GstreinSchroderPetra KammannSerie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, die letzten Sechs im Frankfurter Literaturhaus, Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Norbert Gstrein kam im zweiten Teil des Abends zu Wort und erneut war Christoph Schröder zuständiger Moderator. DER ZWEITE JAKOB ist sein zehnter Roman und der 1961 geborene Tiroler lebt in Hamburg. Sein Erzähltalent hat schon zu sehr vielen Preisen geführt: den Österreichischen Buchpreis 2019, den Düsseldorfer Literaturpreis, den Thomas-Mann-Preis, den Alfred Döblin Preis, auch den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und den Uwe-Johnson Preis! Da fehlt der Deutsche Buchpreis!

Schröder beschreibt den Roman als „ungemein raffiniert komponiert“, ein „rührendes Schauspiel“ und „anrührend am Schluß“, was kurz vor dem 60sten Geburtstag des Icherzählers beginnt, eines Schauspielers aus Tirol, der in der Welt beruflich unterwegs war, jetzt aber zurückgezogen in seiner luxuriösen großen Wohnung in Innsbruck lebt, hoch oben über allen mit dem Blick auf das Alpenpanorama.

Er ist alleinerziehender Vater einer Tochter namens Luzie, als Schauspieler hat er immer wieder Frauenmörder gespielt und der Autor spielt damit, ob das nur in den Filmen stattfindet oder ob er auch für die vielen unaufgeklärten Frauenmorde in den USA und anderswo verantwortlich ist. Der Tiroler ein Mörder? Der Icherzähler hat damit gar nichts zu tun, aber er schwadroniert so allerhand über sein Leben, wenn er sich Rechenschaft ablegt über sein Leben, wozu er kommt, weil ein gewisser Pflegerl seine Biographie schreiben will und soll, die wohl angesichts seines Sechzigsten ein Verkaufserfolg sein könnte.

Da paßt Schröders Frage perfekt: „In welcher Lebenssituation treffen wir ihn an, diesen Jakob.“ In genau der genannten, daß er nämlich gegen diesen Berufsbiographen Pflegerl und seine biographischen Absichten einen derartigen Widerstand entwickelt, daß er dies auf keinen Fall zulassen, natürlich auch nicht autorisieren wird, was dieser Wicht schreibt, sich stattdessen jetzt selbst auf die Suche nach dem Schauspieler Jakob macht, seinem privaten und beruflichen Leben. Er beginnt seine Geschichte zu erzählen, nicht linear, sondern unterbrochen vom Jetzt, in dem es vor allem um seine Tochter Luzie geht. So erfährt man auch, daß er der Zweite Jakob heißt, weil der Erste Jakob sein Onkel Jakob ist, der mehr als etwas ‚komisch‘ ist, wie es im Roman immer wieder heißt, ein Begriff, den sich Luzie für sich selbst zu eigen macht.

Überhaupt hat sie es mit den Begriffen, denn sie spricht immer wieder davon, daß sie „weggegeben worden war“, als sie die Eltern bei der Trennung nach England in ein Internat gaben. Davon ist geblieben, daß sie mit dem Vater in der Regel und erst recht bei heiklen Themen Englisch spricht.

Aber irgendwas stimmt mit dem Erzähler nicht. Er widerspricht sich, baut sich ständig selbst Fallen, ja wird vom Autor als „unheimlicher Erzähler, der sich selbst unheimlich wird“, charakterisiert. Er ist ein Mann, der tun muß, was ein Mann tut, tönt es mit anderen Worten. Warum er die angebotene Rolle des österreichischen Frauenmörders Jack Unterweger nicht spielen wollte, die dann John Malkovich mit großem Erfolg übernahm, bleibt unklar. Schröder bezeichnet das US-Filmteam, das im Roman einen großen Anteil am Geschehen nimmt, als Mittler. Das Schreckliche sei beiläufig erzählt. US-Reporter reflektieren das Klischee: ‚Genie und Wahnsinn‘.

Darauf antwortet Gstrein, daß dies ein romantisches Klischee sei, daß Künstler über dem Gesetzt stünden. (Das allerdings war auch nicht Ausgangspunkt.) Jakob auf jeden Fall kann mit dem Begriff ‚Künstler‘ wenig anfangen. „Er äußert Ressentiments eines Provinzlers, um bloß nicht als Künstler dazustehen.“ „Der Schauspieler schreibt unheimliche Dinge und hat Ähnlichkeiten mit dem Autor. Der Autor schreibt mit moralisch anrüchigen Dingen einen hochmoralischen Roman.“

Foto:
Norbert Gstrein und Christoph Schröder
©Petra Kammann