RUEFFER 20211208 8R1 0958 Peter Kraus vom Cleff previewInterview mit dem neuen Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins

Torsten Casimir

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im ersten Interview an der Spitze des Börsenvereins spricht Peter Kraus vom Cleff über das Anfangen, auch über das Aufhören. Und kennen Sie schon das Ikigai der Buchbranche?

Die Lage der Branche ist von hohen Kosten, geringen Margen, mutlosen Produktpreisen, teurer Logistik und schwieriger Beschaffung geprägt. Sie übernehmen in krisenhafter Zeit. Wie fühlen Sie sich dabei?

Ich möchte nicht die Krisen, sondern die Chancen, die wir alle haben, in den Mittelpunkt stellen. Auch andere Branchen haben prekäre Situationen zu meistern. Es ist, glaube ich, leichter, in schweren Zeiten eine Aufgabe zu übernehmen als in Zeiten, in denen alles super läuft.


Was kann ein Verband beitragen zum wirtschaftlichen Erfolg seiner Mitglieder?

Ein Verband ist vor allem dafür da, die Mitglieder zusammenzubringen. Als ich bei Rowohlt anfing, gab ich den Claim aus: »Wir verändern uns, bevor wir verändert werden«; das war vor der Digitalisierung. Für den Börsen­verein und mit Blick auf unsere Branche wäre jetzt mein Vorschlag eines Claims »Gemeinsam anders«.


Was meinen Sie damit?

Zweierlei. Zum einen, dass wir uns bewusst machen: Ja, wir sind anders, jede Sparte, jedes Mitgliedsunternehmen auf eigene Weise. Es mag unterschiedliche Unternehmenskulturen, -größen, -ziele geben. Was uns aber zusammenhält, egal ob im Lektorat, im Barsortiment oder in der Buchhandlung um die Ecke, ist die Leidenschaft, mit Büchern und für Bücher zu arbeiten. Die Japaner nennen das Ikigai – die Freude und das Lebensziel. Das Ikigai der Buchbranche liegt nicht in einer unendlichen Rendite, sondern in einem Sinn. Und zum anderen: Wir wollen uns auch gemeinsam verändern, neue Wege gehen, da wo es für das Buch und die Gesellschaft sinnvoll ist.


In welchen Bereichen ist denn Veränderung notwendig?
Ich möchte gern mehr machen im Bereich der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, den Sustain­able Development Goals (SDG). Diese Ziele umfassen eine nachhaltige Entwicklung in Bereichen wie Klimaschutz, aber auch Gleichberechtigung, gesellschaftliche Vielfalt, Bildung und Menschenrechte. Wir als Buchbranche haben da sehr viele Berührungs- und Einflusspunkte.


Zum Beispiel?

Natürlich wie alle Branchen die Verringerung unseres ökologischen Fußabdrucks. Dann Meinungs- und Publikationsfreiheit. Aber auch etwa Leseförderung, Kinder zum Lesen bringen. Ich finde, dass Bildung und Fortbildung essenziell sind für die Gesellschaft. Wenn man sieht, wie leidenschaftlich etwa die Schulbuchverlage arbeiten, um Stoffe zu vermitteln, auch um Spaß ins Lernen zu bringen, dann wird das Potenzial der Buchbranche bei diesem Thema sehr deutlich.


Hier leistet der Börsenverein traditionell schon sehr viel mit dem Vorlesewettbewerb.

Auf jeden Fall. Unser Narrativ sollte auch nicht nur sein, was wir alles noch angehen müssen, sondern was wir gemeinsam schon tun. Tobias Ott von Greenpeace rief neulich dazu auf, nicht nur über den Carbon Footprint zu reden, sondern auch über unseren Handprint: Was leisten wir für unsere Gesellschaft? Den Footprint setze ich oft unachtsam und verursache eine Zerstörung. Einen Handprint hinter­lasse ich bewusst. Ich denke, wir können unser Engagement noch weiter ausbauen.
 
 
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Der Nationale Lesepakt zum Beispiel war ein sehr guter Ansatz. Jetzt müssen wir überlegen, wie es weitergeht und was jeder der Partner konkret beitragen kann. Es fehlt uns vielleicht an kreativen Ansätzen. Von ein paar Lehrerinnen und Lehrern habe ich neulich eine tolle Idee mitbekommen. Die machen eine Lese-Challenge als Wettkampf zwischen den Klassen, indem sie den Kindern sagen: Hier sind 200 Meter, wenn ihr die bis zum Jahresende mit Lektüre ausgelegt habt, bekommt ihr eine Belohnung. Ich fand das klug. Denn der Beitrag, den das einzelne Kind leisten kann, bemisst sich nicht daran, dass jeder, sagen wir, »Krabat« gelesen haben muss. Sondern es zählt auch eine Fünf-Zentimeter-Graphic-Novel-Schwarte, die eigentlich für Elfjährige gedacht ist, aber von einem 13-Jährigen eingebracht wurde.
 
 
Da bekommt der Begriff Lesemotiv eine zusätzliche Lesart.

(lacht) Aber im Ernst: Es bedrückt mich – auch als Ökonom –, wenn ein Drittel der Eltern ihren Kindern nie oder selten vorliest. Und wenn jedes fünfte Kind nach Verlassen der Grundschule keine Lesekompetenz hat. Das ändert sich dann später nur noch schwer und belastet den Eintritt ins Berufsleben erheblich.

Wenn künftig die SDG 17 eine zentrale Rolle spielen sollen: Haben Sie für den Verband eine neue Themenhierarchie in der politischen Arbeit im Sinn?

Ich möchte die Ziele und Schwerpunkte, die der Börsenverein schon lange verfolgt, nicht infrage stellen, sondern sie ergänzen. Daraus kann sich im Miteinander vielleicht eine neue Akzentuierung ergeben.
 
 
Sehen Sie bei Themen wie Nachhaltigkeit oder digitaler Transformation eine gestaltende Rolle des Börsenvereins?

Wesentlich ist nach meiner Ansicht, die Moderation zu übernehmen, intelligente Menschen mit guten Ideen zusammenzubringen. Wir sollten das Innovations- und Klugheitspotenzial der Mitglieder nicht unterschätzen. Ich habe jahrelang in der AG Pro, heute IG Pro, mitgemacht und fand es begeis­ternd, wie inspirierend dort diskutiert und gearbeitet wurde. Von dieser Art kreativer Prozesse brauchen wir noch mehr im Verband. Wir müssen wissen: Wo stecken welche Ideen, und wie bringe ich die zusammen? So vermeiden wir Redundanzen und ­befördern den Austausch.


"Ein Verband ist dazu da, Nutzen für die Mitglieder zu erzeugen": Peter Kraus vom Cleff gibt eine klare Zwecksetzung vor.
Ich bin so ein Management-by-walking-around-Typ.Peter Kraus vom Cleff über sich selbst.

Fotos:
Frankfurter Aussichten: Peter Kraus vom Cleff ist als neuer Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins im Haus des Buches angekommen
© Rainer Rüffer


 
Info:
Quelle Börsenblatt
Meinung der WELTEXPRESSO-Redaktion: Er tritt in große Fußstapfen, der Neue an der Spitze des Börsenvereins, nachdem sein Vorgänger Alexander Skipis altersbedingt ausschied, ein großer Verlust, weil er sich für die Freiheit des Wortes im In- und Ausland so einsetzte, wie noch kein Geschäftsführer vor ihm. Mutig und eindeutig. also auch ein Vorbild für den Nachfolger.