„Das Phantom des Alexander Wolf“ als Hörbuch beim Hörverlag

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wirklich atemlos lauschten wir diesem Hörspiel, das der Mitteldeutsche Rundfunk/Deutschlandfunk 2013 produzierte und das am 10. Februar im Hörverlag als Hörbuch erschienen ist und uns einen bisher unbekannten Autor mit einer geheimnisvollen Geschichte vorstellt.

 

 

Für uns war dies die erste Begegnung mit dem Russen, der 1903 in Sankt Petersburg geboren wurde, seine Heimat verließ, ab 1923 in Paris zu schreiben begann und – ausgerechnet – in München 1971 starb. Weshalb hatten wir bisher nichts von ihm gehört? Sicher, weil seine Romane auf Deutsch nicht erhältlich waren, was der Hanser Verlag mit zwei Romanen nun möglich machte, der erste eben DAS PHANTOM DES ALEXANDER WOLF, was wir gerade als Hörbuch in uns eintröpfeln ließen und unmittelbar unsere eigenen Erfahrungen und Emotionen niederschreiben müssen.

 

Wir sind froh, daß wir das Buch hörten, denn sein Inhalt ist durch die wenigen, aber deutlich unterscheidbaren Personen übersichtlich, die zuallererst vom Erzähler, hier Sebastian Blomberg, zusammengehalten wird. Inwieweit die Hörspielfassung gegenüber dem Buch verändert, d.h. ob etwas gestrichen wurde, wissen wir nicht, wir vermißten auf jeden Fall nichts, weil das Gehörte eine geheimnisvolle und aufs Dunkle zusteuernde Komposition ist, die ein geschlossenen kleines Kunstwerk ist.

 

„Martina tauchte auf, versenkte uns und verschwand.“, erzählt Vladimir Petrowitsch Wosnessinski (liebenswürdig, mit dunkler alkoholgesättigter Stimme Helmut Krauss) unserem namenlosen Erzähler, der in Alexander Wolf die hartnäckige Persönlichkeitsspaltung ausmacht, die auch ihn seit frühester Jugend beeinträchtigt – gleichzeitig Gedichte von Baudelaire und eine wütende Schlägerei mit irgendwelchen Halunken zu goutieren - und als Erwachsenem zu folgendem führt: „Statt, daß ich meine Zeit literarischer Tätigkeit widmete, zu denen ich mich hingezogen fühlte, die jedoch gehörigen Aufwand und Einsatz verlangt hätte, gab ich mich mit dem Journalismus zufrieden, klapperte Termine ab und schrieb dann in einer Bar oder einem Restaurant meinen Artikel.“ Ach, welch wunderbare Zeit, Arbeitsbruder, als unsereins noch wie Peter Altenberg oder Joseph Roth öffentlich mit der Hand die Artikel schrieben, was uns nun auch Gaito Gasdanow suggeriert, wenn er seine Geschichte beginnen läßt.

 

Unvermittelt sind wir im russischen Bürgerkrieg, hören Getrappel und Schüsse, dann Stille, wo unserem Erzähler unterm Hintern sein Pferd mitten im Wald niedergeschossen wird, er selber aber unverletzt bleibt. Er ist ein junger Weißgardist und schon sieht er den Schützen auf einem gewaltigen weißen Hengst auf sich zureiten, das Gewehr ergreifen – Schuß und noch ein Schuß, aber aus der Pistole des Weißgardisten, die den heransprengenden Reiter treffen, weshalb er ihn - nachdem er ihn gründlich angeschaut hat: 22jährig etwa, gut aussehend - tot liegen läßt, und als er weitere Reiter hört, rasch auf das weiße, feurige Pferd steigt und davon reitet.

 

Die nächste Szene spielt Jahre darauf in Paris am Weihnachtsabend und unser Erzähler wird in einem Lokal bekannt mit Wosnessenski, einem älteren Mann, der kräftig dem Wodka zuspricht und liebenswert von den Frauen seines Lebens spricht, wobei Marina die geliebteste war. Dieser ältere Russe führt ein Buch mit sich von Alexander Wolf, auf Englisch „I come tomorrow“, dessen dritte Erzählung „Abenteuer in der Steppe“ heißt und detailgenau das Erlebnis unseres Erzählers mit dem weißen Pferd und dem Toten wiedergibt. Eine genaue Rekonstruktion seiner eigenen Geschichte. Geschickt läßt uns der Autor den Inhalt der Geschichte hören, denn der Erzähler muß die Erzählung für den alten Russen, der kein Englisch kann, aus dem Englischen übersetzen.

 

Der Erzähler weiß also jetzt, daß der von ihm Erschossene überlebt hat und liest dem berauschten, aber wodkafesten Wosnessenski den Schluß der Erzählung vor: „Ich übernahm eine übermenschliche Anstrengung die Augen zu öffnen...“ und Alexander Wolf erwartete, den Tod, den er sich immer als alten Eisenmann vorgestellt hatte, ins Gesicht zu blicken, das nun aber ein junges Antlitz trug. Das Gesicht unseres Erzählers, wie der Hörer sofort schlußfolgert. Dieser hatte die Erzählung des Wolf längst gelesen und sogar in London versucht, den Verfasser aufzusuchen und ihm einen Brief geschrieben, der unbeantwortet blieb. Nun lernt er also den Freund seines damaligen Opfers kennen, der auch derjenige ist, der damals als Reiter heransprengte und den jungen Weißgardisten niedergeschossen hätte, nun ihm aber gut Freund ist. Von ihm läßt er sich nun detailliert dessen Leben, aber auch das des Alexander Wolf erzählen, die beide auf der Seite der Revolution gekämpft hatten. Ja, dieser Wosnessenski.

 

Wir sind längst schon im Sog der Geschichte, so daß wir mit den beiden Russen – Nastarowje! - weitertrinken und auch den Groll und die Neugier des Erzählers verstehen, wieso diesem Alexander Wolf, Lebemann, Abenteurer und Frauenverehrer ,das gelingt, was der Erzähler nicht schafft, ein richtiges Buch zu schreiben. Und dann lernt unser Erzähler tatsächlich den von ihm vermeintlich Erschossenen Alexander Wolf (auch sehr sonor: Wolfgang Michael) kennen, der übrigens weiterhin der Frauenverführer ist und ein Lebemann auch.

 

Es wäre aber unfair zu verschweigen, daß es – wir sprechen von Russen und sind in Paris - eigentlich um Frauen geht. Zuerst um Martina, die Wosnessenski für den jungen Wolf verläßt und die uns in einer anderen wiederersteht, Jelena Nikolajewna (Valery Tscheplanowa, sehr mädchenhaft und leidenschaftlich gleichermaßen), die unser Erzähler zu seiner Geliebten machen kann, dann aber in eine Situation gerät, wo er erneut die Pistole zieht und sich gewissermaßen der Kreis schließt. Und uns erschöpft und dankbar zurückläßt, daß wir einen neuen Autor von solch lebendiger existentieller Art kennenlernen.

 

Exkurs: Jetzt wissen wir auch, daß unser deutsches „Nastarowje“, wie sich beide Russen zuprosten, gar nicht die russische Version ist: „sa sdorowje“ müßte man sagen, was „auf die Gesundheit“ heißt, aber die Polen sagen „na zdrowie“ für Prost, was wir wohl miteinander vermischen.

 

INFO:

 

Gaito Gasdanow, Das Phantom des Alexander Wolf, Hörverlag, Sprecher: Sebastian Blomberg, Helmut Krauss, Gerd Wameling, Valery Tscheplanowa u.a., Regie: Oliver Sturm