Schweizer Buchpreis 2011, Teil 6 : Die Preisverleihung am 20. November
von Claudia Schulmerich
Basel (Weltexpresso) – Wir hatten die Preisveranstaltung zur Vorstellung der vier Bücher, die am Schluß nicht siegreich waren, unterbrochen an der Stelle, als Moderatorin Luzia Stettler die beiden für den Schweizer Buchpreis wichtigen Personen, weil Mandatsträger, auf die Bühne holte: Marianne Sax als Präsidentin des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes und Felix Werner, der Messe- und Festivalleiter der BuchBasel, sprechen also für die Organisationen, die den Preis ausrichten, am Schluß auch bezahlen und dazwischen von Jury-Berufung bis zu den Lesungen landauf landab dafür sorgen, daß die Absicht des Preises, das Augenmerk auf Schweizer Autoren oder hier Lebende zu richten, aufgeht.
Marianne Sax schloß sich dem schönen Satz von Peter von Matt an: „Bücher sind autonome Wesen“, denn ist ein Buch erst einmal in der Welt, geht es seinen eigenen Weg. Felix Werner ließ die kurze Geschichte des Buchpreises Revue passieren und schloß aus den Verkaufszahlen der bisherigen Preisträger, daß sich die Einrichtung des Preises und das folgende Drumherum bezahlt gemacht habe. Deutlich sagte er allerdings, daß es nicht die Zahlen seien, die für ihn den Erfolg des Schweizer Buchpreises ausmachten, sondern in welchem Ausmaß die Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit auf Bücher richtete. Damit sind auch die zahlreichen Zuhörer angesprochen, die der Preisverleihung ein anderes Gesicht geben als beim Deutschen Buchpreis.
Dort wird in einer – ebenfalls sehr schönen, informativen - Feierstunde im Frankfurter Römer, jeweils am Montag vor Beginn der Frankfurter Buchmesse, nur einem ausgewählten Publikum, bestehend aus Verlagsmitarbeitern, Buchhändlern, Autoren und Presse, die Entscheidung, wer den Buchpreis errungen hat, bekanntgegeben, die sodann sofort über Radio, Fernsehen, Internet und Presse ins Land geschickt wird. Der normale Leser, selbst der, der täglich ein Buch kaufte, kann nicht dabei sein.
Allerdings würde ein Rahmen der Preisverleihung mit Lesern in Frankfurt jegliche Räumlichkeit sprengen. Dennoch gefällt uns die Anwesenheit von Bücherliebhabern, die nichts mit den Buchgeschäften zu tun haben, gut. Sie geben der Veranstaltung eine besondere Herzlichkeit und Wärme. Das sieht man auch, wie sich die Gäste respektvoll den anwesenden Autoren nähern, zu denen diesmal auch der sehr beklatschte Buchpreisträger von 2008, Rolf Lappert, zählte, der zudem seinen Wohnort von Irland wieder in die Schweiz verlegt hat.
Felix Werner notierte noch einmal die Daten des diesjährigen Buchpreises, wo aus 40 Verlagen – 17 aus der Schweiz, 20 aus Deutschland, 3 aus Österreich – sechzig Bücher zur Auswahl eingereicht und benannt worden waren, die zwischen dem 1.10. des Vorjahres bis zum 30. September 2011 erschienen sein müssen und wie bekannt alle Prosawerke umfassen, also Erzählung, Essay und Roman.
Jurysprecher Hans Ulrich Probst stand dann Luzia Stettler Rede und Antwort und verglich launig die Bücher mit Wein. Ohne daß die Jury Öchslegrade messe, gäbe es gute und schlechte Jahrgänge (Lieber Herr Probst, die Öchslegrade sagen etwas über den Alkoholgehalt aus, nicht über die Qualität). Für den Jahrgang 2011 könne man Übereinstimmungen finden: es handele sich um historische Stoffe, die aber total unterschiedlich literarisch behandelt würden. Uns fiel zudem auf, was in der Schweiz nicht thematisiert wurde, daß erneut ein Buch ausgewählt wurde, das nicht von einem „Urschweizer“, sondern einem Zugezogenen geschrieben wurde und auch nicht die Schweiz, sondern das östliche Europa behandelt. Uns scheint, daß die Schweiz sich auch in der Literatur Europa noch stärker öffnet, zumal auch zwei andere Finalisten ihre historischen Stoffe nicht in der Schweiz spielen lassen, während Peter Stamm und Monica Cantieni vernehmlich Schweizer in ihren Werken sprechen lassen.
Die Laudatio auf das Preisbuch hatte eingereiht in die alphabetische Abfolge Thomas Strässle auf „Jacob beschließt zu lieben“ von Catalin Dorian Florescu gehalten und von ihm und dem Buch gesagt, daß er „die Lebens- und Leidensgeschichte des Jacob Obertin: Geboren auf einem Misthaufen und aufgewachsen in einem Nest namens Triebswetter im Banat“ erzähle. „Er wird als Rumäniendeutscher am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Russen nach Sibirien deportiert, kann unterwegs entkommen, überlebt bei einem schrulligen Polen und kehrt nach Triebswetter zurück, um von dort neuerlich ins Nirgendwo deportiert zu werden. Jacob Obertin ist ein moderner Pikaro, ein Antiheld, der erbarmungslos in der Welt herumgeworfen wird und dem zuletzt nur noch da schallend verzweifelte Lachen über das eigene Schicksal bleibt.“
Ein weiteres Mal las Vincent Leittersdorf den Buchanfang. „In jedem Sturm steckt ein Teufel. In einem sommerlich flüchtigen wie auch in einem, der sich tagelang schwer aufs Land legt. Er versteckt sich vor Gott. Je ängstlicher er wird, desto kräftiger wirbelt er die Luft und die Erde auf. Doch auch das nützt ihm wenig. Wenn dann der Sturm draußen auf den Feldern jault, wissen die Menschen, daß Gott den Teufel gefunden hat. Hat er Glück, so kann er fliehen. Er tritt aus dem Orkan heraus, der Wind legt sich, und die Wolken lösen sich auf, als ob es sie nie gegeben hätte. Aber es ist zu früh zum Aufatmen, zu dringend braucht der Gehetzte neue Tarnung. Er wird sie im Fell einer Katze oder in der lichten Krone einer Buche suchen. Wer sich an solchen Tagen aus dem Haus traut, rafft die Kleider fester um den Körper, damit der Teufel sich nicht einschleicht.“
Die die ganze Veranstaltung hindurch sich steigernde Spannung kann man fühlen, wenn die Präsidentin Marianne Sax von der Jury den Umschlag entgegennimmt, den sie oben vor dem Pult öffnet und den Preisträger verliest, der 2011 Catalin Dorian Florescu heißt. Daß diesem dann bei der Danksagung die Worte fehlten, gehört auch zu den emotional rührenden Momenten. Mit dem „Danke“ war ja auch alles gesagt.
Es war also eine schöne Feierstunde, an der wir nur die Bühnenpräsenz der vier nicht prämierten Finalisten vermißten. Über ihre Bücher wird geredet, der Anfang zitiert, aber die lebendigen Menschen nicht vorgestellt. Wir finden ebenfalls, daß sich der Schweizer Buchpreis, der mit 50 000 Franken sehr viel höher ausfällt, als der Deutsche mit 25 000 Euro, dennoch ein Beispiel nehmen könnte an diesem, da in Frankfurt auch die Nichtgewinner, aber in die Endrunde Gekommenen, je 2 500 Euro erhalten. Zudem fragt sich, wie man den deutschsprachigen Schweizer Buchpreis mit einem französisch- und italienischsprachigen verknüpfen könnte.
Für diesmal waren wir baff, daß keiner in der Schweiz das ansprach, was in Deutschland diskutiert wurde: alle fünf Finalisten haben ihre Bücher in deutschen Verlagen veröffentlicht. Den Schweizer Buchhandel müßte das nicht weiter interessieren: Geschäft ist Geschäft. Aber den Schweizer Verlegerverband doch eigentlich schon. Darüber haben wir aber kein Wort gehört und es scheint auch keine zu geben. Fortsetzung erst im nächsten Jahr anläßlich der BuchBasel 2012.