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Wie man durch Reden mit und Schreiben an die Liebste diese lebendig hält

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gerade hatte ich auf einer BERLINALE Pressekonferenz den Schluß eines Gedichts von Heinrich Heine rezitiert

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.",

weil es in diesem Film wieder mal um die Liebe ging, die nicht gegenseitig blieb, aber, dachte ich beim Lesen von JACQUELINE JACQUELINE, gerade dann, wenn die Liebe aufgeht und im Leben zwei Menschen inniglich verbindet, dann ist doch der Tod des anderen genau das, was das Herz entzwei brechen läßt und man sich Überlebensstrategien ausdenken muß  - oder sich einfach hinsetzen und den Dialog mit der Geliebten fortsetzen muß. Mündlich und schriftlich. Die schriftliche Version von Jean-Claude Grumberg finden wir hier in diesem Roman vor!

Und dann kam noch etwas hinzu. Es ist der Mann einer mir lieben Freundin gestorben. Mit siebzig Jahren, was heute kein Alter ist. Ich hatte ihn auch lieb, ein sanfter, feiner Mensch, begabt dazu, aber die Trauer, die Verzweiflung meiner Freundin geht mir durch Mark und Bein und ich konnte JACQUELINE JACQUELINE, wo ja der überlebende Mann um seine verstorbene Frau trauert, sie verzweifelt wenigstens in Gedanken, Geschichten und Gewohnheiten durch Mit-Ihr-Reden herbeizwingt, ja beschwört, einfach nicht lesen, ohne in Gedanken die Freundin an seine Stelle zu setzen, denn es war tatsächlich spiegelbildlich: „Sie war es, die alles Ungemach von ihm fernhielt.“, heißt es im vorliegenden Text durchaus traditionell und ich könnte für das Leben meiner Freundin fortfahren, er war es, der das Leben organisierte, der den Alltag strukturierte, der nachts über ihren Schlaf wachte und aufpaßte, daß sie immer zu essen bekam, also im Geschlechterverhältnis eher noch nicht so traditionell, aber im Kommen!.

Sicher beschreibt also Jean-Claude Grumberg die viel häufigere Variante, daß ein Mann die Frau betrauert, die – hier achtundfünfzig Jahre – ihn umfassend praktisch, seelisch und intellektuell umsorgte und auch der erotische Funke seine Lebens blieb, denn auch wenn im Alter die Runzeln zunehmen und die Erektionsbedingungen abnehmen, so gibt es doch eine Altersliebe, die nicht von schlechten Eltern ist. richtig gut, daß der Autor sie blühen läßt. Daß Grumberg nämlich auch dies in schönen, erkennbaren Sätzen wiedergibt, erhebt dieses Abschiednehmen von der Geliebten dann doch zu einem Roman über das Altern speziell, dessen Güte gerade darin liegt, daß man immer stärker um die Vergänglichkeit weiß und das Beisammensein auf neue Art genießen kann. Wo früher Kämpfe stattfanden, um Beteiligungen am Leben des anderen, auch um eine gerechtere Arbeitsverteilung der Alltagsdinge, auch hier ist er der Genius und sie seine Muse, sind zwei Alte heute vor allem froh, noch miteinander auf der Welt zu sein und sich die Mühsal des Alterns zu teilen, weil es dann für jedenvon ihnen  einfacher wird.

Ja, oft denkt man sich, die arme Jacqueline, denn dieser Jean-Claude, der Icherzähler im Buch, ist so ein Mann von gestern, der sich völlig seinem Werk, vor allem Bühnenstücke, aber auch alles andere, widmet, der sensible Künstler, dessen Wohn und Wehe man in den Mittelpunkt der Familie stellen muß, was Jacqueline wohl perfekt beherrschte. Sie bleib trotzdem ihre eigene Frau, das ist oft ein Kunststück, wenn sich genial fühlende Männer auch gerne führen geben, dann aber den Alltag an die zugehörige Frau abgeben. Zusammen mit zwei Kindern, die auch och zu eigenen Menschen heranwuchsen. Ja, von diesen hätte ich gerne gewußt, wie sie das Trauerbuch ihres Vaters um ihre Mutter einschätzen. Nachgetragene Liebe wird oft einem Leben hinterhergetragen, in dem die Liebe zu wenig zu spüren war, aber den Eindruck hat man hier nicht, also nicht das Gefühl, hier würde einer im Nachhinein mit vielen Worten eine Liebesfähigkeit seinerseits beschwören, die er im wirklichen Leben eben doch nicht aufbrachte. Nein, der ganze Roman wirkt authentisch. Weder fühlt man sich ungehörig in etwas hineingezogen, noch jubelt einem der Autor etwas unter. Es berührt zusätzlich, daß sich die Grumbergs gerade über den großen Erfolg seiner Erzählung "Das kostbarste aller Güter" freuen konnte, mit der er seinem in Auschwitz ermordeten Vater und Großvater ein Denkmal gesetzt hatte.


Dieser Roman, der seine Frau an ihr gemeinsames Leben, Ihre Liebe, ihre herrlichen Auslandsreisen, das Feriendomizil, die Kinder ...erinnert, ist auch eine Bestandsaufnahme einer kulturell anspruchsvollen Ehe eines Migrantensohns, der zu einem angesehenem Mitglied der französischen Gesellschaft avancierte, der mit seiner Frau das Leben einer gehobenen Schicht führte, wie es in der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts ohne die Legitimationen von klimatischem Fußabdruck, Umweltsorgen, Corona und Krieg in Europa noch möglich war. Über das individuelle Schicksal hinaus, haben wir hier zusätzlich eine quasi soziologische Studie über ein Leben, wie es nie wieder in dieser Unschuld gegenüber der Umwelt und dem Leid der Welt möglich ist.

Jean-Claude Grumberg darf sich seinem Schmerz hingeben und ihn durch mit der Liebsten Reden und an und über sie Schreiben in einem weiteren Buch seiner Schriftstellerkarriere verarbeiten, für den er den Literaturpreis 2021 von Le Monde erhielt. Trauer ist immer etwas sehr Persönliches, sehr Privates. Aber beim Lesen kam mir vor, daß unsere an vielen Stellen kranke Welt in zukünftigen Trauerbüchern eine größere Rolle spielen wird, daß also zukünftig das Private nie mehr so privat bleiben wird.

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Umschlagabbildung

Info:
Jean-Claude Grumberg, Jacqueline, Jacqueline, aus dem Französischen von Edmund Jacoby, Verlagshaus Jacoby&Stuart, Berlin
ISBN 978 3 96428 151 7