Serie: Der Deutsche Buchpreis 2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 11
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Geht es Ihnen auch so, daß Sie bei den KAMERADINNEN im Titel stutzen? Natürlich kennt jeder den Begriff, aber normalerweise sprechen wir, wenn drei Gleichaltrige sich nahe sind, viel miteinander unternehmen und in der Jugend sozusagen unzertrennlich waren, heutzutage nicht mehr von Kameradinnen, sondern von Freundinnen.
Die Autorin selbst hat gesagt, daß sie sich beim Titel, der erst nur ein Arbeitstitel gewesen sei, an den Roman von Erich Maria Remarque gehalten habe, der 1936 im Exil in Amsterdam veröffentlicht wurde, aber schon in den 20er Jahren spielt, also knapp hundert Jahre vor heute und DREI KAMERADEN heißt. Er ist übrigens in der aktuellen Ausgabe ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Schwierig, daran anzuknüpfen, weil Remarques Geschichte zwar von Ausgrenzung, prekären Verhältnissen und durch Politik und Krankheit zusätzlich erschwerten existentiellen Zuständen erzählt, aber noch nicht mal die drei Kameraden namentlich so deutlich als flotter Dreier fungieren, wie es ohne Schmäh die drei Kameradinnen tun, die Kasih, Saya und Hani heißen, die zur Hochzeit einer weiteren Freundin namens Shaghayegh (das Namen richtig Schreiben!) in ihre Heimatstadt gekommen sind, die so Berlin sein könnte wie bei Remarque, auf jeden Fall namenlos bleibt. Tut auch nichts zur Sache, denn nicht die lokalen Verhältnisse spielen eine Rolle, sondern die gesellschaftlichen und die zwischen den Freundinnen nein: Kameradinnen.
Für Saya, die wirklich Aggressive und noch stärker den Alkohol in sich hineinschüttend als die anderen, fing es schon übel an. Beim Flug in die Heimat saß sie neben einem Rechtsradikalen und sie räsoniert lange, warum sie den nicht stärker angegangen ist. Zumindest hat sie ihm inzwischen unter einem verdeckten Account eine üble Email verpaßt, was sie tun konnte, weil sie auf seiner Bordkarte seinen Namen suchte und fand. Patrick Wagenberg aus der Bornemannstraße, was deshalb erwähnenswert ist, weil er, das politische Ekel, den Roman einiger langer Stunden auf 350 Seiten gewissermaßen zusammenhält: am Anfang im Flugzeug, am Schluß als Leiche in dem von X angezündeten Haus in besagter Bornemannstraße. Daß ich bei Bornemann jedesmal zusammenzuckte, hat mit der eigenen Biographie zu tun, denn so hieß mein Griechischlehrer, nach dem auch eine griechische Grammatik DER BORNEMANN hieß und der die Gewohnheit hatte, mir aus den großen Ferien eine Postkarte zu schreiben, was ansonsten ja andersherum üblich war, daß die Schüler den Lehrern schrieben.
Völlig unwichtig, aber eben ein Hinweis darauf, daß wir mit Proust immer die Leser, hier die Leserin unserer selbst sind. Ein und dasselbe Buch kann und wird ganz unterschiedlich aufgenommen. Und da muß ich leider sagen, daß dieser Roman, der mich vielleicht hundert Seiten durchaus interessierte, mich ab irgendwann kalt ließ. Ich hatte doch längst verstanden, worin die Probleme bestehen und allein die Passagen im Jobcenter sollten in jedem bundesdeutschen Jobcenter als Warnung am Eingang hängen!! Wirklich hervorragend wiedergegeben, die sich wiederholenden Plattitüden überforderter Mitarbeiter, die gut qualifizierte Arbeitslose schändlich behandeln.
Anderes ist nebulös, wenn fiktiv ein Neonazi-Prozeß beginnt, der aber deutlich an den NSU-Prozeß erinnert. Aber von vorne, fangen wir mit der Erzählerin an, denn die ist in der Heimatstadt verblieben, Kashi, die unter Kopfschütteln der Eltern Soziologie studiert hatte, jetzt keine Stelle findet, darum das Jobcenter!, aber noch stärker als unter der fehlenden Berufsperspektive unter der persönlichen Perspektive leidet: Lukas ist weg. Ihr Freund Lukas will nicht mehr ihr Freund sein! Das ist schon eine Bedürftigkeitsgemengelage, in der sie sich auch deshalb auf die Freundinnen, nein, die Kameradinnen, freut, weil sie dann nicht alleine ist. Es soll so sein, wie es früher war, die drei gegen den Rest der Welt.
Das ist eine spezielle Erzählerin, diese Ich-Erzählerin, die mal ganz von oben aus dem Himmel die Gesamtlage beschreibt und dem Leser, der Leserin ihre eigene Sicht, bzw., was diese vom Geschehen erwarten dürfen, daß sie vergleichen sollen, nahebringt, ihnen aber auch Vorhaltungen macht, falsche Haltungen zu haben, also alles in allem, einen nicht ruhig lesen läßt, sondern mit Lesekommentaren die Handlung noch unterbricht, eine Handlung, die eh nicht zusammenhängend ist, weil auf einmal Saya sturzbesoffen ist, aber im nächsten Moment nüchtern...
Das hat mich nicht gestört, eher amüsiert, nein, der viele Alkohol nicht, das ist einfach ätzend und ich kenne solche Kameradinnen auch nicht, die ständig halbbetrunken durch die Gegend wanken. Mir wurde zunehmen die Reise unklar, auf die die Autorin ihre Leser mitnimmt. Die Hochzeit ist das eine, die Verhältnisse untereinander auch, in denen Saya die dominierende Rolle spielt, gar nicht durch sich selbst initiiert, sagen wir, sondern durch die beiden jungen Frauen in Gang gesetzt, die sich hinter der lautstarken Saya genauso verstecken, wie sie sie andererseits bewundern, dann aber auch ausschelten. Saya steckt Watschen genauso ein, wie sie sie im Dutzend austeilt. Sprachlich versteht sich. Hani kümmert sich um‘s Tierwohl, das ist aber für eine Erzählerin nicht so attraktiv wie eine aggressive Saya. Versteht man.
Sicher haben Sie es längst begriffen, es geht um Rassismus und seine Anzeichen, es geht um Vorurteile gegenüber Ausländern, die ja Inländer sind, vor allem, wenn schon hier geboren. Es geht um Diskriminierung zweifacher Art: die der Geschlechter erst in zweiter Linie.
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Info:
Shida Bazyar, Drei Kameradinnen, Kiepenheuer & Witsch, 2021
ISBN 978 3 462 05276 3