die im Osten! – immer schon vorgestellt hatte. Das Neue an diesem Buch war die unterschwellige Kritik des Autors, daß auch in den westlichen Geheimdiensten keine Moral mehr herrsche und es nicht nur um Ausspähung des Bösen, also der Anderen gehe, sondern auch um das Verlassen ethischer Positionen der eigenen Seite. Und da läßt sich zu EMPFINDLICHE WAHRHEIT eine direkte Linie ziehen, die allerdings blutgetränkt ist. Dazu gleich mehr.

 

Woher kommen le Carrés so gute Kenntnis von Deutschland und auch die der deutschen Sprache, so daß er dies in seinen Büchern immer wieder anspricht? Er vom Jahrgang 1931, also inzwischen 82 Jahre alt, hatte in der Nachkriegszeit in Bern Germanistik studiert – 2008 erhielt er den Ehrendoktor der Universität Bern - und war dann ab 1950 Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Britischen Armee in Österreich. Später studierte er in Oxford, war Deutsch- und Französischlehrer und war nach kurzem Dasein als inländischer Spion wieder im Ausland tätig, bis zu seinem Welterfolg, auf den hin er sich nur noch dem Bücherschreiben widmen brauchte.

 

Daß Carré aus Cornwall kommt, haben wir auch mitverfolgt, wie die Tatsache, daß er wieder nach Cornwall zog. Dort lebt nicht nur sein neuer Protagonist, sondern wir empfanden seine Residenz Cornwall immer auch als literarisches Bonbon, denn le Carré mußte sich als schreibender Geheimdienstler einen neuen Namen geben, unter dem wir ihn kennen, während er doch amtlich David John Moore Cornwell heißt. Und das ist doch wirklich wie aus dem Kino: ein Cornwell in Cornwall.

 

Wir haben das verfolgt und auch MARIONETTEN und VERRÄTER WIE WIR gelesen und besprochen, die die Geschicke der Welt und ihre Verursacher offenlegen. Jetzt aber bleiben wir in Großbritannien, was gleich nicht stimmt, denn EMPFINDLICHE WAHRHEIT beginnt in Gibraltar. Gut, das ist britisch. Aber. Nix aber. „In seinem Zimmer im zweiten Stock einer Bettenburg in der britischen Kronkolonie Gibraltar lief ein schlaksiger Mann Ende fünfzig nervös auf und ab. Seine sympathisch-rechtschaffenen Züge verrieten nicht nur den Engländer, sie verrieten auch ein erregbares Naturell, das sich hier auf eine harte Probe gestellt fand.“ Fortsetzung folgt.

 

P.S. Wir sind das Zitat aus der Überschrift noch schuldig. Es ist von Oscar Wilde und dem Roman als gute Gabe vorangestellt.

 

 

INFO:

 

John le Carré, Empfindliche Wahrheit, Ullstein Verlag, 2013. 391 Seiten

John le Carré, Empfindliche Wahrheit, gelesen von Matthias Brandt, Hörbuch Hamburg, 9 CDs

John le Carré, Der Spion, der aus der Kälte kam, gelesen von Matthias Brandt, Hörbuch Hamburg, 6 CDs

 

Was soll man tun, wenn man schnell ein Buch lesen will, aber viel umherkutschieren muß, weil längere Pressereisen anstehen. Ganz einfach: Buch und Hörbuch koordinieren. Das taten wir mit Vergnügen. Matthias Brandt hatte gerade schon den SPION, den Bestseller von vor 50 Jahren eingelesen, was uns gut gefiel, weil seine Stimme vom Inhalt nicht ablenkt, uns aber immer wieder die rote Linie markiert. Auch EMPFINDLICHE WAHRHEIT liest er brillant. Hier kann er noch stärker, die so unterschiedlichen Charaktere der Geschichte artikulieren, die eben nicht nur aus dem Spionagemilieu, sondern dem echten alten England stammen. Es gab nur ein Problem. Beim Weiterlesen im Buch lasen wir stets mit der Stimme von Matthias Brandt. Wenigstens so lange, bis uns das Geschehen so in Bann zog, daß es egal wurde, wer liest, ob die eigenen Augen oder Matthias Brandt!

ACHTUNG. Das Hörbuch ist ab 2. Dezember lieferbar. Weihnachtsgeschenk?