Letzte Gespräche und Begegnungen / Mit einem Vorwort von Elfriede Jelinek; Langen Müller, 2011
Helmut Marrat
Hamburg (Weltexpresso) - Die Frage, ob André Müller ein unsympathischer Mensch sein könnte, wird gleich mit dem Buchtitel angesprochen. Obwohl das mit der Krähe vielleicht sogar anerkennend gemeint ist. Schließlich stammt der Ausspruch von Elfriede Jelinek. Und er hebt Müller damit wenigstens auf die nämliche Höhe.
Jelinek hat auch das Vorwort beigesteuert. Und bringt dabei, neben allem Lob auch eine
verwirrende Behauptung: Müller, so konstatiert die Autorin, amüsiere sich glänzend in seinen
Befragungen. Inwiefern, läßt sie offen. Und es scheint auch gar nicht zu stimmen. Allenfalls kann
man sagen, Müller finde in manchen Momenten die Gelegenheit, sein Thema voranzutreiben. Das
Thema vielleicht: Die Welt, die verdammt ist, und die zu akzeptieren, unmöglich ist. Daher kein
Amüsement. Höchstens eine dünne Freude, recht zu behalten.
Was nun findet sich in jener Sammlung? Letzte Interviews, die Müller, meistens für DIE ZEIT
führte. Dazu einzelne Portraits, wo es zu keinem Gespräch kam, wie etwa mit Hans-Dietrich
Genscher, der offenbar nicht mochte. Oder auch ein schöner Nachruf auf Ingmar Bergman.
Gespräche mit Lagerfeld, der sogar gegen Müller einen Prozeß androhte. Mit Handke, wo es
hauptsächlich um die umstrittene Parteinahme zugunsten Milosevics oder eigentlich Serbiens geht.
Dann ein etwas mißratenes mit der Pornoproduzentin Dolly Buster, bei dem nicht recht erkennbar
wird, wozu das ganze. - Dagegen, im totalen Gegensatz, Leni Riefenstahl. Auch eine Filmerin,
möchte man anmerken, hier nun aber von bald hundertjähriger stählerner Gegenbehauptung.
Was nun aber war die Stärke Müllers? Was macht den hohen Reiz seiner Gespräche aus, auch noch Jahre nach deren Erscheinung?
Es ist die Art und Weise, wie er seine Gespräche führte. Wie er Fragen stellte. Aber vor allem, wie er mit den Aussagen der Menschen umging. Wie er auf sie einging, wie er ihre Auskünfte
gedanklich weiterentwickelte. Man vergleiche nur die häufigen Interviews der großen Zeitungen am Wochenende, wo alles immer auf eine Aufmacherfrage reduziert werden soll. Da trifft dann jemand eine Aussage, und es wird nicht oft genug nachgehakt. Das wäre Müller nicht passiert.
Und selbst solche, wie ich fand, etwas verunglückte Gespräche wie das mit Frau Buster, liefern
noch viel mehr Informationen als das, was wir sonst in Zeitungen oder anderen Medien gewöhnt
sind.
Ob die Gespräche der Literatur zuzurechnen sind, wie Jelinek anspricht? Mag sein. Entscheidend
scheint mir, daß es einen ganz bestimmten Ton gibt, einen Müllerschen, wenn man so will, und der klingt lange nach. Wie gelungene Literatur.