Bildschirmfoto 2021 12 03 um 23.46.46Am 1. Dezember jährte sich zum zehnten Mal der Todestag der Schriftstellerin Christa Wolf, Teil 4

Juliane Schätze

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit dem Manuskript „Nachdenken über Christa T.“ stellt sie einen Roman vor, der im Stil der subjektiven Authentizität geschrieben ist. Marcel Reich-Ranicki lobt „Nachdenken über Christa T.“: „[...] weder bieder noch betulich, übertrifft den Erstling in jeder Hinsicht [...]“ Er greift das Zitat heraus: „Sie muss frühzeitig Kenntnis bekommen haben – heißt es von Christa T. – von unserer Unfähigkeit, die Dinge so zu sagen, wie sie sind. Ich frage mich sogar, ob man zu früh klarsichtig, zu früh der Selbsttäuschung beraubt sein kann.“

Die Folgen, so Reich-Ranicki, seien Lustlosigkeit, Depression, Resignation und Todeswunsch. Er kommt zu dem Schluss, Christa T. sterbe zwar an Leukämie, leide aber an der DDR. Christa T. entscheide sich, trotz des Wissens um ihre tödliche Krankheit, kurz vor ihrem Tod, für den Hausbau auf dem Land, weit ab von den Zentren des Lebens. Sie bleibe somit in der DDR. Reich-Ranicki folgert, dass Christa Wolf als Alternative zur DDR-Politik nur die Flucht in die Idylle sehe und sich so gegen die „Phantasielosen“ und die „Tatsachenmenschen“ auflehne. Sie wehre sich mit Mitteln einer neuen, von den deutschen Klassikern beeinflussten Empfindsamkeit gegen die engstirnige Rationalität.

Im Roman werden die Beziehungen zwischen den Figuren beleuchtet, eine nacherzählbare Handlung fehlt. In der DDR herrschen über den Schreibstil und den Inhalt größtenteils Verwirrung. Der Roman wird heftig kritisiert, findet im Schriftsteller- und Bekanntenkreis aber viele Befürworter. Trotz Ankündigungen in den Literaturzeitschriften erscheint der Roman in der DDR einige Monate später als in der BRD.

Besonderes Lob erhält im Westen Deutschlands das nachfolgende Essay „Kein Ort. Nirgends“ über die Schriftsteller der Romantik: Karoline von Günderode und Heinrich von Kleist. Christa Wolfs Interesse war zum Einen der sich entwickelnden politischen Skepsis geschuldet, zum Anderen ermuntert Anna Seghers sie, mit der sie freundschaftlich verbunden ist, sich mit den Romantikern zu beschäftigen.

Ihr neuer Schreibstil und das romantische Thema passen sehr gut zueinander. Außerdem bewirken ihre essayistischen Texte, dass sie zu einer therapeutischen Instanz der Lebensberatung und Seelsorge avanciert. Sie versucht, auf der Basis des neuen Schreibstils, auch die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie nutzt die Form der Autobiographie, um ihre Kindheit und Jugend im Dritten Reich zu beschreiben; bereist mit Ehemann und Bruder den Geburtsort im heutigen Polen und stellt umfassende Recherchen und Studien an. Nach etwa fünf Jahren Arbeit entsteht „Kindheitsmuster“, das 1976 erscheint. Die Krebserkrankungen dreier Frauen unterschiedlichen Alters und ihr Sterben werden als Reaktionen auf unbewältigte Verhältnisse gedeutet. Der Körper wird zur Metapher für die Gesellschaft. Auf Probleme im Arbeitsalltag reagiert Christa Wolf mit schweren Erkrankungen, die zu längeren Krankenhausaufenthalten führen. In „Kindheitsmuster“ stellt sie diese Vorgänge dar und nimmt so die Position einer Ärztin, Therapeutin und Feministin ein.

Annemarie Auer, eine frühere Kollegin von Christa Wolf bei der Literaturzeitschrift „Neue deutsche Literatur“ unterzieht „Kindheitsmuster“ einer besonders scharfen Kritik, zumal der Roman zeitgleich mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann erscheint. In der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ wirft Annemarie Auer Christa Wolf „Selbstmitleid, Wehleidigkeit, Ich-Faszination, Elitebewusstsein“ vor und unterstellt ihr berechnendes Kalkül und mangelndes Klassenbewusstsein. Zitat Auer: „Denn sehe ich auf den wirklichen Lebenszuschnitt dieser nun mittleren Generation, so erblicke ich Karrieren ganz zur rechten Zeit, feine Wohnungen oder Häuser [...]. Man reist, man empfängt Ehren, man lässt es sich an nichts fehlen.“ Ihre Kritik gipfelt in dem Satz: „Um ein Nazi gewesen zu sein, musste man entweder dumm sein oder schlecht.“ Eine Auseinandersetzung der DDR-Bürger mit der eignen Vergangenheit in der Zeit des Faschismus lehnt Auer empört ab.

Fortsetzung folgt

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Info:
Die Serie zu Christa Wolf
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