Sex, Drugs & Rock ‚n‘ Roll sind Ingredienzien der himmelsstürmenden Liebe bei Taylor Jenkins Reid
Hanno Lustig
Köln (Weltexpresso) – Das ist ein Ding! Beim Lesen glaubt man auf 334 Seiten, man lese einen vielstimmigen Chor, bestehend aus den Mitgliedern einer Band der 70er Jahre, einer Rock-Band, keiner Pop-Band, deren letztes Album AURORA Nr. 1 der US-Charts wurde. Das literarische Stilmittel ist höchst ungewöhnlich, weil alle Seiten hindurch die Mitglieder der Band u.a. in wörtlicher Rede das fiktive Geschehen aus der Vergangenheit rekapitulieren, so daß auf vielen Seiten sieben Personen hintereinander sprechen und sich für uns so die Geschichte der Band und ihrer Protagonisten wia im richtigen Leben darstellt.
Längst gibt es übrigens eine zehnteilige Amazonserie, die das Buch verfilmt hat, wobei wie im Buch Billy Dunne und Daisy Jones die Hauptfiguren, einerseits antagonistisch, andererseits ineinanderverwurschelt sind. Die werde ich mir sicher nicht anschauen, sollte sie in unsere Breitengrade kommen, denn sooo schön wie Daisy im Roman geschildert wird, kann keine derzeitige Filmschauspielerin das einlösen. Keine. Und sicher auch keine im Duett mit Billy so ergreifend, so musikalisch, so in Eins singen. Wir haben es also mit einem gehörigen Schmalzpotential zu tun. Das merkt man beim Lesen aber erst spät und dann zum Davonlaufen in den letzten Seiten.
Zuvor geht die Autorin gekonnt mit den Siebziger Jahren um, wobei Daisy Jones Leben als Groupie schon 1965-1972 einsetzt. „Sie wuchs in L.A. auf, war ein reiches weißes Mädchen und umwerfend schön – schon als Kind. Sie hatte unglaublich große blaue Augen- ein dunkles Kobaltblau.“, das ein Unternehmen für gefärbte Kontaktlinsen als Daisy Blue vermarktete. Ihr dickes, lockiges, kupferrotes Haar blieb ihr eigen. Und dieses schöne Kind wurde von ihren Eltern überhaupt nicht wahrgenommen. Sie konnte machen, was sie wollte, was sie dann auch tat. Das erzählt Elaine Chang, die Biographin von Daisy Jones, womit also im Roman eine weitere Ebene eingezogen wird, die das Gefühl von Wirklichkeit suggerieren muß.
Tatsächlich wurde zu Buch und Verfilmung ein Album von DAISY JONES &THE SIX veröffentlicht, die Texte stehen im Roman am Schluß. Längst äußerte Taylor Jenkins Reid, daß sie von einer Aufnahme eines Konzerts von Fleetwood Mac inspiriert habe. Dort sah der Sängerin und dem Sänger beim Singen zu. „Es sah so sehr nach zwei verliebten Menschen aus. Und doch werden wir nie wirklich wissen, was zwischen ihnen war.“ Aber ihr Roman tut dann doch so, als ob sie es weiß. Denn, nachdem sie wirklich in verschiedenen Kapiteln wie DER AUFSTIEG VON THE SIX 1966-1972 bis zur Auflösung der Band 1979 den Weg einer Rockband sehr realistisch dargestellt hat und damit diesem Buch einschließlich der musikalischen Anteile zumindest kulturgeschichtlich ein Plus gibt, kommt es am Ende dicke.
Um das zu verstehen, langt es, die Geschichte von Billy Dunne wiederzugeben, der als Bandleader mit seinem Bruder Graham THE SIX aufzieht, die die typischen Probleme von Sex und Drogen mit sich bringen. Aus seiner Drogen- und Alkoholproblemen erlöst ihn Camila. Diese toughe erst junge, dann ältere Frau, gebiert ihm drei Mädchen und ist immer zur Stelle, wenn er seinen Gelüsten nach Stoff, Alkohol oder Daisy nachgeben könnte. Denn den Widerstand, ja Haß, den Billy auf Daisy richtet, ist nur seine Angst, seine Sicherheit, seine Familie aufgeben zu müssen. Damit dann endlich die Liebe, die beide zueinandertreibt, sich auch erfüllen kann, muß Ehefrau Camilla – noch einmal fiktiv wie alle anderen Bandmitglieder auch - mit 63 Jahren 2012 sterben. Sie hinterläßt einen Brief an ihre Töchter: „Wenn ich nicht mehr bin, dann gebt eurem Vater erst mal ein bißchen Zeit. Aber danach sagt ihr im bitte, daß er Daisy Jones anrufen soll. Ihr Nummer steht in meinem Termin….“.
Also echt, Kitsch mit Soße. Sich jahrelang kasteien, Liebe unterdrücken, weil Familie vorgeht, dann rasch sterben, damit die Liebenden sich endlich finden dürfen. Das ärgert einen, wo doch das Buch selbst ein wichtiges Zeitdokument suggeriert und in den höchsten Tönen gelobt wird.
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Info:
Taylor Jenkins Reid, Daisy Jones & The Six, übersetzt aus dem Amerikanischen von Conny Lösch, Ullstein Verlag 2022