Khaled Hosseini „Traumsammler“, erschienen im Fischer-Verlag

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Der afghanisch-amerikanische Schriftsteller Khaled Hosseini (48) schrieb bereits einige erfolgreiche Romane wie den „Drachenläufer“. Auch sein neues Buch gefällt unserem Mitarbeiter.Übrigens auch den Lesern, die sich seit Erscheinen um das Buch reißen.

 

 

Traumsammler“ - Titel und Klappentext führen in die Irre, es ist nicht Saboor, der für seine Kinder Pari und Abdullah traumhafte Geschichten erfindet. Von Dämonen und mutigen Bauern berichtet er nur am Anfang, bevor er seine dreijährige Tochter an reiche, kinderlose Afghanen verkauft und die unzertrennlichen Geschwister auseinander reißt. In Shadbagh, einem Dorf drei Tagesreisen von Kabul entfernt, zog der sieben Jahre ältere Abdullah seine Schwester groß, deren gemeinsame Mutter bei ihrer Geburt starb. „Wenn die winzige Pari gequengelt und gequäkt hatte, dann war er aufgestanden; er war es gewesen, der sie nachts herum getragen und gewiegt hatte. Er hatte ihre schmutzigen Windeln gewechselt. Er hatte sie gebadet.“

 

Bereits in diesem ersten Kapitel werden auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land in Afghanistan aus kindlicher Sicht deutlich: „Eine Fabrik, in der Brot hergestellt wurde, dachte Abdullah verwundert, und stellte sich vor, wie seine Stiefmutter Parwana in Shadbagh die Teigfladen gegen die Seiten ihres aus Lehm bestehenden Tandoors klatschte.“

 

Hosseini selbst erzählt dann Paris traumartige Abenteuer und die der Menschen aus ihrer Umgebung: Ihr Pflegevater Herr Wahdati erlitt einen Schlaganfall und sie geht als Sechsjährige mit ihrer dichtenden, halbfranzösischen Pflegemutter Nila nach Europa. Onkel Nabi, der den Verkauf des Mädchens einfädelte, dient über viele Jahrzehnte treu Herrn Wahdati, der seine Männerliebe zu Nabi erst kurz vor seinem Tod gesteht. Die Nachbarsöhne flohen mit ihren Eltern in die USA und kehren kurz als „echte“, anmaßende Amerikaner zurück, um Eigentumsfragen zu regeln. Von einem korrupten Mudschaheddin wird der Stiefbruder Paris einfach erschlagen, als er in sein altes Haus zurück will…

 

So sammelt Hosseini, der auch als Kind mit seinen Eltern in die USA emigrierte, gescheiterte und glückliche Lebensträume afghanischer Menschen in unterschiedlichen sozialen Schichten und verschiedenen Ländern. Die russische Besatzung, der islamische Widerstand, die Tyrannei der Taliban und ihre Vertreibung werden vom Autor nur gestreift. Aber dieser historische Hintergrund prägt stark das Handeln der geflüchteten und zurück gebliebenen Menschen, von denen das Buch in großartiger Sprache erzählt:

 

Sie trug ein mattgelbes, ärmelloses Kleid, eine dunkle Sonnenbrille aus Horn und ein weißseidenes Kopftuch. Sie war gekleidet, als hätte sie Angst, ein Körperteil zu verlieren - als müsste sie sich in eine äußere Form zwingen, um innerlich nicht auseinanderzufallen.“

 

Alle Kapitel beginnen mit verwirrenden Ereignissen oder fremden Personen, doch immer offenbaren sich die Geheimnisse recht bald. Das macht den Leser neugierig: „Oh, das ist ja der Onkel von Pari“, denkt man überrascht, oder „Ach der Exliebhaber ihrer Mutter.“ Nach und nach verwebt Hosseini auch die Beziehungen der - teilweise weltweit verstreuten - Menschen aus den verschiedenen Kapiteln.

 

 

Traumsammler“ ist kein gradliniger Roman, sondern entfaltet ein Kaleidoskop von persönlichen, miteinander verknüpften Geschichten. Sie werden, als Geschichten in Geschichten, mit vielen Zeitsprüngen, so wie die Märchen aus tausendundeiner Nacht erzählt. Dieses großartige Buch entführt den Leser, ohne Folklore oder Kriegsgräuel auf wundersame Weise durch das alte und neue Afghanistan und endet etwas traurig aber stimmig in Frankreich.

 

Khaled Hosseini „Traumsammler“, gebunden, 441 Seiten, Fischer-Verlag 2013, 19,99 Euro