Bildschirmfoto 2022 07 21 um 01.45.19Martin Walker zum 70. von Diogenes

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hat doch was, wenn sich der renommierte Diogenes Verlag mit seinem umfassenden Programm, den man für 500jährig hält, zum erst Siebzigsten Geburtstag ein Geschenk macht und den vierzehnten Fall für Bruno herausgibt, wobei wir natürlich längst wissen, daß mit dem 15. Fall Schluß sein soll, nein, nicht mit Diogenes, auch nicht mit Martin Walker, nur mit Bruno. Was heißt da ‚nur‘? Auf jeden Fall zeigt Bruno auch diesmal, daß er alles drauf hat, was die normale Polizei übersieht, nicht weiß, nicht wissen will.

Als der 1947 in Schottland geborene Martin Walker mit 63 Jahren anfing, Bruno ein Eigenleben zu geben – und was für eins! - , konnte er das nur, weil er selbst alle Jahre ausführlich im Périgord lebt, wenn er nicht gerade in Washington als politischer Journalist seine Arbeit tun muß. Darüber informieren wir, weil wir nicht für die Bruno-Fans schreiben, die den Meister in- und auswendig kennen, denn die haben den Roman längst gelesen, der früher im Jahr herauskam. Und für die Neuleser muß noch ein bißchen mehr Stoff dazu, obwohl wir mit Bruno meinen, jeder müßte das Périgord kennen. Bruno hat mitverfolgen müssen, wie immer mehr Bewohner abwandern, weil die Arbeitsplätze rar wurden, und zur Kenntnis genommen, daß die leerstehenden Landsitze, ja Schlösser von Ausländern, hauptsächlich von Engländern aufgekauft und bewohnt werden, wie von einem gewissen Martin Walker.

Die Keltianer, also alle die, die den Kelten in den europäischen Staaten nachforschen – es werden immer mehr! - wissen am besten, daß sich der Name vom keltischen Volksstamm der Petrocorier ableitet, was aber nix mit ‚petrus‘, also mit griechischem-römischen Stein zu tun hat, sondern mit vier lokalen Bezugsgruppen: wir sind bei den Kelten!

Doch nicht die Kelten sind von heute her die wichtigsten Vorfahren, sondern die ersten steinzeitlichen Menschen um 30 000 v. Chr., was die zahlreichen Höhlen und Grotten bezeugen. Ja, wir hätten auch einfach LASCEAUX mit seiner Felsmalerei sagen können oder Cro-Magnon-Mensch, also wir Heutigen, die nach der gleichnamigen Grotte genannt sind, um deutlich zu machen, um welche kulturgesättigte Landschaft es sich handelt.

Und da sind wir schon direkt bei dem Schädel, um den es gleich geht. Bruno sieht nämlich in einer Ausstellung einen noch viel älteren Schädel eines Neandertalers, ca. 70 000 Jahre alt, und dann: oh Schreck, die Rekonstruktion des Schädels mitsamt dem Gesicht. Unheimlich. Die erste Empfindung. Das müßte man doch nachmachen können, die zweite. Seit 30 Jahren kennt Bruno nämlich den Oscar genannten Schädel, den sein Kollege und Freund Jean-Jacques aufgefunden hatte, d.h. der aus einer aufgefundenen Leiche durch Abkochen des Kopfes zum blanken Schädel mutierte. Grauslich fürwahr. Aber Grundlage für die Erkenntnis, daß ein Loch im Schädel nun davon zeugte, daß der Ermordete erschlagen worden war, was man vorher nicht hatte sehen können.

Aber mit den modernen Mitteln der Rekonstruktion dieses Schädels könnte man doch den unaufgeklärten Mordfall endlich aufklären. Gesagt. Getan. Und eine DNA-Spur hatte sich auch erhalten, die heute weiterführt. Was jetzt abgeht, ist eine spannende Geschichte, die, wenn sie gerade an ihr Ende gekommen ist, die nächste Volte schlägt, die auch einen Ex-Stasi Mitarbeiter aufbietet, der sich in Sicherheit wähnte, den nun aber seine Vergangenheit einholt. Wie überhaupt die modernen Geheimdienste und der Kalte Krieg auf einmal Thema im Périgord werden. Gerechtigkeit aller Orten. Das gilt auch für die mittelalterlichen Katapulte, die auf einmal zum perfekte Werkzeug gegen Waldbrände werden. Schon erstaunlich, wie geschickt und überzeugend Walker Vergangenheit und Gegenwart ineinanderschachtelt.

Aber die Handlung ist ja nur das Gerüst, um ganz viel Lokalkolorit unterzubringen, was sich auf die Natur, das Essen, aber auch die Entwicklung des literarischen Personals beziehen, die bisherige Leser kennen und neue nun kennenlernen, die sicher nun auf den fünfzehnten Fall für Bruno genauso warten wie die bisherigen Kenner.

P.S. Doch, das muß noch gesagt werden, wie genial die Übersetzung des Titels ist, die im Original vom kältesten Fall spricht. Wie langweilig, denn derzeit ist die Aufarbeitung von Colden Cases in jedem dritten Krimi zugange, Aber Tête-à-Tête, von Schädel zu Schädel, ein vertrautes Stelldichein. Toll!

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Info:
Martin Walker, Tête-à-Tête. Der vierzehnte Fall für Bruno, Chef de police, Diogenes Verlag 2022
ISBN 978n3 257 07199 3