Schweizer Buchpreis 2011, Teil 4 : Die Preisverleihung am 20. November

 

von Claudia Schulmerich 

 

Basel (Weltexpresso) – Daß am Schluß der Preisverleihung Preisträger Catalin Dorian Florescu den mit 50 000 Franken dotierten Schweizer Buchpreis 2011 erhielt, besser gesagt: sein Buch „Jacob beschließt zu lieben“, was heftig im vollgefüllten Rund der Messe BuchBasel beklatscht wurde, ist nur das I-Tüpfelchen einer rundherum glücklich machenden Veranstaltung, erhielten doch die vier anderen Finalisten einen ebenso großen weiß-grünen Blumenstrauß und ebenfalls lauten Beifall. Nur auf die Bühne wurden sie nicht gebeten, ein Versäumnis, das sicherlich 2012 ausgeräumt wird.

 

Glücklich konnte einen die Preisverleihung einfach dadurch machen, daß Luzia Stettler hervorragend, nämlich präzise, mit auch kritischen Fragen und mit Leseleidenschaft durch diese Preisverleihung führte, was korrespondierte mit der nun schon Gewohnheit werdenden Abfolge des Vorstellens des Buches durch ein Jury Mitglied und der anschließenden Lesung des Buchanfangs. Moderatorin Luzia Stettler, im Mediengeschäft zu Hause, wurde als „Buchmensch des Jahres“ vorgestellt. Das muß man Bundesdeutschen erst einmal erklären. Mit diesem Titel werden jährlich vom Buchhändler- und Verlegerverband Personen ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise um Bücher verdient machen. Hätte Frau Stettler den Titel nicht schon gehabt, hätte sie ihn für diese Moderation verdient.

 

Da der Preisträger am Schluß gewürdigt wird, wollen wir zuvor die vier anderen berücksichtigen. Zu Monica Cantieni „Grünschnabel“, erschienen im Frankfurter Verlag Schöffling & Co, führte Jurysprecher Hans Ulrich Probst aus: „ ‚Mein Vater hat mich für 365.-Franken von der Stadt gekauft. Das ist viel Geld für ein Kind, das keine Augen im Kopf hat’ – derart fulminant setzt Monica Cantienis so unsentimental wie virtuos erzählte Geschichte einer ungewöhnlichen Kindheit ein. Um 1970 wird ein namenloses Mädchen aus einem Schweizer Waisenhaus zu einem Paar mit Adoptionsabsicht transferiert; es wächst dann in einer Arbeitervorstand auf, in einer lebhaften, keineswegs heilen Umgebung...“.

 

Probst gibt sodann den Inhalt des Romans wieder und sagt: „Das Zentrum von Monica Cantienis eigenwilligem Bildungsroman ist seine Sprache. Die Autorin fokussiert den präzisen Blick ihrer Protagonistin auf die Rätsel und Vieldeutigkeit von Worten und Sätzen. In dem das Mädchen die ihm unvertrauten Wörter gleichsam beim Wort nimmt und sie in Wörterschachteln sortiert – das reicht von ‚Glück’ bis ‚Hoffnung’, von ‚jetzt’ bis ‚immer’ – erschließt sich ihm die Welt der Erwachsenen besser als diesen selbst…“.

 

Schauspieler Vincent Leittersdorf las die Buchanfänge vor, wobei wir fortfahren können: „Ich habe das die Eltern möglichst lange nicht wissen lassen. Es ist nicht gut, schon in der Tür alle Hoffnungen zu zerstören, wenn man Tochter werden will…“. Tatsächlich reiht sich Cantienis Buch ein in die derzeitige Literatur vom schwierigen Aufwachsen von Kindern, wie auch in Angelika Klüssendorfs „Das Mädchen“, ebenfalls Finalistin des Deutschen Buchpreises. Bestimmt Themen liegen einfach in der Luft.

 

Christine Lötscher trug die Laudatio auf „Alias oder das wahre Leben“ von Felix Philipp Ingold vor. „Mit der Distanz zur Epoche wächst auch die Fremdheit. Die zentrifugale Lebensgeschichte eines Menschen, der 1922 als Wolgadeutscher in der Sowjetunion geboren wurde und 1993 als deutscher Exilrusse in Österreich starb, fängt schon beim Namen an: Carl Berger oder Kirill Beregow nannte sich der Mann, je nachdem. ..“ Sie beschreibt, wie der ‚hellwache’ Roman uns durch ein halbes Jahrhundert europäischer Geschichte führt und wie vor allem neben dem Gehalt die Sprachkraft dieses Buch auszeichnet. „Was Ingold im Vorwort schreibt – daß nicht das Erzählte, sondern nur das Erzählen authentisch sein kann – löst er in jedem seiner Sätze ein. So wird eine Leuchtpistole zum Ausrufezeichen, und ein deutscher Kriegsgefangener zu einem Gewebe von Zeichen, das sich als unlesbar erweist.“

 

Vorleser Leittersdorf: „Der grausamste Monat ist der April, er ist aber auch der lächerlichste, der lieblichste. Nicht anders – also wie üblich– war’s im Kriegsjahr 1942. Noch ließ das große Tauwetter, das mit dem finsteren eisigen Winter aufräumen sollte, auf sich warten. Doch immer mal wieder sprang plötzlich ein Wind auf, raffte die Wolken hinweg, machte den Himmel für die Sonne frei, die den erstarrten Frontabschnitt vor Staraja Russa kurz und intensiv ausleuchtete…“?“ Fortsetzung folgt.

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