KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für April 2014, Teil 1

 

Elisabeth Römer

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hatten wir uns das letzte Mal noch gefreut, daß nur drei neue Krimis anstanden, so wurde für den April die halbe Liste, also 5 Krimis ausgetauscht. Stimmt schon, manche waren sehr, sehr lange dabei. Aber der alte Erste, David Peace mit GB84 aus dem Verlag Liebeskind, der ist auch diesmal an der Spitze und doch erst das zweite Mal auf der Liste.



Das gilt auch für Oliver Bottinis EIN PAAR TAGE LICHT. Nein, nicht das zweite Mal, sondern daß es diesem Roman gelungen ist, auf Anhieb auf den zweiten Platz zu springen. Fundierteres dazu erst das nächste Mal. Daniel Woodrell ist mit IN ALMAS AUGEN, ebenfalls von Liebeskind, vom fünften auf den dritten Platz vorgerückt. Wir haben uns schon das letzte Mal als Fan von Daniel Woodrell herausgestellt. Jan Costin Wagner ist mit TAGE DES LETZTEN SCHNEES aus dem Verlag Galiani, vom zweiten auf den vierten Rang gerutscht.

Auf Platz 5 überrascht Sascha Arango DIE WAHRHEIT UND ANDERE LÜGEN aus dem Verlag C.Bertelsmann, von dem wir gerade das Hörbuch mp3 hören, das im Hörverlag in München erschienen ist und von Axel Milberg süffisant gelesen wird. Starke Geschichte. Ein erfolgreicher Schriftsteller – wir lieben eh Romane von Schriftstellern über Schriftsteller – ist nur deshalb erfolgreich, weil seine fade und äußerst unscheinbare Ehefrau seine Bestseller verfaßt hat. Klar, daß dieser erfolgreiche Mann eine Geliebte hat. Klar, daß die Geliebte ein Kind von ihm erwartet und auch, daß er sich zu beiden bekennt und als Ziel, seine Frau verläßt.

Dann wäre der erfolgreiche Schriftsteller, aber weder erfolgreich noch Schriftsteller mehr. Also muß doch eigentlich die Problemmacherin, die Geliebte weg. Wie es weitergeht, das nächste Mal. Nur wollten wir schon einmal darauf hinweisen, wie gut sich dieser Krimi liest, der – auch das ist fast sensationell auf der Zehnerliste – der dritte von insgesamt vier deutschen Kriminalromanen ist! Nun ist dies tatsächlich der erste Krimi von Sascha Arango – als Buch, muß man sagen, denn er ist ein bekannter Drehbuchautor, bekannt auch für seine Borowski-Tatorte, die einen ganz eigenen Anstrich haben.

Die beiden Nächstplazierten, beide neu auf der Liste, liegen schon da, sind aber noch nicht gelesen.Das ist auf Platz 6 SPADEMAN von Adam Sternbergh aus dem Heyne Verlag und WÜSTE DER TOTEN von Urban Waite aus dem Verlag Knaur auf Platz 7. Dafür können wir diesmal etwas und sogar viel zu ENTFLIEHEN KANNST DU NIE von Karim Miské von Bastei Lübbe sagen, der das letzte Mal auf Platz 10 eintrat und nun auf Platz 8 steht. Der französische Autor ist Journalist und Dokumentarfilmer und hat mit seinem ersten Buch einen starken Auftritt hingelegt, der in Frankreich 2012 mit dem Grand Prix de Littérature Policière ausgezeichnet wurde. Er bringt wirklich etwas Neues. Das fängt schon mit den Polizeikommissaren an. Rachel Kupferstein und Jean Hamelot sind ein eigen Paar, so gegensätzlich wie beruflich sich ergänzend, deren leicht absurd-absonderliche Individualität aber noch übertroffen wird von der eigentlichen Hauptperson Ahmed.

Der ist schwer geschädigt, was auch eine Psychoanalyse nicht lösen konnte, einfach, weil er so Furchtbares erlebt hatte, daß sich dies ganz ohne sein Zutun tief in ihm versteckt hat, so daß weder er selbst noch ein Psychiater darankommen, weshalb er seit Jahren vor sich hinlebt, mit staatlicher Unterstützung, aber schon froh, daß er nicht in die Anstalt muß, sondern in seiner kleinen Wohnung leben darf. Dort allerdings stehen keine Möbel, sondern Kriminalromane. Die liest er nämlich. Einen nach dem anderen. Das ist ein flotter Gedanke, der dem Roman hilft, immer wieder mal über das Genre Kriminalroman etwas Schlaues sagen zu können oder einfach eine persönliche Würdigung anzubringen, wie als Lieblingsschriftsteller des Ahmed James Ellroy dient, das ist der, dessen Romane besonders oft verfilmt werden und düstere Seiten Amerikas zeigen.

 

Wir jedoch sind in Paris, noch dazu ist dies relativ übersichtlich, dort, wo Ahmed wohnt, und wo, Auslöser für den Fall, in der Wohnung über ihm eine junge Frau namens Laura – die ihn umwarb und die er mochte - umgebracht wird, bestialisch dazu und ganz schön erschreckend, wenn schon auf den ersten Seiten ihr Blut vom Balkon auf Ahmed niedertropft. Überhaupt sind es oft körperliche Reaktionen, die sich beim Lesen einstellen, weil Karim Miské sehr sinnlich schreibt. Das, was sich langsam entwickelt, gewinnt eine Dynamik einerseits, Sogkraft andererseits. Denn neben den beschaulichen Orten und literarischem Personal, denkt man und man denkt schon hier falsch, kommen auf einmal die irrsten Zusammenhänge auf eine internationale Schiene. 

 

Flugs sind wir in Karim Miskés ENTFLIEHEN KANNST DU NIE, auf Platz 8 der Liste, in den USA auf den Spuren der Zeugen Jehovas, wo wir gegen Schluß genau verstehen, was die ermordete Laura dort gesehen hatte, was einem gewinnbringenden Rauschgifthandel schädlich war, aber auch ihre familiäre Situation durcheinanderbrachte, die bisher säuberlich geordnet war.

 

Sie war nämlich ihren fundamentalistischen Eltern, eben den Zeugen Jehovas entflohen, hatte diese in der französischen Provinz zurückgelassen, wurde von ihnen nun gleichzeitig als Tochter verstoßen – da ist doch wirklich Ordnung hergestellt - und kann nun endlich in Paris in Ruhe und mit Freude leben. Konnte, muß man sagen, denn sie ist ja gleich auf der ersten Seite tot, aber dafür erfährt man viel von ihr und ihrem bisherigen Leben und auch von den beiden, eigentlich drei Freundinnen. Sehr sympathische junge Frauen. Man kann die Geschichte ab jetzt überhaupt nicht weitererzählen, weil die vielen Personen und Volten, die der Roman schlägt, nicht in Kürze wiederzugeben sind.
 

Stimmt, das wurde uns manchmal dann etwas zu viel, wie die Fundamentalisten jeglicher Coleur sich im Roman die Klinke in die Hand geben, ob Religion, Politik, was ja meist in Religion eingewickelte persönliche Politik der geborenen natürlich immer männlichen Führer ist. Wir waren aber immer gebannt, wie die vielen Seile und Schicksale, die der Autor entwickelt hatte, dann zusammenfinden. Und das tun sie. Am Schluß sind die Richtigen bestraft, aber doch nicht alle und daß Tote diejenigen sind, die eigentlich hätten leben sollen, ist auch eine der Fiesheiten von Kriminalromanen, aber ohne diese Toten gäbe es keine Krimis! Wir haben auf jeden Fall diesen Roman, über dessen weitere Fundamentalismen von Salafisten und Chassiden in Paris und New York wir noch gar nichts erzählt hatten, obwohl sie im Buch weit wirken, interessiert gelesen. Fortsetzung folgt.

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste April 2014

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

David Peace: GB84

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 544 S., 24,80 €

Großbritannien, großer Streik. Gewerkschaft NUM und Bergarbeiter gegen Thatcher und Zechenschließung. An der Schwelle zum Bürgerkrieg wuseln Gewerkschafter, Politiker, Einpeitscher, Spitzel, Streikbrecher, Mörder. Das Ende der Kohlewelt: kolossal noir.

2

2

(-)

Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht

DuMont, 512 S., 19,99 €

Algerien/Deutschland. Deutscher Ingenieur von Islamisten entführt! BKA-Mann Eley und algerische Militärs suchen fieberhaft. Parallel in D: Politgerangel um Rüstungsexport. Interkulturelle Liebschaften, demokratische Terroristen – ausgefuchster Politthriller, erhellend durch Möglichkeitssinn.

3

3

(5)

Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Missouri 1929. Alma, die Magd, hat miterlebt, wie Bankier Glencross sich in ihre Schwester Ruby verliebte und sie verriet. Alma weiß auch, wie es zu der Explosion kam, bei der 42 Menschen starben. Familiengeschichte aus einer Stadt, die fast ein Jahrhundert lang schwieg.

4

4

(2)

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Galiani, 320 S., 19,99 €

Turku/Helsinki/Ostende. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Ein Kind stirbt bei einem Autounfall. Ein Banker macht sich zum Liebeskasper. Eine rumänisch-ungarische Prostituierte tut, was sie tun muss. Ein Junge will Massenmörder sein. Kommissar Kimmo Joentaa wird vielleicht glücklich.

5

5

(-)

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen

C.Bertelsmann, 304 S., 19,99 €

Irgendwo in Norddeutschland. Sie sind ein perfektes Paar: Henry gibt den glamourösen Starautor, seine Bestseller schreibt Martha. Bis sie, Opfer einer Verwechslung, über die Klippe geht. Henry navigiert sein Rettungsboot auf Sicht. Ein Ripley light aus deutscher Feder - wer hätte das gedacht?

6

6

(-)

Adam Sternbergh: Spademan

Aus dem Englischen von Alexander Wagner

Heyne, 304 S., 14,99 €

New York nach der schmutzigen Bombe. Auftragskiller Spademan kriegt Persephone auf den Zettel. Doch die Tochter eines machtgierigen Fernsehpredigers ist schwanger. Spademan ändert die Agenda und richtet sein Teppichmesser gegen die Bösen. Dystopisches Klötzchenspiel.

7

7

(-)

Urban Waite: Wüste der Toten

Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger

Knaur, 378 S., 9,99 €

New Mexiko. Ein letzter Job, damit Ray Lamar nach Hause zurückkehren kann. Der Überfall auf den Drogentransport geht schief, Fahrer und Beifahrer sind weitere Tote, die Ray auf dem Gewissen hat. Düster wie ein Sandsturm: Ein Mann geht aufrecht in den Untergang.

8

8

(10)

Karim Miské: Entfliehen kannst Du nie

Aus dem Französischen von Ulrike Werner

Bastei Lübbe, 336 S., 8,99 €

Paris/New York. Salafisten und Chassiden in La Villette: Zusammenknall der Fundamentalisten. So scheint es, als Laura, abtrünnige Tochter von Zeugen Jehovas, auf ihrem Balkon ausblutet. Im Kern dieses Rohdiamanten von Roman stecken Wut, Drogen, Freud und Ellroy. Arab Jazz!

9

9

(8)

Uta-Maria Heim: Wem sonst als Dir.

Klöpfer & Meyer, 264 S., 20,00 €

Stuttgart/Knitzingen/Tübingen. „Wem sonst als Dir.“ - Hölderlins Widmung an Diotima leitet die Selbstbefragung des irrenden Richters K. Muttermord, Totschweigen, Bruderliebe - Tricks, sein Leben zu verfehlen? Grantig, liebevoll, atemlos bis zum letzten Zug.

10

10

(-)

 

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Aus dem Englischen von Rainer Nitsche

Transit, 176 S., 19,80 €

Maple Bluff, Wisconsin/Nairobi. Der Fall einer toten Blondine vor der Haustür des ruandischen Menschenrechtlers Professor Joshua führt Detective Ishmael von Wisconsin nach Nairobi. Dort lernt er mehr über Identität, Gewalt, Geld und Gewissenlosigkeit, als ihm lieb ist. Starkes Debüt.

 

 

INFO I:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 3. April 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 3. April 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, »Penser Pulp bei Diaphanes«, »culturmag«, »DRadioKultur«

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

INFO II:

Auf der LEIPZIGER BUCHMESSE wurde die KrimiZEIT-Bestenliste am Stand von AUSGEZEICHNET vorgestellt. Tobias Gohlis sprach mit Friedrich Ani und Conny Lösch über die KrimiZEIT-Bestenliste und Qualität in der Kriminalliteratur.

Am Freitag, 14. März 2014, Stand 13/Ausgezeichnet in der Glashalle, 16:00 Uhr.