Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie schnell vergeht die Zeit! Ehe wir noch richtig dazu gekommen sind, uns in die Zwanzigerliste einzulesen und eine eigene Meinung zur Auswahl zu gewinnen, hat die Jury schon den nächsten Schritt vollzogen und hat folgende sechs Romane für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert:
Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens (Luchterhand Literaturverlag, August 2023)
Necati Öziri: Vatermal (claassen, Juli 2023)
Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück (Klett-Cotta, März 2023)
Tonio Schachinger: Echtzeitalter (Rowohlt Verlag, März 2023)
Sylvie Schenk: Maman (Carl Hanser Verlag, Februar 2023)
Ulrike Sterblich: Drifter (Rowohlt Hundert Augen, Juli 2023)
Wir müssen uns mit der Auswahl noch detailliert beschäftigen. Jetzt geht es erst einmal darum, die heutige Meldung unters Volks zu bringen. Auf's erste sieht man, welche Verlage nicht mehr dabei sind, sonst aber zu den Favoriten gehörten: Suhrkamp, Fischer, Piper, Kiepenheuer....Aber dann drängt sich sofort auf, wer auf Autorenseite von denjenigen fehlt, die man für aussichtsreich hielt, nicht nur weiterzukommen, sondern sogar den Deutschen Buchpreis zu erringen.
Das ist iauf den ersten Blick
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung aus dem Suhrkamp Verlage! Ist der Roman zu erfolgreich, hat er schon zu viele Preise erhalten. Aber dürfte so etwas ein Ausschlagkriterium für den 'besten Roman' des Jahres sein.
Das ist auf den zweiten Blick
Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen, erschienen bei Klett-Cotta. Auch einer der herausragenden Romane!
Das ist auf den dritten Blick
Angelika Klüssendorf: Risse aus demn Piper Verlag. Sie kommt irgendwie immer zur Unzeit und hat mit dem Deutschen Buchpreis bisher kein Glück gehabt, weil sie es zwar immer wieder in die Sechser Liste geschafft hat, aber nie Preisträgerin wurde, obwohl sie, wenn man sich die Lister der Buchpreisträger seit 2005 anschaut, unbedingt dazugehört!
Anders sieht es mit Terézia Mora aus! Sie hatte für ihren Roman DAS UNGEHEUER 2013 schon einmal den Deutschen Buchpreis gewonnen! Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für Muna oder Die Hälfte des Lebens ?
Auch Tonio Schachinger ist mit Echtzeitalter aus dem Rowohlt Verlag weitergekommen und für Buchpreiskenner kein Unbekannter. Sein ungewöhnlicher Fußballerroman NICHT WIE IHR war 2019 auch bei den letzten Sechs dabei!
Wenn man sich die Verlage auf den fünften Blick noch einmal genauer anschaut, dann sieht man mit claassen und Luchterhand-Literarturverlage zwei Verlage, die nicht mehr selbständig sind, sondern in die großen Verlage Penguin und Ullstein gehören. Klett-Cotta ist zwar noch selbständig, aber gehört in die große Klett-Familie. Bleiben die großen Verlage Rowohlt und Hanser. Aber auch Rowohlt ist ja längst nicht mehr autonom, sondern Teil der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Bleibt also tatsächlich Carl Hanser in München als einziges mittelständisches Verlagsunternehmen, das sich noch im Besitz der Gründerfamilie befindet. Was also erst bei der Sechserliste einmal vielfältig erschien und für kleine Verlage sprach, sieht dann beim fünften Blick doch ganz anders aus! Es fehlen tatsächlich kleine Verlage, die sonst Buchpreisnominierte hatten und es fehlen - und dies ganz deutlich - die österreichischen und schweizerischen Verlage! In der Regel waren die bei der Sechserliste noch dabei. Zwar ist mit Tonio Schachinger wenigstens ein Österreicher dabei, aber eben keiner der vielen dortigen Verlage, was auch für die Schweiz gilt, wo Diogenes bei der Zwanzigerliste noch dabei war.
Was in der deutschen Literaturpresseberichterstattung normalerweise fehlt, und dies ist der sechste Blick, ist der Hinweis oder auch die Verschränkung der drei nationalen deutschsprachigen Literaturpreise: Deutschland, Österreich, Schweiz. Die beiden letzteren werden in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen. Wir wollen demnächst eine solche Verschränkung herstellen, denn es ist schon sehr interessant, welche Romane aus Deutschland oder der Schweiz beim Österreichischen Buchpreis nominiert sind und entsprechende beim Schweizer Buchpreis. Diesmal ist die Sechserliste ziemlich national.
Was fällt noch auf den siebten Blick auf? Vier Autorinnen zwei Autoren sind weitergekommen. Nicht der Rede wert. Durchaus aber, daß Rowohlt zweimal vertreten ist. Denn Rowohlt war lange in den Buchpreisnominierungen unter ferner liefen angesiedelt, nachdem der "echte Buchpreisträger" im ersten Jahr 2005 nicht zum Zuge kam, der bei Rowohlt veröffentlicht hatte: Unvergessen als besonderes literarisches Schmankerl DIE VERMESSUNG DER WELT (2005) von Daniel Kehlmann, der Humboldt und Gauß aufeinandertreffen läßt in einer Weise, wie man sie sich ergötzlicher kaum vorstellen kann. Die wenigsten wissen bei dieser fantasievollen Geschichte, daß es ein Treffen des Naturforschers mit dem Mathematiker tatsächlich gegeben hat, als Gauß bei Humboldt in Berlin zu Gast war, sogar wochenlang, vom 14. September bis 3. Oktober 1828. Jetzt sind wir aber weit abgekommen vom diesjährigen Buchpreis, um den es jetzt noch einmal geht!
Der Börsenverein teilt mit:
Jurysprecherin Katharina Teutsch, Freie Kritikerin: „Sechs Romane, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Sie spielen zu unterschiedlichen Zeiten, beschreiben unterschiedliche Milieus in unterschiedlichen Ländern und finden dafür die je überzeugendsten Ausdrucksmittel. Legt man diese Sechs aber nebeneinander, kommen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch. Dieses Gespräch handelt von unseren Prägungen: von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert. Darüber wird mit so viel Scharfsinn, aber auch Witz und Wärme geschrieben, dass wir uns nach der Lektüre dieser Shortlist nicht nur die Frage stellen, wo wir herkommen, sondern auch wo wir hinwollen.“
Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 196 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2022 und dem 19. September 2023 erschienen sind. Der Jury gehören neben Katharina Teutsch an: Shila Behjat (Journalistin und Publizistin), Heinz Drügh (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Melanie Mühl (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Lisa Schumacher (Steinmetz’sche Buchhandlung, Offenbach), Florian Valerius (Gegenlicht Buchhandlung, Trier), Matthias Weichelt (Zeitschrift Sinn und Form).
Mit dem Deutschen Buchpreis 2023 zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Der oder die Preisträger*in erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalist*innen erhalten jeweils 2.500 Euro. Die Preisverleihung findet am 16. Oktober 2023 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt und wird live übertragen. Interessierte können die Preisverleihung unter www.deutscher-buchpreis.de verfolgen.
Foto:
©Christof Jakob
Info:
Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur übertragen die Veranstaltung live über den Sonderkanal „Dokumente und Debatten“ im Digitalradio und als Livestream auf Dokumente und Debatten | deutschlandradio.de.
Hauptförderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.
Ab 4. Oktober 2023 werden Auszüge aus den Shortlist-Titeln in englischer Übersetzung und ein englischsprachiges Dossier zur Shortlist auf dem Internetportal www.new-books-in-german.com präsentiert.
Der Hashtag zum Deutschen Buchpreis lautet: #dbp23
Der österreichische Buchpreis 2023
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/29382-13-titel-nominiert
Der schweizerische Buchpreis 2023
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/29413-haller-lienhard-mueller-schwarz-zschokke