Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aus guten Grund sprach auch Stephan Lessenich (im Foto links), gegenwärtig Direktor des Instituts für Sozialforschung. Denn Anlaß der Ausstellung ist der offizielle Akt der Restitution von 119 Büchern, die im Laufe der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek sich als Eigentum des Instituts für Sozialforschung herausstellten und an diesem Abend per vierfach unterschriebenem Vertrag an das Institut zurückgegeben wurden. Ein Großteil der Bibliothek ist weiterhin verschollen, denn als am 13. Juli 1933 das Institut für Sozialforschung von den Nazis aufgelöst wurde, wurde der Raub Programm.
Immerhin geht es hier um rund 20 000 Bände, von denen ein Großteil in der Preußischen Staatsbibliothek landete.
Doch Gemälde bringen eine viel größere öffentliche Aufmerksamkeit als Bücher, für der Raub schnell zu bewerkstelligen war und die Aufklärung über die Besitzer viel schwieriger ist und vor allem von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen wird.
Wie schwierig sich eine solche Aufarbeitung in Bibliotheken mit hunderttausenden von Büchern gestaltet, konnten die Kuratoren der Ausstellung Daniel Dudde und Ulrike Vogl aufweisen. Das Ergebnis ihrer Arbeiten ist zum einen die Rückführung dieser 119 Bücher, die man anschauen konnte, viele alte, schön gebundene Bücher; zum anderen ist es die Ausstellung, die dem Betrachter zeigt, wie solche Forschung vonstatten geht und auch die ersten Ergebnisse der Provenienzforschung in den Bibliotheksbeständen zeigt. Dabei ist wichtig, daß diese Ausstellung nur den ersten Zwischenstand zeigt, die Aufarbeitung also weitergeht. Für die Ausstellung benötigte das Projektteam sechs Monate Vorbereitung.
Die Provenienzforschung durch das Projektteam allerdings erfolgt schon seit November 2020 , wobei man einen Teilbestand der Bibliothek mit rund 80 000 Bänden untersucht. Jeder Band wird daraufhin angeschaut, ob man Anhaltspunkte auf einen Vorbesitzer findet. Wie findet man geraubte Bücher innerhalb eines riesigen Bibliotheksbestandes? Die Aufgabe scheint schier unlösbar. Und erst recht, wem sie gehörten. Da gibt es in den Büchern angestrichene Stellen, handschriftliche Bemerkungen u.a., die aber letzten Ende nur zeigen, daß sie ernsthaft rezipiert, das sie gelesen wurden. Aber es gibt auch Exlibris, Klebezettel in Büchern, die den Eigentümer angeben. Findet man diesen ist der nächste Schritt, herauszubekommen, ob der ehemalige Besitzer ein durch die Nazis verfolgte oder ermordete Person ist, was sich manchmal auch durch den Zeitrahmen 1933-45 zeigt. Besteht ein Verdacht und bewahrheitet er sich, daß es sich bei dem betreffenden Buch um ein Raubgut handelt, wird nach den Besitzern oder deren Erben gesucht. Sehr aufwendig, aber notwendig. Es gibt einen Film zur Provenienzforschung, der alles anschaulich macht, was die Vitrinen in der Ausstellung zeigen.
Die Ausstellung beschäftigt sich auch damit, inwieweit Frankfurter Bibliotheken und ihre Beschäftigten am Kulturgut-Raub während der NS-Zeit beteiligt waren und ob und wie sie mit staatlichen NS-Stellen zusammengearbeitet haben. Hat man Opfer identifiziert, werden sie genauso benannt, wie die Täter, wenn man sie findet. Allein bei den ersten 80 000 Bänden, die im Projekt untersucht werden, sind bisher rund 28 000 Bände überprüft werden, also bleiben 2/3 übrig. Bisher sind 610 Bände als Raubgut identifiziert worden, bzw. mit dem Verdacht als Raubgut belegt. Die Weiterarbeit wird noch über zwei Jahre dauern. Doch belaufen sich in den verschiedenen Abteilungen der Universitätsbibliothek die Bestände vor 1945 auf rund eine Million Bände.
Bleibt der Titel der Ausstellung. Natürlich sind die StolperSeiten den Stolpersteinen nachempfunden, mit denen der Künstler Gunter Demnig seit 1992 kleine Gedenktafeln in Gehwegen vor Häusern verlegt, aus denen jüdische Bewohner in den Tod geholt worden sind; die wenigsten konnten sich durch Flucht dem Abtransport entziehen, auch für sie gibt es Stolpersteine. Sie sind nicht Stolpersteine, weil man darüber stolpert, sondern sie sollen unsere Aufmerksamkeit auf die Menschen richten, wir sollen also im Kopf stolpern und derer gedenken, die einst hier wohnten. Für mich persönlich ist diese Aktion eine der eindrücklichsten überhaupt. Ich selbst gehe bei keinem Stolperstein einfach vorüber, sondern bleibe stehen und lese wenigstens die Namen derer, die entführt und ermordet wurden.
Daß es sich bei Stolpersteine und StolperSeiten um dieselben Buchstaben handelt, auf diese Kuriosität hatte Vizepräsident Huth hingewiesen.
Fotos:
Titel ©Redaktion
aus der Ausstellung
©Unibibliothek
Info:
Ausstellung im Schopenhauer-Studio der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg , Bockenheimer Landstraße 134-138