Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im März 2022, Teil 6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ziehen Sie sich warm an. Nicht, weil der neue Winter kommt, sondern weil sich in diesem Roman die Kälte der Provinz derart ausbreitet, daß man die Wärme der Stadt, die schon dadurch eintritt, daß mehr Menschen sich umeinander scharen, schätzen lernt. Ein so eleganter wie knallharter literarischer Durchmarsch, der weder nach rechts, noch nach links ausschert, sondern strikt seine Geschichte durchzieht. Bewundernswert.
Sie werden im Roman keine Figur finden, die Ihnen sympathisch wird. Die einzige, die ich lange als beispielgebende Ehefrau eines der dörflichen Tölpels ansah, die aus dem Stand zu Mördern werden, Sabrina, wird auf Seite 206 dann auch noch zur Mörderin. Sodom und Gomorrha ist nichts gegen die Zustände in diesem oberitalienischen Alpental, wo die Welt noch dichotomisch in Ordnung ist: die einflußreichen Reichen und die am Existenzminimum entlangschrammenden Armen. Tertium non datur. Dichotomisch ist auch die Ausgangslage der Region: Alles wird untereinander geklärt, die von außerhalb des Tals können niemals mitsprechen oder gar heimisch werden. Deshalb hatte der reiche, gebildete, ja geradezu schöngeistige Bruno Manera – der Name rief beim Lesen unaufhörlich den des so wunderbaren zeitgenössischen Komponisten Bruno Maderna (1973 in Darmstadt verstorben) in Erinnerung - auch keine Chance, als er nach der Heirat mit der viel jüngeren Federica, Tochter der mächtigen Unternehmerdynastie Pesenti aus dem reichen Nordosten Italiens, deren Wunsch nachkommt, in ihre Heimat zu ziehen. Er ist nicht nur der Fremde, sondern er bleibt der Fremde, denn hier kann selbst nicht einmal das viele Geld einen Makel wie Nichtvonhiersein auslöschen, wie es sonst läuft, wo nur die armen Fremden einer Xenophobie unterliegen. Nein, hier ist diese total.
Das in seiner Konsequenz zu verstehen, ist viel wichtiger als der eigentliche Handlungsablauf, denn man fragt sich natürlich, warum Federica überhaupt diesen Mann geheiratet hat, bzw. sogar mit ihm in die Festung Heimat gezogen ist. Wie sie emotional abdriftet und schon die Gestalt, den Geruch des Ehemannes zunehmend nicht mehr erträgt, erlebt der Leser mit, der mit dem Autor aufklären will, was da passiert ist, wer verantwortlich ist, daß nach den kräftigen Drohungen gegen Bruno Manera aus Worten Taten werden und er einen Mordanschlag nur knapp überlebt und alles den Bach runtergeht.
Von der Handlung her geht es um Menschen, aber das Eigentliche ist die gesellschaftspolitische Analyse dieses Provinzbürgertums, das eigentlich von gestern ist, aber auch unter veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen ihre gesellschaftliche Kontrolle heute behalten will.
Ob es mit dem ewigen Thema Mafia zu tun hat, daß derzeit -und eigentlich auch schon lange - in Italien Kriminalromane erscheinen, die individuelle Schicksale auf dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Strukturen aufzeigen? Sehr beeindruckend. Spannend auch. Und die Frage an jeden von uns, wie sehr man bei uns dies ausblendet und sich in deutschen Kriminalromanen in der Regel mit Psychothrillern oder Provinzgeschichten zufrieden gibt.