KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio Ende 2013 bis Anfang 2014, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das wollten wir schon lange wieder einmal thematisieren: Da gibt es Kriminalromane, die es auf die KrimiZeit-Bestenliste geschafft haben – und schon beim nächsten Mal sind sie wieder weg. Da wir nicht immer alle bei der ersten Nennung schon lesen konnten, kommen solche Krimis bei der Kommentierung dann zu kurz, weil man beim nächsten Mal nur ihr 'Verscheiden' bedauern, selten gutheißen kann.

 

 

Wir sprechen wirklich von Bedauern, weil uns die Kriterien, warum erst eine Nennung erfolgt, die dann schon auf der nächsten Liste ins Aus gelangt, inhaltlich nicht einsichtig wird. Es gibt auch keine. Kriterien nämlich. Manches ist schlicht Zufall, denn, wenn jedes Jurymitglied ein Buch dreimal nennen darf und wohl – nehmen wir an – zehn nennen darf, gibt’s zwangsläufig Verluste, die gar keine inhaltlichen Gründe haben. Wir haben JOHN BOYNE mit seinem Roman DER FREUNDLICHE MR CRIPPEN aus dem Arche Verlag deshalb auf die Titelzeile gebracht, weil uns das Buch so ausnehmend gut gefiel.

 

Falls Ihnen der Name bekannt vorkommt, sind sie in der Kriminalgeschichte gut bewandert. Boyne nimmt nämlich einen bekannten und gelösten Fall, denn des Ehefrauenmörders Crippen - auf und gibt ihm den nötigen psychologischen, aber auch medizinischen und kulturpolitischen Hintergrund. Tatsächlich tut einem dieser Mr Crippen beim Lesen leid und man bringt größtes Verständnis auf dafür, daß er eine Geliebte braucht, eine ganz liebe und ehrenwerte junge Frau. Dennoch hapert's bei diesem Mann von Anfang an in seinem Gefühlshaushalt. Geradezu klinisch wird hier ein Aufwachsen unter schrecklichen Bedingungen in einem harten Amerika beschrieben. Hawley Crippen kam 1862 in Nordamerika zur Welt, zerlegt in der Jugend Tiere für sein Taschengeld und als Lehrstück für seine späteren praktische Anwendung im selbsternannten Arztberuf, einschließlich des Mordes und der anschließenden Zerstückelung seiner Frau in London.

 

Das war schon die zweite Frau, die erste war in Amerika verstorben, weshalb er nach Europa ging, und sich sterblich in Cora verliebte, die in Wirklichkeit Kunigunde Mackamotzki hieß und deutsch-polnischer Herkunft war. Andere sagen, er lernte sie in den USA kennen, wiederum andere in Deutschland, auf jeden Fall lebten sie in London auf größerem Fuß, als es sich Mr Crippen leisten konnte. Diese Frau wird so unerträglich geschildert, in ihrem Anspruchsdenken, sie will Opernsängerin werden, hat aber nicht das Talent dazu, nämlich vor allem eine zu kleine und keine tragende Stimme, nimmt aber dauernd Gesangsstunden, die er kaum bezahlen kann, so daß man mit dem Unsympathling mitfühlt, was sicher vor allem seiner zarten Geliebten, die lange nur eine zarte Seele bleibt, wegen geschieht.

 

Auf jeden Fall vergräbt er die Leichenteile dieser Cora in seinem Keller und schifft sich nach Amerika mit der neuen Frau aus. Daraus macht Boyne ein interessantes Spektakel, wo Frauen zu Männer werden und Männer zu Memmen. Tolle Typen bevölkern das Schiff, wobei Mrs Antoinette Drake die nächste Anwärterin für einen Mordanschlag wäre, so unglaublich führt sich diese auf. Ja, die Frauen kommen nicht gut weg bei John Boyne, aber die Männer auch nicht! Warum der echte Fall so viel Aufsehen erregte, hat damit zu tun, daß dies – es spielt 1910 – die erste Festnahme mittels drahtloser Kommunikation wurde. Durch Telegramme wurde der Mörder entdeckt und mittels Schiffsverzögerung dann ...ach, was, das sollten Sie selber lesen. Es lohnt sich auch als Ausflug in die Kulturgeschichte! Denn in der Tat sind die Mittel, zu denen die Besatzung und die Polizei greifen, absolut moderne, einschließlich dessen, daß der Londoner Ermittler, der lange, lange, lange Crippen für einen absolut honorigen Mann hielt, auf einem anderen Schiff das Crippenschiff überholt, damit er ihn rechtzeitig vor Betreten des amerikanischen Bodens verhaften kann. Crippen aber hatte schon die Stunden gezählt, bis er im Heimatland angekommen, sich für immer mit seiner Liebsten verdünnisiert hätte. Um diese tut es einem leid, aber man versteht die ganze Zeit nicht, was sie an diesem Stockfisch fand.