Bildschirmfoto 2022 04 18 um 07.29.22Michael Krügers Held bringt einen Parasiten mit,  Suhrkamp Verlag

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die einen fahren nach Paris mit dem Zug, die anderen, wie unser Held, ein alternder Mann aus München, wollen von dort zurückfliegen. Und wer je auf einem Flughafen miterlebte, wie er nicht wegkam, sondern den Flugplatz wechselnd trotzdem übernachten mußte, bis irgendwann eine Maschine einen heimtransportierte, der wird in diesem Roman vieles wiedererkennen.

Doch das mit dem Parasiten passiert hoffentlich nur unserem Helden, der aus einer Mischung aus Höflichkeit, Ignoranz und Hilflosigkeit tatsächlich eine Laus im Pelz nach Hause trägt, einen dicken, kranken Mann, der imNu wieder gesundet erscheint, dann fast stirbt, so einen alten Mann, den jeder zu kennen glaubt, wiedererkennt, sogar das, der aber keinen Namen hat. Ist er echt? Eine Erscheinung, nur ein Wahn. Das fragt sich der Icherzähler, ein gut situierter Mann, der mit seiner Agentur zusammen mit den Mitinhabern gut verdient und sich in einem bequemen Leben eingerichtet hat, das dieser Kerl nun stört. Massiv.

Amüsant schildert Krüger die Begebnisse, die dem kulturaffinen Erzähler nun passieren. Immer wieder denkt man, daß der Parasit, der niemals so genannt wird, nur in der Phantasie existiert, weil der so nett daher kommende Erzähler ein fieses alter ego braucht; aber nein, ein dicker alter Mann aus Fleisch und Blut ist es, der so selbstverständlich schon in Paris das Gespräch mit ihm sucht und in München genauso selbstverständlich vom Flughafen einfach mit ihm nach Hause fährt und dort bleibt. Gemein, daß die anderen immer zum Alten halten, der vor allem auf junge Fraueneine anhaltende Wirkung erzielt und am meisten auf Ana, die die Agentur zusammenhält und gemeinerweise immer zum Alten hält und nicht zu ihm, der doch für alles aufkommt, aber sich als Stiefkind fühlt. Überhaupt die Gefühle. Eigentlich dient der sich festsetzende Parasit als Folie für den Icherzähler, sowohl was die Erinnerungen angeht, wie auch die emotional eher kärgliche Gegenwart, die dem Erzähler auf einmal bewußt wird, eben dadurch, daß er aus dem sonstigen Trott herausgerissen, den wuchernden Alten erlebt, wie dieser sich überall ausbreitet und er selbst wie die sieben Zwerge fragen muß: Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen? “, „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen? und vor allem, wer nutzt für Auslandsgespräche mein Telefon – und die Antwort immer schon weiß. Es ist der dicke Alte, den alle lieben und für einen bedeutenden Mann halten. Nur er nicht.

Und gegen Ende, Ende des Buches, Ende des alten dicken Mannes, versteht man, daß dieser Kerl auf den Icherzähler wie ein Katalysator wirkt. Auf einmal weiß er genau, was er nicht mehr will, wie er sein Leben verändern muß, damit es ihm behagt. Und welche segensreiche Funktion dieses Ärgernis, diese Laus in seinem Pelz, eben doch gehabt hat.

Das ist nur eine Interpretation, ich könnte andere aufzählen, so anregend ist die Lektüre dieses nicht wichtigen, aber unterhaltsamen Buches, das so viele Dinge anspricht, die einem auch passiert sind, die man auch erlebt hat, die einfach zu unserer Welt gehören, aber nie angesprochen werden.

Foto:
Cover

Info:
Michael Krüger, Was in den zwei Wochennach der Rückkehr aus Paris geschah. Eine Erzählung, Suhrkamp Verlag 2022
ISBN 978 3 518 47230 9