Serie: Der Deutsche Buchpreis 2021, hier die Auswahl der Zwanzig, die letzten Sechs, Teil 16
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Für jedes der für die letzten Sechs ausgewählten Romane fällt mir für deren Auswahl eine Begründung ein, allerdings für die nicht ausgewählten wie DER VERSPERRTE WEG von Georges-Arthur Goldschmidt oder Sasha Marianna Salzmanns IM MENSCHEN MUSS ALLES HERRLICH SEIN, auch MEIN LIEBLINGSTIER HEIßT WINTER von Ferdinand Schmalz erst recht! Nur ist gerade die Begründung für BLAUE FRAU sicher in besonderem Maße ihre Aktualität, denn Gewalt gegen Frauen ist ein Thema der Stunde, wie es auch Identität ist, wobei wir bei der nächsten und letzten der Sechs, bei wären.
Aber erst einmal BLAUE FRAU, auf die ich mich so gefreut hatte und die ich mit großer Neugierde und positiv gestimmt zu lesen anfing. Und las und las und suchte und suchte nach dem Gefühl beim Lesen, das mich vorab so positiv gestimmt hatte, zudem, nachdem ich einige Interviews mit Antje Rávik Strubel gelesen hatte und sie bei der Lesung der Sechs im Frankfurt Literaturhaus erlebt hatte. Etwas streng, aber stringent. Was mich so positiv stimmte, war schon mal die Hauptfigur, die in der Ecke der Tschechoslowakei an Polens Grenze geborene Adina. Das ist übrigens die Ecke, wo auf der anderen Seite literarisch starke Frauen wachsen, die dann auch noch verfilmt auf der Berlinale Preise bekommen. Mit Recht. Ich spreche von dem Buch der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk GESANG DER FLEDERMÄUSE samt der Verfilmung POKOT/ DIE SPUR durch die verehrte Agnieszka Holland. Doch was sind überhaupt starke Frauen? Auf jeden Fall welche, die Ungerechtigkeit, Unheil, Unbill besser verarbeiten, wofür der genannte Film ja gerade zum Beweis wurde.
Weil die Autorin Recht hat, daß unser Blick immer gen Westen geht und wir nach und nach blind werden für das Geschehen im Osten Europas – wo ja gerade Deutschland historisch immer ein Mittler war - , war die Wahl von Strubel, eine junge Frau von dort zu nehmen, noch mal so einleuchtend und interessant auch. Konsequent auch ihr Weg nach Berlin, einleuchtend ihre Arbeit im weiteren Umland, in der Uckermark, wo der Bruch erfolgt: etwas, was sie sich selbst erst lange nicht mit dem Wort Vergewaltigung zugesteht, etwas, was sie aus der Bahn wirft, etwas, das sie nach Finnland katapultiert. Schön weit weg. Ante Rávik Strubel kann nur nicht wissen, daß ich sehr früh schon mich in Finnland gut auskannte und darum sofort verstand, warum es zwangsläufig ein Este ist, Leonides, der Adina aus ihren Ressentiments löst, aus ihrer Abwehr befreit und ihre Gefühle glühen läßt. Wenigstens vorübergehend. Estland ist der unmittelbare Nachbar Finnlands, von Helsinki gerade mal 86 km entfernt, viel näher als Schweden! Das wissen wir in der Regel nicht, weil wir den Norden und den Osten trennen aus unserer Mitteleuropaperspektive, die Mitte der Welt.
In Finnland arbeitet Adina, die auch Sala und Nina heißt, in einem Hotel als Aushilfe in Schwarzarbeit und lebt dort in einem Abstellraum lebt. In diesem Hotel wird ein Professor Leonides auf sie aufmerksam, der eine Professur in Tartu innehat, aber auch estnischer Abgeordneter der EU ist, zudem in Tallinn verheiratet, seine Frau kümmert sich um die Kinder. Davon weiß Adina noch nichts, als er sich um sie bemüht und sie sich rückverliebt. Sie sprechen auf Englisch miteinander, was ihrer Unterhaltung etwas Langsames gibt, da sie zumindest, sich alles zurückübersetzt.
Darauf muß man kommen, ein Este in Finnland, der nach Brüssel gehört. Ziehen Sie eine Linie von Estland nach Brüssel, von Brüssel nach Helsinki und Sie haben Deutschland und die Geburtsregion von Adina inmitten. Aber das ist alles nur Herumgerede. Nett, den Diskussionen der beiden über gesellschaftliche Problemen zu lauschen, wobei er spricht, sie höchstens Widerworte einwirft, aber man spürt von Anfang an, da kommt doch noch was. Und dieses Was ist ein Wer. Auf einem Empfang wird Adina des Mannes angesichtig, der sie in Deutschland vergewaltigt hatte. Sie flieht. Den Kampf nimmt sie nicht auf. Der Deutsche soll sogar geehrt werden. Denn er ist ein machtvoller Kulturguru. Ja, das kommt einem bekannt vor.
Am Meer, also sinnlich, ach was, übersinnlich treibt sich – völlig unabhängig vom Adinageschehen, eine blaue Frau herum, die weise oder erst einmal unverständliche Sachen sagt. Die Person mit der sie redet, hielt ich anfangs für Adina. Aber nein, es ist die Autorin und an anderer Stelle wies diese darauf hin, daß sie an zwei Projekten gearbeitet habe, der Adinageschichte und der Blauen Frau und dann auf die Idee kam, diese beiden zu verbinden. Für mich keine gute Sache.
Weiter in der Handlung. Adina erkennt ihren Vergewaltiger, flieht von der Veranstaltung, entzieht sich Leonides, der gerade auf diesen Mann dessen Laudatio halten soll. Wir bekommen mit, daß die Kulturvereinigung, die den Preis auslobt, in einer Sitzung von den Vorwürfen hört, sie aber lieber überhören möchte und den Preis verteilen will. Inzwischen weiß Leonides – Mittlerin ist Kristiina, eine interessante Frau, die wir hier übergehen – von der Vergewaltigung, will den Preis nicht mehr übergeben...die Handlung eilt jetzt. Erst will Adina nicht aussagen, vor niemandem, dann aber nach einem Gespräch mit Kristiina kommt, als diese schon nicht mehr daran glaubt, die Zusicherung, daß der Kleine Mohikaner Anklage erheben wird. Schluß.
Also, mir war das alles zu konstruiert, zu manieriert auch. Sicher entspricht die Widersprüchlichkeit der Gedanken und Gefühle von Adina genau dem Dilemma einer solchen Vergewaltigung für die Betroffene: soll sie aussagen, die Sache größer, öffentlicher machen, oder verschweigen und damit für immer damit leben müssen?
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Info:
Antje Rávik Strubel, Blaue Frau, S. Fischer Verlag 2021
ISBN 978 3 10 397101 9