HEXENLOCH von Christoph Lindenmeyer im Verlag Anton Pustet
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also so was. Da lese ich, lese und staune, staune aber über das Falsche. Denn ich bildete mir ein, HEXENLOCH sei einer der Krimis der Krimibestenliste und das Staunen bezog sich darauf, daß die dortige Jury einmal von ihrer Linie abgewichen ist und einen Roman auf die Liste nahm, der völlig quer zum Sonstigen steht. Das Staunen blieb bis zum Schluß. Und nur, als ich für die obige Überschrift den Platz auf der Liste suchte, fand ich – nichts! Er steht für sich allein. Und da steht er gut!
Ungewöhnlich ist an diesem Roman einiges, sowohl sprachlich wie auch in der Handlung, am allermeisten aber genregemäß, denn in vielen Teilen wähnt man sich im Sachbuch. Allerdings nicht in einem Gebiet allein. Es sind verschiedene Schwerpunkte, von denen die Kunstgeschichte die gewichtigste ist, wir aber auch über Aufnahmetechnik gestern und heute eine Menge lernen, von der Musikgeschichte abgesehen.
Um das gleich zu sagen, mir gefiel dieses Buch ausnehmend gut, gerade weil es mit der Hauptfigur einen Mann von gestern agieren läßt. Damit das richtig verstanden wird, das ist weder ein altmodischer noch überholtes Exemplar Mann, sondern ein Rundfunkmann, der seine Arbeit so umfassend wahrnimmt, wie das früher war, der auch für die ihm unterstellten Mitarbeiter ein Chef ist, den man haben will, nicht weil er sich anbiedert, sondern weil er dienstlich orientiert und menschlich ansprechbar ist, bzw. den Ton selber vorgibt und sich um seine Leute von alleine kümmert. Vorbildlich. Aber in den heutigen Funkhäusern meist vorbei.
Das mußte gesagt werden, weil die Handlung zwischen Salzburg und München so viele Wendungen nimmt, daß man besser nur die Struktur der Geschichte wiedergibt. Nach Salzburg kommt Al Wolffs, der sich Al nennt, seit er weiß, daß seine Eltern ihn nach der bekannten Nazi-Größe Alfred Rosenberg nannten, weil er einer selbst initiierten Einladung des Regisseurs Otto Achatz und seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, Elisabeth von Harnier, folgte. Gerne folgte, denn er mag den Mann und bewundert dessen Frau. Der Hintergrund, warum ein Gespräch nötig scheint, ist allerdings doch schwieriger Natur. Der Regisseur hat sich bei den Aufnahmen des letzten Stücks als derart daneben, unwirsch und unkollegial gezeigt, daß der Aufnahmeleiter nicht weitermachen will. Als Deus ex machina kommt hinzu, daß dieser später schwer verunglückt, sowieso also im Krankenhaus liegt, die Weiterführung auf Eis liegt und ganz am Schluß sich des Regisseurs Probleme als schwerwiegende gesundheitlicher Natur entpuppen.
Als Wolff nach Salzburg kommt, ist ihm diesen wohlvertraut. Sowieso, aber auch seit dem letzten Mord, den er hilfreich aufzuklären half. Er liebt den Mirabellgarten und in der Linzer Gasse ist sein Stammcafé Isaak – ach ja, dieser Roman ist auch ein kleiner Reiseführer über Salzburg und erst recht über den Stadtteil Aigen, mir völlig fremd, aber interessant beschrieben.
Was Wolff bei seinem Besuch in diesem total vergitterten Haus auffällt, der Hausherrin Elternhaus, sind die vielen Kunstwerke und vor allem eine schlesische Landschaft, deren Maler, Carl Wilhelm Hübner ( 17. Juni 1814 in Königsberg - 5. Dezember 1879 in Düsseldorf) , er sofort erkennt, was ungewöhnlich ist, wenn man nicht gerade Caspar David Friedrich heißt, denn die Maler des 19. Jahrhunderts, ob Romantik oder Realismus, galten seit der Nachkriegszeit als altmodisch und werden insgesamt, auch in der Kunstgeschichte von heute stiefmütterlich behandelt. Da sich das auch auf das Studium der Kunstgeschichte bezieht, wird es bald gar keine Experten für die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts geben. Genauso ungewöhnlich wie Wolffs Interesse an diesem Gemälde ist allerdings, daß sich auf der Rückseite – er guckt sich das Bild genau an – ein Aufkleber befindet, daß das Bild aus der Osloer Nationalgalerie – wo ich schon war - ausgesondert wurde. Da denkt man natürlich sofort an die Besetzung durch die Deutschen und die Verbrechen der angeblichen Beschlagnahme, in Wahrheit der Raub von Kunstwerken, oft sogar für die Privaträume der Nazi-Größen. Hier las ich die Sachaufklärung, wie unterschiedlich die Nazis in den von ihnen besetzten Gebieten damit umgingen, mit großem Interesse, weil der Teufel im Detail steckt.
Um dieses Gemälde rankt sich die Krimihandlung, die für eine Person zum Tode führt, eine Handlung, die uns mit einigen schrägen Personen bekanntmacht, von denen der, tja, Kunsthändler traut man sich gar nicht zu schreiben, ein vielseitiger Händler, der ein Kunstliebhaber ist, der undurchsichtigste ist. Eine tolle Type, mit derm Ehefrau Elisabeth Geschäfte machen will, was übel für sie ausgeht, wofür er allerdings nichts kann.
Beim Lesen wähnte ich mich in einem tausend Seiten Roman, weil so viele Dinge angesprochen sind – selbst Corona und seine Auswirkungen sind verarbeitet - und das nicht mal oberflächlich. Dabei ist nach 334 Seiten Schluß und erst jetzt lese ich über den Verfasser, daß er selbst seine Fachkenntnisse in vier Jahrzehnten Bayerischen Rundfunks erwarb und wenn man seine Biographie weiterliest, denkt man, vielleicht beschreibt er sich selbst – oder wie er gerne gewesen wäre? Auf jeden Fall ein Buch, das Laune macht, weiter zu lesen. Einen Vorgänger gibt es auf jeden Fall: TEUFELSGASSE von 2021 und auf einen Nachfolger bin ich gespannt.
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Umschlagbild
Info:
Christoph Lindenmeyer, Hexenloch, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2022
ISBN 978 3 7025 1058 9