Bildschirmfoto 2021 11 01 um 00.41.14Serie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, Teil 24

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie hatte ich mich auf diese, als rasante, phantasievolle Erzählung über heutige Fassungen des ursprünglichen mittelhochdeutschen Nibelungenliedes um 1200, der für ihre Fabulierkunst‘ gerühmten Felicitas Hoppe gefreut! Warum ich nicht zufrieden, ja grundsätzlich mit ihren Konzept nicht einverstanden bin, hängt am Text selber, verschärft durch ihre ‚Besetzung‘, mit der sie ihren ABSPANN/CREDITS versieht, wenn sie die Dramaturgie Quentin Tarantino zuschreibt!

Ernst Jandls: „werch ein illtum! ", paßt auch hier! Denn so brav hätte Quentin Tarantino nie und nimmer aus einem Beiboot seine Kommentare abgegeben, wie es die Autorin tut. Er hätte sich nie die Steilvorlage von Richard Wagners DER RING DER NIBELUNGEN entgehen lassen, weder die Dramaturgie der vier Teile, noch der wahrlich umwerfenden Musik, wenn es überhaupt um die Nibelungen gehen soll, was doch das Anliegen der Autorin ist. Das wäre doch etwas geworden, wenn diese Wagnersche Herausforderung das leicht provinzielle Wormser Ambiente aufgemischt hätte, das nun - ohne Wagner - die Autorin auf dem Beiboot selbst in Szene setzen muß, in dem sie sich als verantwortlich für das Drehbuch aufführt. Zu brav, bei allen witzig gemeinten und auch echt komischen Dialogstellen. Zu eindimensional, wenn man an die oben erwähnten Möglichkeiten denkt.

Hätte Felicitas Hoppe den Dramatiker und Komponisten Wagner hinzugenommen, hätte sie auch leichter die Verwirrung mit dem Stummfilm vermieden. Denn natürlich denkt da jeder beim Untertitel an den Stummfilm DIE NIBELUNGEN von Fritz Lang aus dem Jahr 1924, der aus zwei Teilen besteht und auf dem mittelalterlichen Nibelungenlied basiert. Nur handelt es sich bei den Aufführungen der Nibelungenfestspielen in Worms, von der dieser Roman erzählt, um die Moritz Rinkesche Bearbeitung des Theaterstücks von Friedrich Hebbel aus dem Jahr 1850. Dann aber bezieht sich die Autorin im Abspann wiederum auf eine Prosafassung des Nibelungenliedes durch Manfred Bierwisch und Uwe Johnson 2006. Weitere Verwirrung. Es ist unverständlich, warum die Autorin so hudelt, die Quellen nicht vollständig nutzt und die benutzen falsch zuordnet. Hätte sie doch wirklich Tarantino gefragt.

Das mußte einfach gesagt werden, weil dieses Buch ja eine Sensation hätte sein können! Das tut immer weh, weil man als Rezensent ja viel lieber begeistert ist, als rumzunörgeln. Aber das hier war kein Nörgeln, das geht tiefer. Bleiben wir ab jetzt allein beim Buch.

Dazu ist sinnvoll, erst einmal die Erzählstruktur des Romans zu verstehen. Überwiegend erzählt ein auktorialer Erzähler, der das Stück, besser: diese Inszenierung in Worms wiedergibt, mitsamt den auftretenden klassischen Nibelungenrollen. In diese mischt sich aber ein erzählendes Ich ein, das man beim Lesen eigentlich gerne verschiedenen Personen zukommen lassen möchte, von dem die Autorin aber in Ihrer Besetzungsangabe sagt: „Drehbuch und Zeuge im Beiboot Felicitas Hoppe“. Einer Autorin kann man in solcher Frage nicht widersprechen.

Die Erzählung über das Stück/die Aufführung beginnt wie ein Märchen: „Sicher ist nur: Es gab eine Zeit, da gehörten alle Schätze der Welt einer Frau. Bis die sich, ihrer überdrüssig, eines Tages auf und davon machten, sich an verschiedenen Orten versteckten und die Zauberer aller Länder bezahlten, um verzaubert und nicht gefunden zu werden." Der Märchenton setzt sich vor allem in den Kapitelüberschriften fort: Wie Siegfried am Hof zu Worms erscheint; Wie Siegfried den doppelten Hochzeitseiner besteigt; Wie der Laie aus Worms das Publikum zum Schunkeln bringt...Das ist der Märchenton, den wir mögen, der uns einlullt, der allerdings wenig mit dem Geschehen der Nibelungensaga zu tun hat, wo es ja mehr als heftig zugeht. Mord, Totschlag, Beischlaf mit der Falschen, ohne Verantwortung, da mit Tarnkappe, was das Ganze erschwert. Eifersucht, Traum vom Glück wie vom Reichtum, Intrige, Rachsucht, vollendete Rache und was nicht alles, was wir älteren Semester aus der US-Fernsehserie Dallas als menschliche Tragödien in Form von Seifenopern kannten.

Natürlich sind auch die mittelalterlichen Aufzeichnungen der Nibelungen nur die früheste uns bekannte Fassung, die Geschichte selbst geht viel weiter zurück und wir könnten sowieso gleich die griechische Mythologie als Quelle so mancher Familienzwiste und Liebes-Tod-Tragödien heranziehen. So setzt sich die Geschichte, die mit Siegfried den Ausgang nimmt, mit Hagen von Tronje, Brunhild, Kriemhild ,„das dreifache G Gunther, Gernot und Giselher (echt witzig ,der Coronabezug), Dietrich von Bern u.a. und am Schluß Etzel fort. Hübsch auch die Einfälle, Verfremdungen der Tarnkappe als Zwerg Zorn u.a.

So gibt es drei Abschnitte: Der Rhein, Die Donau und kurz Die Klage, zwischen die sich zwei PAUSEN schieben, eine ansprechende Idee, die mit den echten Pausen im Theater/der Oper korrespondieren. In diesen Pausen wird gefragt und geantwortet, zwischendurch ergreift die Icherzählerin das Wort und wir erfahren eine Menge über die Aufführungen, die Mitwirkenden, auch das Stück. Das wirkt wie die Eingeweide der äußeren Handlung, also Fleisch für Knochen.

Nicht so hoch hinaus, es geht übel aus, ist halt eine immer wieder bewahrheitete Kleinbürgermoral, die auch in hohen Kreisen reüssiert.

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Info:
Felicitas Hoppe, Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm, S. Fischer Verlag 2021
ISBN 978 3 10 032458 0