Serie: Maximilian Schell, Ich fliege über dunkle Täler. Erinnerungen, aus dem Hoffmann und Campe Verlag, Teil 2/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So liest man diese Erinnerungen doppelt, im wahren Sinne sogar dreifach. Man liest von den Zusammentreffen mit Orson Welles, den er sehr mochte - wir ihn auch - und dieser ihn oder wir lesen, wie Judy Garland auf ihn reagierte und lernen dabei neben den Beschriebenen auch den Menschen Maximilian Schell besser kennen. Aber wir lesen, denn nach Proust ist jeder Leser ein Leser seiner selbst, auch unsere Erinnerungen in seinen Text hinein und haben sehr oft eine Melange aus seinen Fakten, seinen Interpretationen und unseren Erinnerungen erhalten. Nur bei Marlene Dietrich ist alles anders.
Dieses Kapitel hatte uns am meisten interessiert und es blieb das sprödeste überhaupt. Sie bleibt die einzige Personen in diesem Buch, die keine Gestalt gewinnt. Zu ihrer Attribuisierung „mein deutsches Gesicht“, fällt ihm nichts anderes ein, als: „Es klinge wie eine Entschuldigung. Ich habe nie verstanden, was Marlene damit sagen wollte. Was soll diese Widmung?“ Dann fragt er weiter, ob es mit ihrem Problem zusammenhänge, Deutsche zu sein und geblieben zu sein, von den Deutschen aber als Deutsche angegriffen worden zu sein, fragt sich, ob sie ihn als Schweizer damit als Drückeberger habe bezeichnen wollen, während sie mit ihren Mitteln gegen die Nazis kämpfte? Aber, so beruhigt er sich dann, vielleicht soll dieser Ausdruck auch eine Solidarisierung sein, als Deutsche im Niemandsland.
Wir können uns mit diesem „my german face“, mit dem Marlene Dietrich Maximilian Schell ansprach, sofort befreunden und dahinter sowohl Wehmut, wie Ironie, wie Gelassenheit und Trauer, auch Empathie erkennen, auf jeden Fall Gefühle. Gerade die spricht Maximilian Schell aber dieser Marlene doch irgendwie ab. Ganz abgesehen davon, daß sie ihm grundsätzlich rätselhaft bleibt und er sie auf jeden Fall nicht zu den attraktiven Frauen zählte und über ihre Wirkung auf Männer, auf die Welt doch überrascht bleibt. Er konstatiert: „Wir haben uns gut verstanden. Wie überhaupt eine sehr liebenswürdige, kollegiale Atmosphäre herrschte unter den Schauspielern. Am Set und auch außerhalb. Große Namen, berühmte Namen. Spencer Tracy. Burt Lancaster . Richard Widmark. Montgomery Clift. Judy Garland. Und ich mittendrin. Und Marlene.“ Es geht um DAS URTEIL VON NÜRNBERG, den Welterfolg von 1961 von Stanley Kramer.
23 Jahre später kam die Dokumentation MARLENE heraus, die Produzent Karel Dirka machen wollte und für die ihm dieser Schell der geeignete Regisseur zu sein schien. Einmal kannte dieser die Dietrich und zweitens konnte er mit ihr sowohl auf Deutsch wie Englisch sprechen. Denn 40 Stunden zweisprachiges Interview – aus denen 91 Minuten Film wurden - waren vereinbart (und bezahlt). Daß zum Vertrag auch gehörte, daß die Dietrich, die sich seit 1979 in Paris geradezu versteckte, nicht gefilmt werden durfte, wußte Schell. Nicht aber, daß dies auch ihre Wohnung und die Wohnungseinrichtung miteinschloß. Was tun, wenn man nicht ununterbrochen zu ihren Worten alte Filmausschnitte zeigen wollte? Da nimmt uns der Erinnerer Maximilian Schell auf eine Reise in unbekannte Hintergründe mit.
Schell baute die Wohnung nach und das tat er so gut, daß der Film gerade durch die Abwesenheit der Sprecherin, die man in einer der hinteren Räume der gezeigten Wohnung vermutet, Geheimnisvolles erzeugt. Besonders gut und solidarisch und dennoch konsequent war er als Befrager, denn- und das ist das Geheimnis von Interviews – man spürt ganz deutlich, wo er sein Gegenüber da hat, wo dieses nie hinwollte und daß Marlene Dietrich auf einmal Dinge erzählt, die sie gerade nicht erzählen wollte, die aber dem Zuschauer ihr Inneres nahebringen. So etwas ist Menschenkunst, über die Maximilian Schell verfügt. Dieser Film war für den Oscar nominiert und Träger des Deutschen Filmpreises. Aber nahe stand Schell der Dietrich nie. Schade.
P.S. Man hätte sich schon vom Verlag ein Register gewünscht, ein Namensregister, auch eines der Filme und angesprochenen Theateraufführungen.
Maximilian Schell, Ich fliege über dunkle Täler. Erinnerungen, Hoffmann und Campe 2012ISBN 978-3-455-50178-0