Der erste Roman der Marokkanerin Abigail Assor
Hanswerner Kruse
Sarah, die bettelarme sechzehnjährige Französin lebt mit ihrer Mutter nahe der Slums in Casablanca, will aber „So reich wie der König“ (Buchtitel) werden. Denn „so wie du aussiehst, brauchst du nie zu arbeiten“, sagen ihr die Leute.
Die junge marokkanische Autorin Abigail Assor (31) erzählt die Geschichte Sarahs ausschließlich aus deren Perspektive. Sarah ist ein amoralisches Biest, das die reichen Jungs der Machogesellschaft um ihre Finger wickelt und ausnimmt. „Anfangs war sie immer sofort für die Liebe bereit gewesen, um sich ein Panini ausgeben zu lassen. Doch Tage später spuckten ihr die Typen ins Gesicht und zahlten nie mehr irgendwas.“ Daraus lernte sie und sucht sich nur noch ältere reiche Gymnasiasten, bei denen sie die schüchterne Verliebte spielt.
In der neuen Clique ist Driss, der reichste von allen „ hässlich, wirklich hässlich keine Frage.“ Extrem verklemmt sieht er nie jemanden an, doch einmal blickt er auf Sarah: „Da sah sie diese Augen. Sie waren winzig, aber grün, aus einem unbequem Grün der Natur, dem Grün der Thymianblätter im Hohen Atlas, das in niemandes Augen etwas zu suchen hatte - und dieses Grün glitt über sie hinweg.“ Als sie beschließt alles zu tun um ihn zu heiraten, beginnt ein orientalisches Märchen. Sarah sucht Verbündete um Driss zu erobern, umzingelt ihn mit ihrer Leidenschaft und bald nach dem ersten Kuss bringt sie ihm die Liebe bei.
Driss weiß um Sarahs verheimlichte Armut, aber die stört ihn nicht, denn er ist fasziniert von armen Menschen wie den Fabrikarbeiterinnen seines Vaters oder den Dienstmädchen seiner Mutter. Rebellisch unterstützt er ihre Familie mit Geschenken während des Ramadans. In diesen Tagen entdeckt Sarah, dass sie bei Driss Ruhe findet und nicht mehr an Geld denkt. Doch dann wendet sich die Geschichte, auch sprachlich, denn was vorher blumig-arabisch erzählt wurde, gerät jetzt zum bedrückenden Drama.
Während des Opferfestes das dem Fastenmonat folgt, ist in Casablanca das Blöken der geopferten Lämmer zu hören. Lohnmetzger rennen schreiend mit langen Messern durch die Stadt. Überall stinkt es nach Blut. Gedärme und Innereien werden auf die Straßen geworfen. Währenddessen rebelliert Driss gegen seine arabische Adelsfamilie die ihn zwingen will, die schwangere - Unwürdige zu verstoßen. Wir wollen nicht verraten, ob die archaische Herrscherschicht Marokkos wirklich eine moderne Lösung zulässt.
Assor führt uns in ihrem ersten Roman mit wunderbarer Bildersprache in eine zerrissene orientalische Welt. Sie urteilt nicht moralisch über Sarah, sondern sympathisiert mit deren Aufbegehren in der Machowelt. Die Marokkanerin weiß gut worüber sie schreibt, denn sie wuchs in Casablanca auf, bevor sie in Paris und London studierte.
Fotos:
© Francesca Mantovani/Éditions Gallimard/Insel Verlag.
Info:
Abigail Assor: So reich wie der König, Insel-Verlag, Fester Einband mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 23 Euro. Erscheint am 14. Februar 2022