Paula Hawkins, WER DAS FEUER ENTFACHT bei blanvalet und Random House Audio, Teil 1/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum es sich lohnt, diesen Kriminalroman zu lesen und erst recht, über ihn zu schreiben, hat mit dem modernen Unwesen der Bestsellerjagten zu tun, denn es handelt sich um den neuesten Krimi des damaligen Senkrechtsstarters mit GIRL ON THE TRAIN. Ein wirklich stringent geschriebener Roman. Das kann man über den neuen, den dritten Krimi der Autorin nicht sagen, aber dafür hat sie einen zutiefst englischen Roman geschrieben und nur dieser Aspekt ist wirklich von Interesse.
Ansonsten kann man den Roman, der völlig anders geartet ist als jeder Agatha-Christie-Roman, pfeilgenau in die Rubrik Who dunit einreihen . Das ist die Schreibstrategie, wo abduktives Schlussfolgern nach und nach den Täterkreis einengt. Die allmähliche Aufklärung des Verbrechens verläuft dabei so, daß ein potentieller Täter nach dem anderen ‚serviert‘ wird, dann aber dessen Unschuld deutlich wird und der nächste dran ist. Das wird hier wie im Lehrbuch vorgeführt. Warum das Ganze erträglich ist und sogar einen Gewinn versprechen kann, hat mit der unendlichen Liebe der Engländer zur Skurrilität zu tun, hier nämlich, allen handelnden Personen nicht nur eine eigene, unverwechselbare Lebensgeschichte auf den Leib zu schreiben, sondern sie in ihren Eigenarten und Lebensdramen als beschädigt darzustellen. Ein Zusammentreffen solcher merkwürdigen Personen wäre bei uns weder in der Wirklchkeit,, erst recht nicht im Roman möglich.
Warum ich auf diesen Aspekt so Wert lege, hat mit meinem eigenen Erkenntnisgewinn zu tun, die mir Film, Buch und Kalender der Contaganopfer „NoBody‘s Perfect“ von Niko von Glasow brachten, der Film wurde übrigens 2009 – so lange ist das schon wieder her – als bester Deutscher Dokumentarfilm ausgezeichnet. In dem Film wird das Leben der Contergangeschädigten in verschiedenen Ländern geschildert, einschließlich der Entschädigungszahlen von der Firma Grünenthal. Dabei fällt Zweierlei auf. In England leben Conterganopfer viel lustiger, ja geradezu schräg und in der Gesellschaft integriert. Den englischen Opfern hat Grünenthal sehr viel mehr Entschädigungsleistungen gezahlt, als anderswo, weil der Protest dort lauter und von selbstbewußten Opfern geführt wurde.
Wer nun glaubt, das habe doch nichts mit dem neuen Krimi der Bestsellerautorin Paula Hawkins zu tun, irrt. Das kann man nämlich als Vorbemerkung zu ihrem literatischen Personal werten, das eher kammerspielartig auf wenige Personen beschränkt ist, die aber auf 408 Seiten ihr Leben, ihr Leiden ausbreiten, wobei die vielen Facetten des Einanderkennens sich erst nach und nach entschlüsseln.
Fangen wir mit Daniel Sutherland an. Ein armer Kerl, der seine Demütigungen im Leben aggressiv weitergibt. Wenigstens bisher, denn wir lernen ihn als erste Leiche kennen. Auf einem schäbigen Hausboot. Erst viel später erfahren wir von der Tragödie der Familie, die auf alle Auswirkungen hat. Daniels Mutter Angela nämlich war schuld daran, daß der kleine Sohn Ben ihrer Schwester Carla in die Tiefe stürzte, seither trinkt sie, den Vater kennt er nicht. Und außerdem ist Angela gerade gestorben, was ihrer Schwester Carla, die mit einem berühmten Krimiautoren verheiratet war/ist, zu schaffen macht.
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Info:
Paula Hawkins, Wer das Feuer entfacht. Keine Tat ist je vergessen, blanvalet 2021
ISBN 978 3 7645 0782 4
Paula Hawkins, Wer das Feuer entfacht. Keine Tat ist je vergessen, leicht gekürzte Lesung, 2 mp3-CD, Gesamtpsielzeit 10 Stunden, gelesen von Britta Steffenhagen, Random House Audio,
ISBN 9 783837 156959