Serie: Maximilian Schell, Ich fliege über dunkle Täler. Erinnerungen, aus dem Hoffmann und Campe Verlag, Teil 3/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Marlene Dietrich ging Maximilian Schell nicht unter die Haut. Keine Spur von Freundschaft. Vielleicht konnte er deshalb um so besser einen Film mit ihr machen. Dafür hatte Maximilian viele tiefe Männerfreundschaften. Daß sein bester Freund Friedrich Dürrenmatt war, wußten wir so wenig, wie von der Freundschaft mit Ulrich Mühe, dessen Tod er in der Einleitung beweint. Seine Bewunderung für Gustav Gründgens wäre gut geeignet, diesen dem gegenwärtigen Vergessen zu entreißen.
Herrlich die Passagen über Orson Welles – Untertitel „Begegnung mit einem Genie“, das sehen wir genauso - , die deshalb so hinreißend sind, weil sich die beiden in einen gedanklichen und verbalen Orgasmus steigern, den jeder kennt, wenn er auf Gleichgesinnte trifft und man einfach abhebt in seinen Phantasien, die doch immer einen realen Kern enthalten, aber erst einmal ungehindert von jeglicher Realisierung vor sich hin formuliert werden müssen. Da wäre man gerne dabei gewesen, auch wenn der Dritte im Bunde, Produzent und Financier Samuel Bronston, die beiden nach Zahlen der Restaurantrechnung wortlos verließ und der Film unterblieb, den alle drei über Kafka machen wollten.
Auch die Freundschaft zu Josef Albers und seiner Frau erreicht uns tief. Da spricht auch ein Künstler den Maler in Maximilian Schell an, vor allem einer, der die Form gefunden hat, mit der die Ecken und Kanten dieser Welt und des gelebten Lebens nicht konterkariert werden, auch nicht kontrovers erwidert, sondern durch das farbige Quadrat ganz einfach in ihm aufgehoben werden. Zwei Frauen sind es, die neben Judy Garland als Filmpartnerin, die er zur Innigkeit klassischen Musikhörens verführt, in den Erinnerungen eine wichtige Rolle übernehmen. Zwei ältere Frauen. Zum einen die Frau von Josef Albers, Anni. ebenfalls Künstlerin. Beide kannten sich seit 1922 vom Bauhaus und bilden eine Einheit, die Schell angezogen hat. Die andere ist seine Agentin Erna Baumacher, der er ein ebenfalls warmherziges Kapitel widmet.
So lesen wir von soviel Herzerfrischung und so angenehmen Menschen in der Umgebung von Maximilian Schell und lesen doch durch alles eine nicht zu überhörende Grundtraurigkeit heraus. Die muß in den 30 Jahren mit einem Wohnsitz in München besonders deutlich gewesen sein. Mit wenigen Worten schildert Schell eine Atmosphäre von gesellschaftlicher Geschäftigkeit und innerer Leere, die wir, was München angeht, sofort nachvollziehen können – wobei wir wissen, daß man, um diese fühlen zu können, immer schon die Disposition dazu, also ein Einsamfühlen, ein Nicht -dazu-Gehören- Gefühl immer selber mitbringen muß. Zugegeben. Nachvollziehen kann man auch, daß die Schauspielerei, die ihn berühmt gemacht hat, dennoch nicht der inhaltliche Kern seines Lebens war. Bildender Künstler oder die Kunst der Regie, das hätte er gerne stärker ausgeübt und sieht sich darin dann doch gescheitert – auf jeden Fall nicht richtig verwirklicht.
Von unserer Seite muß nun zugegeben werden daß wir hier die Arbeit an deutschen Theatern und mit hiesigen Regisseuren überhaupt nicht berücksichtigt haben, wie sie schwergewichtig im Buch rüberkommt. Maximilian Schell schreibt nämlich so nebenbei auch eine Geschichte des bundesdeutschen Theaters der Nachkriegszeit und danach. Mag sein, daß uns das zu sehr unter die Haut geht, als daß man darüber einfach berichten könnte, was bei Namen wie Spencer Tracy, Orson Welles, Placído Domingo, Marlon Brando, Michael Jackson, weil sie letzten Endes doch nichts mit einem zu tun haben, leichter fällt. Auch die Erinnerungen an die liebevoll beschriebenen Eltern – Mutter Wienerin, Vater Schweizer - und den Großvater in Wien kommen in unseren Zeilen zu kurz.
Eindeutig zu kurz kommen dann aber wiederum in den Schellschen Erinnerungen unsere Erwartungen an sein ganz privates Leben. Damit müssen wir leben. Aber auch zu seinen Geschwistern, insbesonder Maria Schell. hätten wir gerne mehr gehört. Vor allem aber, wie es dazu kam, daß er Pate von Angelina Jolie wurde, was wir nur aus einer unautorisierten und grässlichen Biographie über diese wissen, was aber den Tatsachen entspricht. Nun gut, andererseits hat uns Maximilian Schell mit seinen 315 Seiten einen solchen Fundus an Geschehnissen und Personen geliefert, daß wir dankbar mit diesen noch eine ganze Zeit im Gedächtnis und im Herzen weiterleben werden. Irgendwie wünscht man nach der Lektüre dem Autor dort oben auf seiner Alm in Kärnten Ruhe und Frieden, gute Gesundheit und darum ein langes Leben und ist unspezifisch dankbar, daß man seine Erinnerungen lesen durfte.
P.S. Man hätte sich schon vom Verlag ein Register gewünscht, ein Namensregister, auch eines der Filme und angesprochenen Theateraufführungen.
Maximilian Schell, Ich fliege über dunkle Täler. Erinnerungen, Hoffmann und Campe 2012ISBN 978-3-455-50178-0