augemMarkus Emanuel Zaja/Ralf Kaupenjohann gehen 2018-2020 dem Verschwinden nach, Augemus Musikverlag

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - Die Autoren dieses Buches sind zwei deutsche Musiker aus dem Ruhrgebiet, die ursprünglich von der inzwischen verstorbenen Historikerin Shoshanna Blickenstorfer-Ritzmann bei ihren Recherchen, die zunächst im Jüdischen Museum Wien begannen, begleitet wurden. Das Buch dokumentiert eine akribische und erfolgreiche Spurensuche im Fall einer ermordeten jüdischen Familie.
Markus Emanuel Zaja, Jahrgang 1964, ist Klarinettist, mehrfacher Preisträger, zuletzt des Wettbewerbs „L’Chaim: Schreib zum jüdischen Leben in Deutschland!“ von 2022. Er war Lehrbeauftragter an der Bischöflichen Kirchenmusikschule und für das Fach Saxophon an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Seit vielen Jahren widmet er sich zusammen mit dem Leiter des FB Akkordeon an der Folkwang Musikschule der Stadt Essen und Musikverleger Ralf Kaupenjohann (geb.1958) auch der jüdischen Musik.

Die erste Wien-Reise fand im Herbst 2015 statt. Im Jahre 2016 haben sie eine Konzert- und Forschungsreise nach Wien 2016 unternommen, die den Anstoß zu ihren Recherchen und weiteren Forschungsreisen nach England und Polen gaben, um das Schicksal der jüdischen Familie von Feiga und Georg Zając dem Vergessen zu entreißen.

Zając bedeutet auf Polnisch Hase. Der Familienname des einen Autors ist ähnlich, zumal sich die Schreibweise auf den Migrationen der Vorfahren aus Galizien (Ostpolen) und Oberschlesien nach Niedersachen verändern konnte. Verwandt ist der Autor mit den aus dem galizischen Stanislau stammenden Feiga Zając (geborene Gründlinger) und Georg Zając, die am 9. April 1942 aus Wien in das bei Lublin liegende Durchgangsghetto Izbica deportiert wurden, nicht. Aus Izbica wurden die Juden in die naheliegenden Vernichtungslager Belzec und Sobibor geschickt, wo nur wenige überlebt hatten. Feiga, 1901 geboren, und der kleine Georg, geboren 1938, wurden ermordet, wie den Angaben der Gedenktafel, die an der Hauswand in der Wiener Haidgasse 5 zu entnehmen ist. Ich plädiere auch für solche Gedenktafeln für die ermordeten deutschen Juden statt der fragwürdigen „Stolpersteine“.

Es ist ein außergewöhnliches Buch, das vielstimmig erzählt und virtuos zusammengestellt eine Komposition ergibt, die an Jazzmusik erinnert - ein Werk des Duos, das unter dem Namen kẑrme auftritt. Dem Buch sind zwei CDS beigegeben, die die beiden Musiker während einer Wiener Reise im Jahre 2018 zusammen mit dem Schlagzeuger Titus Vadon sowie mit dem auf einem von ihm selbst erfundenen Instrument spielenden Johannes Groysbeck eingespielt haben. Sie begleiten rhythmisch die Reisenden auf ihrer Suche und dienen als Hintergrund zu der reichlich illustrierten Dokumentation des Lebenswegs der von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Menschen.

Das Buch könnte als Vorlage für einen Dokumentarfilm dienen, bei dem die Autoren als Musiker präsent sind, denn ihr erweitertes Konzept sah vor, „nicht nur in Archiven und im Internet nach Spuren der Vergangenheit, gar der Vernichtung zu suchen, sondern mit gegenwärtig in den alten Städten und Orten Lebenden zu musizieren. Wir wollen den Klang des Lebens wiederhören. Wir wollen miteinander reden und zuhören“ (S. 12-13). In einer Art „Call und Response“ nahmen sie ihre Dokumente an verschiedenen ungewöhlichen Orten auf, z. B. in einem kanalisierten Tunnel des Nebenflüsschens der Zaya, am Mistelbach, nördlich von Wien. Das Buch widmeten die beiden „Feiga, George und Abram Jechek Zając [dem es gelang, Zuflucht in England zu finden, während Feiga und der Kleine, nun George genannt, das Land verlassen mussten und dem Tod ausgeliefert wurden] und allen anderen Verfolgten und Ermordeten dieser dunkelsten Menschheitsepoche“. (S. 14)

FeidaDas Buch hat 6 Kapitel, in denen die Lebensetappen und komplette Biographien der Familien Gründlinger und Zając durch Ralf Kaupenjohann nachgezeichnet werden. Sie werden durch poetische, oft persönliche, Chor-artige Einfügungen mit Schilderungen der Situationen auf den Forschungs- und Konzertreisen als eine Art stilistischer Kontrapunkt aus der Feder von Markus Emanuel Zaja bereichert. In dem Buch werden manche Situationen beschrieben, in denen auch antisemitische Reaktionen nicht fehlen durften. Die biografischen Kapitel über Abraham Jechek Zając, Feige Gründlinger und die Familie Zając zeichnen deren Schicksal bis zur Deportation von Feiga und Georg nach Izbica. Ferner ist es Ralf Kaupenjohann gelungen, die weiteren Spuren der beiden geretteten Männer – Abraham Jechek Zając und Pinkas Chaim Gründlinger -, die noch in den 1980er Jahren am Leben waren, nachzuzeichnen: es finden sich Informationen zu Gründlingers Leben von seiner Geburt in Polen über die Stationen in Wien, dir Emigration nach Australien und schließlich London sowie von Abraham Jechek Zając von England nach Australien. Diese Lebensläufe sind reichlich durch Fotos, Briefe sowie Dokumente illustriert. Dies alles wurde zu einer vielfach exemplarischen dramatischen Geschichte von Verfolgung der jüdischen Bevölkerung von Wien, die Ghettoisierung und die Deportation. Nur einigen Wenigen gelang es, sich durch Zufall oder glückliche Umstände zu retten, während es bei anderen – wie Feiga und Georg - misslang.

Das Buch fällt, wie gesagt, aus dem üblichen Rahmen aber durch seine Vielstimmigkeit und solide Dokumentierung sowie die begleitende Musik ist es allen zu empfehlen, die sich mit dem Thema der Shoa beschäftigen und hier eine vorbildliche Recherche vorfinden, die zugleich mit originellen Kompositionen den Toten mehr als nur ein Gesicht wieder gibt. Bibliographie, Abbildungsverzeichnis und Personenregister runden diese beeindruckende Arbeit ab.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Markus Emanuel Zaja/Ralf Kaupenjohann, Feiga & George. Das Verschwinden der jüdischen Familie Zając in Wien, Augemus Musikverlag, Essen 2022, 437 S., 2 CDs, 79,00€.