erhält den 9. Würth-Preis für Europäische Literatur

 

Felicitas Schubert

 

Künzelsau (Weltexpresso) - Der ungarische Autor Péter Nádas ist für den 9. Würth-Preis für Europäische Literatur nominiert worden. Nádas sei einer der großen europäischen Schriftsteller, so die Jury in ihrer Begründung. Die Preisverleihung findet im Frühjahr 2014 in Stuttgart statt. Wie schön, daß nach der wunderbaren Schriftstellerin und Polin Hanna Krall und Osteuropa im Jahr 2012 nun mit Nádas auch Ungarn geehrt wird, das Mitteleuropa zugehörig ist, aber die Richtung Südosteuropa anzeigt.

 

 

Péter Nádas wurde 1942 in Budapest geboren, lebt seit 1985 in Budapest und in der kleinen Ortschaft Gombosszeg. Seine Anfänge sind die eines Fotoreporters, und sein fotografisches Schaffen hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Bis 1968 war Nádas als Journalist tätig. Von 1969 bis 1977 verhinderte die ungarische Zensur die Publikation seiner literarischen Werke. Péter Nádas' OEuvre ist in Europa und Amerika durch Übersetzungen und Literaturpreise, darunter auch den Kafkapreis (2003), lange bekannt.

 

Manche Kritiker haben Nádas mit Musil, Joyce, Proust, Tolstoj verglichen – was er aber als irreführend bezeichnet. In der Tat geht seine Prosa, vom Ende eines Familienromans (1977) über das Buch der Erinnerung (1986) bis zu seinem Meisterwerk Parallelgeschichten (ung. 2005, deutsch 2012) einen anderen und neuen Weg, der den figurativen Ausdrucksmöglichkeiten des Kinos Rechnung trägt.

 

Komplexe Erzähloberflächen werden immer wieder durchbrochen, Raum und Zeit vermischt, die unzähligen Schicksale der Einzelnen, die Nádas aus direkter Erfahrung auf dem Hintergrund von Nazismus, Stalinismus und Postkommunismus darstellt, erscheinen dem staunenden und oft auch schockierten Leser fremd und rätselhaft. Eine besondere Eigenart des Romanautors Nádas ist eine Ästhetik des Hypertextes. Lupenartig realistische Nahaufnahmen, die an sein Urtalent des Fotografierens erinnern, gehen ins Unheimliche und Alptraumhafte über.

 

Neben den Rätseln des Bewusstseins analysiert er postmodern cool und zugleich passioniert – manchmal über hunderte von Seiten – auch körperliche Erfahrungen und die Sexualität in all ihren Spielarten, ohne dass er je ins Pornografische überginge. Auch liegt ihm das bloße Moralisieren fern. Sein Hauptmotiv ist unsere „tragische Urleere“, wie er sie bezeichnet. Unerschrocken demaskiert Nádas die Verlogenheit und die Grausamkeit vonMenschen und Regimen, Erfahrungen, die selbst Kindern nicht erspart bleiben (siehe die Minotauros-Erzählungen, 1967-1979). Nádas geht es um die Entzifferung der Wahrheit und der verborgenen Logik der Dinge, aber die schöne Verständlichkeit seiner Sprache macht seine Bücher auch dem großen Publikum zugänglich.

 

 

INFO:

 

Der mit 25.000 Euro dotierte Würth-Preis für Europäische Literatur wird alle zwei Jahre vergeben. Die mit diesem Preis verbundene Europa-Vorstellung ist weit gefasst. Sie meint vor allem kein kulturell begradigtes Europa. Vielmehr soll der Preis den Blick lenken auf ein vielstimmiges Europa der Übergänge und Zwischentöne, der Unterschiede und Vermischungen. Das Interesse gilt auch den Randzonen und Grenzbereichen europäischer Lebensformen und Wertvorstellungen, die aus dem Fundus unterschiedlicher Sprachen und Traditionen erwachsen. Auf diese Weise erscheint Europa als schützenswertes Ensemble verästelter Kulturen, als artenreiches „kulturelles Biotop” neu.

Der Preis würdigt literarische Bemühungen um die kulturelle Vielfalt Europas. Er wird vor allem an Persönlichkeiten verliehen, die im Schnittpunkt unterschiedlicher Kulturen arbeiten, die sich mit europäischen Kulturtraditionen auseinandersetzen oder sich Problemen widmen, die in ihrem Land erst durch europäische Einflüsse entstanden sind. Ausgezeichnet werden also Autorinnen und Autoren, deren Werk und Leben Reflex dieser besonderen Kulturerfahrungen sind. Die literarische Gattung spielt dabei keine Rolle. Da der Würth-Preis für Europäische Literatur nicht nur ein Preis für literarische Insider sein will, gehören der Jury Literatur- und Kulturvermittler der verschiedensten Sparten an: Anna Maria Carpi, Lars Gustafsson, Harald Hartung, Sigrid Löffler, Hans Maier, Jürgen Wertheimer.

 

 

Die Preisträger seit 1998:

 

· 1998 Hermann Lenz

· 2000 Claudio Magris

· 2002 Claude Vigée

· 2004 Harald Hartung

· 2006 Herta Müller

· 2008 Peter Turrini

· 2010 Ilija Trojanow

· 2012 Hanna Krall

 

Foto: Bana Burger