KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für April 2014, Teil 2

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auf Platz 9 überlebt Uta-Maria Heim mit WEM SONST ALS DIR., erschienen bei Klöpfer & Meyer, ein so wunderliches wie wunderbares Buch, das einen eigenen Klang, auch einen eigenen Sprachklang besitzt, von dem wir in den vorangegangenen Artikeln selbst tönten. Brandneu auf dem allerletzten, dem 10. Rang, ist von Mukoma wa Ngugi NAIROBI HEAT, verlegt von Transit Buchverlag.

 

 

Neuer Autor, neues Thema mit geradezu archaischen Wurzeln. Zum einen ist der in den USA geborenen, in Kenia aufgewachsene Autor der Sohn des wirklich weltbekannten kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong'o, der in den USA studierte und dort blieb. Er ist ein Literaturprofessor und Journalist und legt mit NAIROBI HEAT seinen ersten Roman vor.



Sich die Anmerkungen auf Seite 175 zuerst anzuschauen, ist für die nicht schlecht, die den Völkermord in Ruanda 1994 nicht mehr richtig gegenwärtigen (dafür könnte man natürlich auch den ergreifenden Film über die Massaker anschauen). Für diesen Roman ist das Thema nur insofern virulent, dann aber umfassend, als damals das Leid der übriggebliebenen Tutsi, aber auch das der opponierenden Hutu in den eigenen Reihen international dazu geführt hatte, daß riesenhafte Spendenaktionen getätigt wurden, für die alle möglichen, oft privaten Hilfsorganisationen gegründet wurden.



Ein Held dieser Spendenaktionen für die Afrikaner ist Joshua Hakizimana, Professor in den USA und aus Ruanda und Kenia stammend. Auf den Stufen seines schönen Hauses liegt eine blonde junge Frau. Tot. Er hat sie selbst beim Heimkommen aufgefunden und sofort die Polizei gerufen. Natürlich ist er verdächtig, aber erstens hat er ein Alibi und wer macht denn so was, eine Tote vor die eigene Haustüre zu legen. Diese Überlegungen stellt auf jedenfall der ermittelnde Ishmael , ein schwarzer Amerikaner. Schon auf der ersten Seite befindet er sich auf dem Dienstflug nach Kenia. Erst sehr viel später erfahren wir, daß ein Anrufer mitteilte, daß die Aufklärung über den Mord an der weißen blonden Frau – das muß man sich vorstellen, junge weiße tote Frau, älterer schwarzer Professor und Wundertäter mit tadellosem Ruf – nur in Afrika zu finden sei.



In Nairobi angekommen, empfängt ihn schon auf der dritten Seite David Odhiambo: „Meine Freunde und Feinde nennen mich O.“ Er ist sein kenianisches Pendant, denn nun sollen beide zusammenarbeiten, um den Mord in Amerika in Kenia zu lösen; zudem ist er der schwärzeste Mensch, den unser Hauptheld je sah. Überhaupt erhält der Amerikaner – und wir mit ihm – Anschauungsunterricht 'in Afrika'. Das ist spannend, denn er hält sich in verschiedenen Gesellschaftsschichten auf und das sind alles Milieus, die man in den Kriminalromanen kaum erlebt. Natürlich gibt es auch Frauen. Die Ehefrau von O ist außen vor, aber da gibt es die amerikanische Journalistin MO, bei der man nie so recht weiß, ob es amouröse Gefälligkeiten für gute Informationen gibt, auf jeden Fall ist sie auch für Ishmael wichtig, weiß er doch, daß alleine Veröffentlichungen die potentiellen Täter festnageln kann.



Denn wie sehr der Polizeiapparat von denen mitkontrolliert wird, die sich als Täter entlarven, gilt nicht nur für Kenia, sondern potentiell auch für Amerika, wobei dort schwerer wiegt, daß man dringend einen Mörder braucht, irgendeinen, damit die tote blonde Frau aus den Schlagzeilen verschwindet. Mit Ishmael sind wir also in Afrika unterwegs – und haben doch glatt die dritte, sehr wichtige Frau zu erwähnen vergessen, die er kennen und lieben lernt. Das ist die Muddy Genannte, deren Medaillonbild ein schwarzer Selbstmörder in der Hand hielt, die viel über Joshua und das Umfeld weiß und als Sängerin in einer Bar arbeitet. Sie wird nicht nur menschlich für den Detective wichtig, sondern trägt wesentlich zur Aufklärung bei.



Will man Ishmaels Erfahrungen subsumieren – die Toten, die es ab jetzt gibt, haben wir nicht mehr mitgezählt, es erscheint wirklich so, als ob auch O den tödlichen Pistolenschuß als tägliche Übung absolviert, wobei schon auch gilt, wer schneller ist, denn täglich ist sind die beiden Ermittler mehrmals gefährdet - , dann gehört er zu der Sorte der harten Hunde, die von sich sagen: „Meine Ausbildung und meine bisherigen Fälle hatten mich geprägt. Und ich würde diesem Weg folgen, wohin er auch führte. Der Grund war sehr simpel, aber unumstößlich – es war ein Verbrechen, dass jemand sie umgebracht hatte, und noch schlimmer war, dass der Mörder frei herumlief.“ (25)



Der Krimi spielt nun überwiegend in Afrika und das ist alles so bunt – ja, auch durch das viele Blut, aber nicht nur – und bringt ein so erstaunliches literarisches Personal auf die Bühne, daß man diesen Krimi auch ohne so strikt auf die Verbrechensaufklärung orientiert zu sein wie der Detective immer wieder mit offenem Mund liest. Unglaublich, was da alles passiert, welche Figuren uns begegnen, die so irreal wie wirklich sind. Das ist schon eine Kunst der Beschreibung, die dem Autor in seinem ersten Roman gelingen, der zudem als Schutzengel für seinen Icherzähler fungiert. Denn wie dieser zusammen mit O alle Anschläge überleben, das hat schon etwas zu tun mit der Hoffnung, daß bessere Menschen länger leben. Da hätte Kompagnon O sofort Einspruch erhoben. Für ihn gibt es nicht die Guten und die Schlechten.



Daß die Fallauflösung nach vielen potentiellen Tätern, von denen mindestens einer den Mord an der Blonden auch zugibt, doch in Amerika den richtigen erwischt, ist eine Pointe ganz am Schluß, die man nicht nur nicht verraten darf, sondern die auch bedingte, daß man über wichtige Passagen des Buches nicht sprechen konnte. Lesen Sie selbst.



Eine Anmerkung muß noch sein. Der Übersetzer Rainer Nitsche bringt uns die afrikanische Welt nah. Gut so. Aber eine übersetzerische Unsitte, ein Ärgernis hätten seine Lektoren beseitigen müssen. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen 'to make sense' in etwas, was 'Sinn mache', ist immer falsch, zeigt eigentlich, daß der Übersetzer die unterschiedliche Konnotation vom deutschen 'machen' in to do und to make nicht verstanden hat. Denn to make sense hat die Bedeutung des Machens, aus dem im Deutschen 'zwei und zwei macht vier' resultiert. Es geht also um einen Prozeß, der in der herkömmlichen Übersetzung von 'Sinn ergeben' korrekt wiedergegeben ist. Wenn das, wie häufig, einmal passiert, liest man rasch weiter. Wenn sich diese falschen Sinnmacher aber so häufen wie hier, ist das ein echtes Ärgernis.

Die KrimiZEIT-Bestenliste April 2014

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

David Peace: GB84

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 544 S., 24,80 €

Großbritannien, großer Streik. Gewerkschaft NUM und Bergarbeiter gegen Thatcher und Zechenschließung. An der Schwelle zum Bürgerkrieg wuseln Gewerkschafter, Politiker, Einpeitscher, Spitzel, Streikbrecher, Mörder. Das Ende der Kohlewelt: kolossal noir.

2

2

(-)

Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht

DuMont, 512 S., 19,99 €

Algerien/Deutschland. Deutscher Ingenieur von Islamisten entführt! BKA-Mann Eley und algerische Militärs suchen fieberhaft. Parallel in D: Politgerangel um Rüstungsexport. Interkulturelle Liebschaften, demokratische Terroristen – ausgefuchster Politthriller, erhellend durch Möglichkeitssinn.

3

3

(5)

Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Missouri 1929. Alma, die Magd, hat miterlebt, wie Bankier Glencross sich in ihre Schwester Ruby verliebte und sie verriet. Alma weiß auch, wie es zu der Explosion kam, bei der 42 Menschen starben. Familiengeschichte aus einer Stadt, die fast ein Jahrhundert lang schwieg.

4

4

(2)

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Galiani, 320 S., 19,99 €

Turku/Helsinki/Ostende. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Ein Kind stirbt bei einem Autounfall. Ein Banker macht sich zum Liebeskasper. Eine rumänisch-ungarische Prostituierte tut, was sie tun muss. Ein Junge will Massenmörder sein. Kommissar Kimmo Joentaa wird vielleicht glücklich.

5

5

(-)

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen

C.Bertelsmann, 304 S., 19,99 €

Irgendwo in Norddeutschland. Sie sind ein perfektes Paar: Henry gibt den glamourösen Starautor, seine Bestseller schreibt Martha. Bis sie, Opfer einer Verwechslung, über die Klippe geht. Henry navigiert sein Rettungsboot auf Sicht. Ein Ripley light aus deutscher Feder - wer hätte das gedacht?

6

6

(-)

Adam Sternbergh: Spademan

Aus dem Englischen von Alexander Wagner

Heyne, 304 S., 14,99 €

New York nach der schmutzigen Bombe. Auftragskiller Spademan kriegt Persephone auf den Zettel. Doch die Tochter eines machtgierigen Fernsehpredigers ist schwanger. Spademan ändert die Agenda und richtet sein Teppichmesser gegen die Bösen. Dystopisches Klötzchenspiel.

7

7

(-)

Urban Waite: Wüste der Toten

Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger

Knaur, 378 S., 9,99 €

New Mexiko. Ein letzter Job, damit Ray Lamar nach Hause zurückkehren kann. Der Überfall auf den Drogentransport geht schief, Fahrer und Beifahrer sind weitere Tote, die Ray auf dem Gewissen hat. Düster wie ein Sandsturm: Ein Mann geht aufrecht in den Untergang.

8

8

(10)

Karim Miské: Entfliehen kannst Du nie

Aus dem Französischen von Ulrike Werner

Bastei Lübbe, 336 S., 8,99 €

Paris/New York. Salafisten und Chassiden in La Villette: Zusammenknall der Fundamentalisten. So scheint es, als Laura, abtrünnige Tochter von Zeugen Jehovas, auf ihrem Balkon ausblutet. Im Kern dieses Rohdiamanten von Roman stecken Wut, Drogen, Freud und Ellroy. Arab Jazz!

9

9

(8)

Uta-Maria Heim: Wem sonst als Dir.

Klöpfer & Meyer, 264 S., 20,00 €

Stuttgart/Knitzingen/Tübingen. „Wem sonst als Dir.“ - Hölderlins Widmung an Diotima leitet die Selbstbefragung des irrenden Richters K. Muttermord, Totschweigen, Bruderliebe - Tricks, sein Leben zu verfehlen? Grantig, liebevoll, atemlos bis zum letzten Zug.

10

10

(-)

 

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Aus dem Englischen von Rainer Nitsche

Transit, 176 S., 19,80 €

Maple Bluff, Wisconsin/Nairobi. Der Fall einer toten Blondine vor der Haustür des ruandischen Menschenrechtlers Professor Joshua führt Detective Ishmael von Wisconsin nach Nairobi. Dort lernt er mehr über Identität, Gewalt, Geld und Gewissenlosigkeit, als ihm lieb ist. Starkes Debüt.

 

 

 

INFO I:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 3. April 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 3. April 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, »Penser Pulp bei Diaphanes«, »culturmag«, »DRadioKultur«

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

INFO II:

Auf der LEIPZIGER BUCHMESSE wurde die KrimiZEIT-Bestenliste am Stand von AUSGEZEICHNET vorgestellt. Tobias Gohlis sprach mit Friedrich Ani und Conny Lösch über die KrimiZEIT-Bestenliste und Qualität in der Kriminalliteratur.

Am Freitag, 14. März 2014, Stand 13/Ausgezeichnet in der Glashalle, 16:00 Uhr.