DIE HYÄNEN, Reachers 24. Fall von Lee Child
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So unter der Hand jubelt uns der ebenfalls intelligente und sprachstarke Lee Child einen Markenrelaunch JACK REACHER mitsamt Marken-Assets, alles Sprache der Werbung, unter. Wie war das mal: da hatte sein Held, der ehemalige Militärpolizist, kein Bankkonto, keine Karte, keinen Ausweis, kein Handy, kaum Kenntnis vom Internet usw. und schmiß seine Wäsche nach dem Tragen in den Mülleiner und kaufte sich neue – in umgekehrter Reihenfolge!
Jetzt hätte er ohne die Accessoires des modernen Lebens, das Mobile, die Bankkarte, den Ausweis diesen Fall östlich des Mississippi nicht überlebt. Da er aber alles verfügbar hatte, haben die anderen nicht überlebt. Eine starke Geschichte, die zeigt, daß bei aller Modernisierung der Figur, das Entscheidende an ihm so prägnant ist wie immer: Wenn Unrecht geschieht und er es sieht, schaut er nicht weg, sondern rächt es. Selbst wenn dies unterwegs im Bus einem alten Mann passiert, sogar erst passieren wird. Denn er bemerkt, daß dieser einen dicken Umschlag mit viel Geld in der Jackentasche hat, und sieht dazu, daß ein junger Mann dies ebenfalls bemerkt hat, der dem Alten folgt, als dieser in der nächsten Stadt aussteigt. Also steigt er auch aus. Da muß der Autor nicht lange erzählen, daß Jack Reacher ununterbrochen per Greyhoundbussen durch die USA gondelt, meist ohne konkretes Ziel. Lee Child traut sich, einfach loszulegen, alles Weitere, Reachers Geschichte, seine Dramen werden in Schüben nachgeliefert oder in direkter Aktion. Denn es passiert schnell, was Reacher erwartet hatte: ein Raubüberfall, was für den jungen Kerl schlecht ausgeht, Reacher aber merkt, daß er den alten erschrockenen Mann, Aaron Shevick, doch besser nach Hause begleitet, wo ihn dessen kluge Frau schon ängstlich erwartet.
Was dann kommt, ist eine anrührende Lebens- und Liebesgeschichte eines alten Paares, das durch die Krebserkrankung der Tochter aus dem Bahn geworfen wird, da die durch ihren Arbeitgeber – wir sind in den USA! – nicht krankenversichert ist und fast täglich Geld für weitere Untersuchungen und Stabilisierungen braucht, was die Eltern nicht haben, weshalb sie bei einem, der Geld zu hohen Zinsen verleiht, Fisnik von der albanischen Mafia, einen Kredit aufnehmen, der nun zurückgezahlt werden soll. Darum der dicke Briefumschlag.
Und nun geht es los mit dem geheimen Leben der Stadt, das sich zwei Mafiaorganisationen aufteilen, die albanische haben wir schon kennengelernt, aber die ukrainische ist fast noch schlimmer. Genial, wie Lee Child schon im 2019 herausgekommen 24. Reacher die heutigen Ukrainediskussionen vorwegnimmt, aber auch die immer noch verschwiegenen mafiösen Strukturen unserer Gesellschaften mit ihren tödlichen Auswirkungen von Einschüchterung, Drohung, Erpressung, Raub, Mord am Beispiel dieser amerikanischen Stadt aufzeigt.
Das Mittel der Aufklärung ist Jack Reacher selbst! Die erste Geldübergabe des Alten an Fisnik, ist schiefgegangen und dieser über den Jordan. Friede seiner Asche, was man in der Folge dutzendfach erklären kann, denn dies ist die blutigste Geschichte seit langem. Das fängt harmlos an, daß die eine Mafia zwei Vertreter der anderen Mafia in die ewigen Gefilde schickt, was die anderen dann erwidern und vice versa. Das kostet Mitarbeiter auf beiden Seiten, aber noch hat das nichts mit Reacher zu tun. Der kommt jetzt: Er schlüpft zur Geldübergabe in die Rolle des Alten und heißt jetzt erst für die albanische und dann die ukrainische Mafia Shevick. Dieser Einfall führt zu den witzigsten Verwechselungen und ist ein running gag der Geschichte.
Zu den hervorstechenden Eigenschaften von Reacher gehört, daß jederzeit eine richtig gute Frau zur Stelle ist, die ihm hilft, mit der er angenehm schläft und die erwachsen genug ist, daß sie ihn trotz aller Emotionen weiterziehen läßt. Aber noch sind wir ja mittendrinnen und er hat nur dank Abby, die im letzten Lokal als Bedienung seine Überwachung verfolgte und seine Verfolger erkannte, auch diesen Anschlag überlebt. Ja, ein bißchen unwahrscheinlich ist das schon, wie oft er den Mordanschlägen der Hyänen entgeht, aber jedesmal sind diese und sein Entkommen neu inszeniert und außerdem nimmt er unsere Bedenken schon dadurch vorweg, daß er äußert: ""Irgendwann werde ich verlieren. Aber nicht heute." Hier also ist es Abby, die ihm rasch die Tür öffnet, als die Verfolger ihn fast erwischt haben und ab jetzt ist die Ortskundige einfach seine Waffe gegenüber den eiskalten Mafiosi.
Wie er diese gegenseitig manipuliert, macht den Kern der Geschichte aus, in der er die Organisationen der Albaner und Ukrainer gegeneinander ausspielt, die sich deshalb reihenweise gegenseitig umbringen, bis sie nun in Reacher denjenigen zu erkennen glauben, der selbst die Stadt als Mafioso übernehmen will. Natürlich will dies Reacher nicht, das Moralistl hat einen anderen Grund für das personelle Aufräumen in der Stadt. Er sucht denjenigen, der das dicke Geld hat,. Nur das Geld will er und kriegt er, das er dann dem alten Ehepaar bringt, die es an die Klinik weiterreicht, damit die Tochter noch eine Chance zum Überleben hat.
Dabei schlägt die Geschichte einige Haken, sind die Wege durch die Stadt vielfältig, manchmal tut man gut daran, dem Autor das alles zu glauben, weil man den Überblick über die Straßen verloren hat, über die Toten sowieso. Was man aber nie verliert, ist der gelebte moralische Kompaß von Reacher, der die einzige Rechtfertigung für das Ausmaß an Gewalt und die Blutlandschaft ist, die er zurückläßt, wenn er weiterfährt und in zwei alten Menschen den Glauben an das Gute wiedererweckt hat.
Nachbemerkungen:
Eine Besonderheit, die diesmal extrem ausgereizt wird, ist das strategisch-taktische Vorgehen von Reacher. Vor jedem Schlag, vor jeder Volte, spielt er die Situation im Kopf durch, beteiligt dadurch den Leser an seinen Überlegungen, ob er sich jetzt den linken Typen oder den rechten vornimmt, mit dem Revolver oder dem Tischbein etc., einschließlich, wie es weitergeht... Das ist manchmal für uns schon im Kopf anstrengend, was Reacher ja dann noch in die Tat umsetzt.
Irgendwie hat es Reacher in seinem 24. Fall noch mehr als sonst mit den Deutschen, die ja immer wieder eine Rolle spielen, schließlich ist er ja auch am 29. Oktober 1960 in West-Berlin geboren worden, auf einer US-Militärbasis. Da es diesmal durch permanenten Schußwechsel besonders viele Tote gibt, fällt der ständige Gebrauch von präzisen deutschen Handfeuerwaffen verschiedener Hersteller besonders auf. Aber das er dann auf Seite 379 schreibt: "Eine deutsche Polizeiwaffe. Mit allen anderen identisch. Eine Großbestellung bei einem korrupten deutschen Polizeibeamten." Na, so was, das müßte doch die Polizei verbieten!
Und dann lernt man noch eine Menge über die Fulda-Lücke, über Fulda Gap, eigentlich ein Ausdruck aus dem kalten Krieg, hier wiederbelebt, wohl weil er beim amerikanischen Militär überlebte. Da geht es um die Veränderungen, die die Urbanisierung in zuvor rein landschaftlichen Gebieten für einen Angriff oder die Verteidigung nach sich ziehen.
Daß Child Ukrainer so vorhersehend agieren läßt, wenn auch die ukrainische Mafia, wird noch übertroffen durch die Russenschelte, bzw. Bewunderung von deren Kampffähigkeiten: „Wer auf der Welt besäße die Fähigkeiten und Erfahrungen, das Selbstbewußtsein und die Arroganz, um überhaupt hoffen zu dürfen, damit Erfolg haben zu können?“, fragt Chef Gregory auf Seite 226. „‘Nur die Russen’, meinte seine rechte Hand. ‚Exakt‘, sagt Gregory wieder. Diese neue Taktik hat ihre Identität verraten. Jetzt wissen wir Bescheid. Die Russen wollen uns verdrängen.“ Es ist aber Jack Reacher, der ihnen den Garaus macht.
P.S.
Was hat Reacher eigentlich diesmal mit Kleidung und Wäsche gemacht. Irgendwie ist die mir nicht untergekommen oder hatte er diesmal einfach Wichtigeres zu tun?
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Lee Child, Die Hyänen. Ein Jack-Reacher-Roman (24), 416 Seiten, Übersetzung Wulf Bergner, Roman, Blanvalet Verlag, Erscheinungsdatum 25. Juli 2022,
ISBN 978 3 7645 0804 3
22, 00 Euro