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Neues aus der WELTEXPRESSO – Krimibibliothek, Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tja, da kamen wir gerade ins Schwimmen, denn diesen Krimi hätte man auch in unserer Serie des Wiederlesens… bringen können, aber Hauptsache, er wird noch mal unter’s Volk gebracht, denn sicher lohnt die ganze Reihe um den ehemaligen Kommissar und Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler, aber dieser zweite Band ganz besonders, den er bringt in Deutschland wenig bekannte Fälle von Lynchjustiz an alliierten Soldaten im und vor allem am Ende des 2. Weltkriegs.

 

In der Tat hatte ich nie zuvor gelesen, daß nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa 44 000 US-amerikanische Soldaten vermißt werden und daß man für Deutschland davon ausgeht, daß 1000 von der Bevölkerung gelyncht wurden. Zwar verbieten die internationalen Abkommen solche Morde, aber die Nazi-Chargen forderten die Bevölkerung sogar dazu auf. Es gab viele Möglichkeiten, in deutsche Hände zu fallen, die sicherste sozusagen war das Abschießen und der Absturz eines Flugzeugs, wie es hier dem schwarzen US-Soldaten Steven Blackmore am 1. März 1945 passiert. Er überlebt, versteckt sich im Wald, wird aber von zwei Buben entdeckt, die Tage später dabei sind, als er von einem Deutschen erschossen und verscharrt wird.

Daß dies nun ausgerechnet der Vater des von Ermittler Georg Dengler verehrten US-amerikanischen Blues-Musikers JUNIOR WELLS (1934-1998) ist, der eigentlich Amos Blackmore heißt, ist zwar etwas unwahrscheinlich, aber nur etwas. Solche Dinge passieren und sie passieren solchen Typen wie Dengler sowieso eher als anderen. Er wird als trinkfester Bluesfan beschrieben, der im Stuttgarter Einzugsgebiet gut von seiner Privatdetektei leben kann, was die Voraussetzung ist, daß es der Autor auch kann, der seit 2000 vom Schreiben lebt. Dieser Roman, in der Folge von zehn Kriminalromanen die Nummer zwei, war für mich wie ein Geschichtsroman, denn diese Lynchmorde waren mir nicht bekannt und allein, daß Dengler durch einen gegenwärtigen Auftrag die Zeit Frühjahr 1945 erforschen muß, bringt das ganze Tableau des Kriegsendes vor unsere Augen und wie sehr einerseits gesellschaftlich ein Schweigen über damals liegt, das aber nur selten vom Vergessen herrührt, sondern daß dort so viele schlimme Dinge passiert sind, die man meist erfolgreich verdrängen konnte. Die damalige deutsche, vom Krieg zermürbte Gesellschaft hatte an Gerechtigkeit und Recht wenig Interesse. Und daß es noch heute die Connektion von damals gibt, hat sich herumgesprochen.

Schorlau gelingt es, uns einige eindrückliche Personen vor Augen zu bringen, im positiven, wie diese sagenhafte Olga, schön, klug, mit einer gewinnbringenden Fingerfertigkeit, wie im negativen Sinne, wie das Wiesel, so nennt Dengler den schleimigen Rümmlin, der noch eine böse Rolle spielen wird.

Grundsätzlich geht es erst einmal um Folgendes. Die Erben des erfolgreichen Unternehmens Sternberg haben in den Unterlagen ihres verstorbenen Großvaters einen Vertrag gefunden, daß das zuvor den Sternbergs gehörende Schloßhotel in Gündlingen am 24. Juni 1947 an Kurt Roth überging, beglaubigt von dessen Vater Arthur, weil Kurt erst 15 Jahre ist. Dazu gibt es eine Sondervereinbarung, doch die taucht nirgends auf. Wie Dengler glaubt auch der Leser unwillkürlich an ein uneheliches Kind des Schenkers. Grundfalsch.

Alles hat mit damals zu tun, doch das ergibt sich erst gegen Schluß. Dazwischen läuft Dengler gegen Wände, wenn er von früher erfahren will, beeindruckend, wie die Mauer des Schweigens funktioniert und nette alte weißhaarige Herrschaften auf die Sekunde abweisend werden, wenn 1945 zur Sprache kommt. Kein Wunder, denn auch wenn es einen konkreten Täter für diesen Mord gibt, ist es doch das kollektive Schweigen, was alle schuldig macht.

Das war gut, wieder einmal in diese Zeit einzutauchen, die immer noch in der deutschen Geschichte vernachlässigt ist. Es ginge der Wiederaufbau vor, hieß es immer. Aber wir wissen ja längst, das Schweigen und Verdrängen sich irgendwann bitter rächt. Lieber rechtzeitig reden.

Für DAS DUNKLE SCHWEIGEN erhielt Wolfgang Schorlau 2006 den dritten Platz des Deutschen Krimi-Preises. Der Roman erschien 2005, unsere Ausgabe ist die 20. Auflage von 2014.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Wolfgang Schorlau, Das dunkle Schweigen, Denglers Zweiter Fall, Kiepenheuer&Witsch, 2014
ISBN 978 3 462 03614 5

Die zehn Denglers

Die blaue Liste. Denglers erster Fall“
Das dunkle Schweigen. Denglers zweiter Fall“
Fremde Wasser. Denglers dritter Fall“
Brennende Kälte. Denglers vierter Fall“
Das München-Komplott. Denglers fünfter Fall“
Die letzte Flucht. Denglers sechster Fall“
Am zwölften Tag. Denglers siebter Fall“
Die schützende Hand. Denglers achter Fall“
Der große Plan. Denglers neunter Fall“
Kreuzberg Blues. Denglers zehnter Fall“

Bisherige Serie

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Kleine Serie über WAHRE VERBRECHEN

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