Bildschirmfoto 2022 05 21 um 01.13.32BERMAN-LITERATURPREIS: Thomas und Catharina Berman, das jüdische Unternehmerpaar aus Stockholm  hat einen neuen Literaturpreis begründet

Yves Kugelmann

Basel (Weltexpresso) - Thomas und Catharina Berman haben einen jüdischen Literaturpreis initiiert, der nun zum zweiten Mal vergeben wird – ein Gespräch über Literatur und Preise.

tachles: Diese Woche haben Sie verkündet, dass Péter Nádas im Herbst mit den Berman-Literaturpreis ausgezeichnet wird. Weshalb haben Sie diesen gegründet?

Thomas Berman: Wir wollten der jüdischen Kultur etwas zurückgeben. Meine Frau, unser Sohn und ich diskutierten, wie wir das tun sollten. Aus verschiedenen Ideen ging dann jene hervor, etwas für die Literatur zu tun. Dies auch, weil mein Vater selbst zehn Bücher schrieb und sehr belesen war.


Wie haben Sie das organisiert?

Thomas Berman: Wir stellten Geld zur Verfügung, um eine Organisation aufzubauen. Jetzt haben wir eine Jury aus sechs Personen und ein beratendes Komitee mit neun Köpfen, die unabhängig arbeiten – wir mischen uns als Spender nicht ein.


Für welche literarischen Verdienste ist der Preis bestimmt?

Thomas Berman: Die Idee ist, Autoren zu ehren, die relativ neue Werke im Geist der jüdischen Tradition geschrieben haben. Das müssen nicht unbedingt Juden sein.

David Grossman war 2020 der erste Preisträger. Wie kam seine Nominierung zustande?

Thomas Berman: Es steckte sicher auch die Überlegung dahinter, dass er nicht nur ein grossartiger Autor ist, sondern auch bekannt genug, um den Preis von Beginn weg in die Öffentlichkeit zu tragen.


Ist der Preis mit Ihrer Heimat Schweden verbunden?

Thomas Berman: Nein, es ist ein internationaler Preis, und wir haben in der Jury etwa einen Professor der Chicago-Universität, einen Spezialisten für deutschsprachige jüdische Autoren und so weiter.


Wie oft wird der Preis vergeben?

Thomas Berman: Jährlich, das nächste Mal im Oktober dieses Jahres. Die Jury ist noch in der Entscheidungsfindung. Sie lesen derzeit unzählige Bücher, äußern sich aber nicht zu potenziellen Kandidatinnen.


Was sind die Erkenntnisse aus der ersten Preisverleihung?

Thomas Berman: Sie wurde sehr gut aufgenommen, speziell in Schweden. Die jüdische Literaturtradition, oft unter schwierigen Diaspora-Umständen entstanden, ist ja auch etwas Fantastisches. Es gibt so viele Beispiele dafür.


Was macht für Sie persönlich das Jüdische an der Schriftstellerei so wichtig?

Catharina Berman: Sie ist der einzige Weg, wie wir überleben konnten. Wohin man auch immer geht, das Wissen hat man immer bei sich, und niemand kann es einem wegnehmen. Was immer auch geschehen ist, das jüdische Volk bewegte sich weiter, hielt zusammen und pflegte seine Traditionen. Wenn man darüber schreibt, eröffnet man – hoffentlich – eine ganze Welt. Das jüdische Erbe wurde auch durch Bücher weitergetragen.


Welche Bücher haben Sie persönlich am meisten beeinflusst?

Catharina Berman: Am Beginn stand sicher das «Tagebuch der Anne Frank». Wir haben es beide in der Schule gelesen – ein Paradebeispiel für jüdische Literatur.

Thomas Berman: Später waren es dann etwa Victor Klemperers Tagebücher. Oder Exodus.

Catharina Berman: Und Iscaac Bashevis Singers Bücher. Aber es gibt noch so viele andere.

Thomas Berman: Auch bei der Literatur kann man das Thema Israel, das für alle Juden extrem wichtig ist, nicht ausschliessen. Auch für uns und unseren Hintergrund. Wir haben mit Geld von Skandina-viska Malm AB in Stockholm, damals eine Amerikanische Gesellschaft, wo ich während der achtziger Jahre Präsident war, auch ermöglicht, außerhalb von Netanya eine kleine Stadt, Beit Yitzhak-Shaar-Hefer, aufzubauen, für die Zukunft des Landes.


Wie ist die Situation der Juden in Schweden aus Ihrer Sicht? Es hat sich in den letzten Jahren ja einiges verändert.

Thomas Berman: Schweden ist eines der ganz wenigen Länder, in denen die jüdische Bevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg stark gewachsen ist, von 7000 zuvor auf 20 000 heute. Aber es ist richtig, dass es nun auch Probleme mit Antisemitismus gibt, speziell im Süden, in Malmö. Dort gibt es viele Islamisten, aber auch traditionelle Antisemiten und Rechtsextreme, die zwar nicht viele, aber laut sind.


Haben viele Juden Schweden deshalb verlassen?

Thomas Berman: Nein, sie haben lediglich Malmö verlassen, die meisten gingen nach Stockholm, wo es ruhiger ist. Die Situation für Juden in Schweden generell ist so, wie an anderen Orten auch. So braucht etwa die jüdische Schule in Stockholm starke Schutzmassnahmen. Das ist tragisch, aber nach der Attacke in Kopenhagen unumgänglich. Und wichtig ist, dass die Behörden und Politik enorme Unterstützung bieten.

Catharina Berman: Und die junge jüdische Gemeinschaft ist heute stärker als früher, sie hat Bewegungen gebildet und will die Traditionen aufrechterhalten. Das wird hoffentlich für die Zukunft mithelfen.


Sie selbst leben nicht mehr in Schweden. Haben Sie je daran gedacht, Alija zu machen?

Thomas Berman: Nein, nie.


Nun haben Sie diesen Literaturpreis ins Leben gerufen. Was sind Ihre Wünsche für dessen Zukunft?

Catharina Berman: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie dieses Baby erwachsen wird. Je mehr wir darüber diskutieren, desto besser.


Beschäftigt sich die Organisation zwischen den Preisverleihungen auch mit anderen jüdischen Literaturprojekten?

Thomas Berman: Der Preis beansprucht sehr viel Zeit, auch von unserer Seite. Als ich aus dem Geschäft ausgestiegen bin, dachte ich, ich sei nun Pensionär. Aber es gibt mit dem Preis immer sehr viel zu tun.

Catharina Berman: Aber es ist so lohnend und interessant! Es eröffnet uns eine neue Welt der Grosszügigkeit und Wertschätzung, wie wir nie davon geträumt hätten.

Thomas Berman: Der Preis ist ja auch, ausser-halb des Nobelpreises, mit rund 80 000 Schweizer Franken der finanziell zweitgrösste Buchpreis weltweit, wenn ich richtig informiert bin.


Haben Sie durch den Preis David Grossman persönlich kennengelernt?

Thomas Berman: Unsere ganze Familie lebte während einer Woche in Stockholm mit ihm. Das war fantastisch! Er ist wirklich «a mensch», sehr liberal und mit eigenen Ideen über die Beziehungen zu den Palästinensern, aber vom Menschlichen her eine überwältigende Persönlichkeit.

Seine klare Auffassung der wachsenden Bevölkerung in Israel und der Zukunft des Landes ist auch für die jüdische Welt in ihrem Verständnis Israels sehr wichtig.
Thomas Berman: Er war wirklich sehr wütend über die Regierung zu Zeiten Netanyahus. Aber heute gibt es eine andere politische Führung, und er ist vermutlich weniger wütend.

Catharina Berman: Jedenfalls ist es für ihn sicher einfacher geworden. Er und seine Familie haben viel durchgemacht, vor allem durch den Verlust des Sohnes. Sie stehen sich alle sehr, sehr nahe und lieben sich aufrichtig. Sie sind sehr beeindruckend.

Foto:
©tachles

Info:
www.bermanliteratureprize.com 
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Mai 2022