Die Ilias nacherzählt von Alessandro Baricco als Hörbuch bei Osterwold audio
von Felicitas Schubert
München (Weltexpresso) – Die allerwenigstens lesen das älteste Heldenepos der abendländischen Literatur heute noch im Original auf Griechisch – leider, denn es klingt wunderbar! Aber viele lesen es auch nicht mehr in den deutschen Übersetzungen, denn die Hexameter klingen zwar schön, erschweren aber im Sechsermaß die Aufnahme des Inhalts. Der Italiener Alessandro Baricco, für philosophische, musikwissenschaftliche und theatererprobte Literatur bekannt, hat sich daran gemacht, den Inhalt aus den je wechselnden Perspektiven der einzelnen Helden und Beteiligten erzählen zu lassen.
Das heißt konkret, daß er mit 21 Sprechern- alle vom Thalia Theater Hamburg – das letzte Jahr des zehnjährigen Krieges der Achäer, Sammelname für die Griechen unter Agamemnon, gegen das Volk von Troja nacherzählt, einen Krieg, den diese führten, um Helena, die Frau des Menelaos – Bruder des Agamemnon – wieder nach Hause zu holen, denn Paris, der Sohn des trojanischen Königs Priamos hatte diese entführt– ja, mit ihrem Einverständnis, denn er war jung und schön und Menelaos alt. Halt, muß man sich sofort sagen, denn jedesmal ist diese Geschichte so aufwühlend und in alle Facetten zerbröselnd, daß man sie am liebsten nacherzählen will, jedesmal von vorne.
Das macht auch Alessandro Baricco. Allerdings hat er nicht die Ilias übersetzt, die da beginnt:
Singe, Göttin die Wut des Peleiden Achilleus,
Welche verderbend den Griechen so vielen Jammer bereitet,
Viele starke Seelen der Helden hinab zu den Schatten
Sandte, ihre Körper zur Beute den Hunden zurückließ
Und dem Gevögel: so ward der Wille Kronions erfüllet,
Von dem Tage, da sich durch zürnende Reden entzweiten
Agamemnon, der König des Volks, und der edle Achilleus.
Das ist heute langwierig und nicht mehr einfach zu verstehen, selbst wenn es neuere Übersetzungen sind. Baricco dagegen hat nicht nur in den Worten von heute nacherzählt (deutsche Übersetzung von Marianne Schneider), er hat gleichzeitig auf 4 CDs mit einer Laufzeit von 312 Minuten eine Inszenierung mit verteilten Rollen niedergeschrieben. So beginnt Chryseis, gelesen von Lisa Hagmeister, von dem Geschehen zu berichten, wie sie als Kriegsbeute gefangengenommen zum Besitz von Agamemnon wird, ihr Vater, ein Apollonpriester, sie herausfordert, was der Anführer der Achäer ablehnt und von nun an alles schief geht, weil Apoll sich rächt.
Allerdings gibt es Apoll gar nicht, nur den Priester. Denn Baricco hatte als eine seiner Vorgaben für sich selbst die Götter beim Erzählen eliminiert. Das erzählt sich zwar leichter, wenn alles nur noch Menschenwerk ist, denn dann kann jeder aus seiner persönlichen Sicht eine neue Facette zum Kriegsgeschehen beitragen. Achill braucht keine Muse mehr, sondern erzählt auf CD 2 selbst von seinem Zorn, von dem Chryseis schon am Anfang berichtet und der tatsächlich der Furor ist, der den Krieg um Troja im zehnten Jahr zur entscheidenden Schlacht führt. Das allerdings wird in der Odyssee zu Ende erzählt.
Wie gesagt, das ist menschlich verständlich, was die Helden, der edle Hektor, der listenreiche Odysseus, der rachsüchtige Achill und der schöne Paris zu erzählen haben. Das ist sogar so menschlich, daß auch das Begleitpersonal wie Andromache als Frau des Hektors und ihre Amme direkt vom Kampfgeschehen und den Reflexen auf das Leben in Troja berichten. Allein, mit Verlaub, lieber Alessandro Baricco: uns fehlen die Götter sehr. Denn der trojanische Krieg ist nicht pures Menschenwerk. Die Kriege auf Erden sonst eigentlich immer.
Aber gerade dieser Krieg war doch, wenn wir Homer richtig verstehen, gedacht, um die Kleinheit und Abhängigkeit der Menschen hienieden, seien sie auch Helden und Halbgötter, weil mit göttlicher Abstammung durch Mutter oder Vater, um ihre menschliche Schachfigurenmentalität vorzuführen, wie sie stellvertretend den Götterkampf austrugen: denn die einen, wie Hera, die Bewahrerin der Ehe war gegen die Trojaner zusammen mit Athena und Poseidon, weil Paris die Ehefrau geklaut hatte, und andere wie Aphrodite, Apoll und Ares waren für die Trojaner.
Nun ohne Götter und ihren Mißbrauch der Menschen, bleibt die Ilias noch immer eine spannende Geschichte, aber es fehlt die Mitte. Also eine Ilias mit leerer Mitte. Das würden auf jeden Fall sofort all die Schüler sagen, die in der U-Bahn Richtung Humanistisches Gymnasium die beiden Götterseiten aufzählen, weil sie auf eine Klassenarbeit im Griechischen warten. Es kann sein, daß dies bei Lesungen – so fing Baricco in Rom und Turin an – weniger ins Gewicht fällt, weil es mehr um die Dramaturgie beim Sprechen geht. Hört man sich aber die vier DCs tatsächlich von vorne bis hinten an, tritt eine gewisse Ermüdung auf, weil das Prinzip des Sichhineinversetzens in die Personen auch eine Eindimensionalität erhält.
Trotzdem sind wir dafür, auch diese Ilias zu Wort kommen zu lassen, denn die eigene Kenntnis dieser fundamental europäischen Geschichte kann gar nicht gut genug sein. Sie bevölkert nicht nur moderne Opern, alte sowieso, sondern ist Thema von Gemälden wie auch medialen Spielen. Sie nutzt also jedem. Dem einen als Zugang zum Epos, dem anderen als Wiederauffrischung und am tollsten wäre das natürlich, wenn – was wir einfach tun mußten – man sich beim Hören auch wieder einmal die deutsche Übersetzung des Originals holt und blättert. Sie können übrigens auch nach- oder mitlesen. Denn bei Hanser gibt es das Buch zum Hören sozusagen.
So sprach Achill. Die Ilias nacherzählt von Alessandro Baricco
ISBN: 978-3-86952-098-8
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