Serie: Deutscher Buchpreis 2023, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Beliebt sind sie, die Blinde Date Lesungen der Deutschen Bank in ihrem Frankfurter Stammsitz, den beiden Türmen, eine Lesung, die dieses Jahr einen regelrechten Lesemarathon einläutete. War doch mit ECHTZEITALTER von Tonio Schachinger aus Wien lange zuvor, nämlich mit der Bekanntgabe der letzten zwanzig diesjährigen Buchpreiskandidaten die Absprache zur Lesung getroffen worden, die nun die höheren Weihen durch seine Nominierung zu den letzten Sechs erhielt.
„Was für ein schöner Abend!“, freute sich die eine beim anschließenden Glas Wein und Bretzeln. „Ein toller Kerl“, sagte der andere, während die übrigen nickend erst mal tranken und aßen und sich über die lange Schlange freuten, die sich vor dem Büchertisch ringelte und einen immer längeren Schwanz erhielt. „Das macht der Casimir richtig gut, der macht Stimmung!“, ließ sich die Erste nicht abhalten zu kommentieren. „Der“ Casimir, Torsten Casimir hatte auch schon zuvor Buchpreiskandidaten moderiert, jetzt aber hatte auch er höhere Weihen erhalten, ist er doch inzwischen Sprecher der Buchmesse und als solcher Mitglied der Geschäftsleitung. Das spielte an diesem Abend keine Rolle, wohl aber seine große Bewunderung für ECHTZEITALTER und auch für den jungen Autor Anfang Dreißig, der etwas zuwegebrachte, was nicht alltäglich ist. Mit dem Erstling, NICHT WIE IHR, verlegt vom Wiener Verlag Kremayr & Scheriau ,war er als Außenseiter schon 2019 auf die Liste der letzten Sechs gelangt und nun mit dem zweiten Roman, inzwischen bei Rowohlt, der immer schwerer zu schreiben sein soll, schon wieder auf die Liste und schon wieder unter die letzten Sechs.
Erst einmal ging es aber gar nicht um den Roman, sondern um das Zehnjährige, daß nämlich schon zehn Jahre die Partnerschaft mit der Deutschen Bank dem Buchpreis nicht nur finanzielle Unterstützung bringt, sondern eine Reihe von Veranstaltungen und das auch in kleinen Buchläden, die sich das sonst nicht leisten könnten, Buchpreiskandidaten einzuladen.
Das Wohlwollen, die Sympathie und die Kenntnis des Romans machten Casimir im Nu zum zum Cicerone über Schachingers Leben, sein Schreiben und ECHTZEITALTER. Das ist das Interessante bei solchen Lesungen, daß das Private eine andere Dimension erhält. Denn wenn der Betroffene erklärt, weshalb er in New Delhi geboren wurde, daß sein Vater ein österreichischer Diplomat ist, seine Mutter lateinamerikanischer Herkunft, die in Wien studierte, dann ist das etwas anderes, als im Internet nachzuschauen. Auch seine Ausführungen über die Schwierigkeiten im literarischen Erfolg und den Lesungen das Lehramtsstudium abzuschließen, was nicht gelang, weshalb er sich exmatrikulierte, zu früh, denn mit Corona gab es dann Zeitzuschläge, die es ihm erlaubt hätten, abzuschließen, was er insgesamt schon als Niederlage empfand. Es ist einfach ein persönlicher Zungenschlag, den Casimir anschlug und der den Abend trug.
Tonio Schachingers ECHTZEITALTER heißt nach dem Computerspiel Echtzeit-Strategiespiel AGE OF EMPIRES, denn sein Held Till ist mit 15 Jahren schon eine Berühmtheit als jüngster TOP-Spieler der Welt. HALT. Schon wieder eine Berühmtheit in jungen Jahren. Es war doch in Schachingers Erstling der Fußballspieler auch Erste Liga England! Was hat Tonio Schachinger mit den jungen männlichen Berühmtheiten? Doch das muß man sich erst beim nächsten Roman fragen, denn hier geht es um das Großwerden des Till, die Pubertät und das Herauswachsen aus ihr, was verschärft wird, daß er die Schule eines renommierten Wiener Internats besucht, im Buch MARIANUM genannt, im Vierten Wiener Bezirk als THERESIANUM bekannt, und seinen Weg finden muß zwischen einem Klassenlehrer, der die deutschen Sekundärtugenden genauso zur verbindlichen Norm erklärt, wie die Klassikerlektüre, ein regelrechter Despot, wo doch Tills Leidenschaft dem Spielen im Internet gilt. Und dem mit dem Spiel Alleinsein auch.
Es dreht sich im Gespräch mit Schachinger um Erziehung, soziale Herkunft, Systemwechsel, wo wir herkommen und wo wir hinwollen, die Einbettung in der Welt und die Schwierigkeit, die eigene Blase zu verlassen und sich in fremden Welten zurechtzufinden, ja zu beheimaten. Grob gesprochen ist der Roman eine Schulerzählung, eine Internatsgeschichte, ein Jugendroman und doch so viel mehr.
Die zweite Hauptrolle spielt Dolinar, sein Klassenlehrer, Klassenvorstand für viele Jahre. Ein Lehrer aus Kärnten, was in Wien dann doch bedeutet, aus der Provinz, der einem zuerst wie ein preußischer Generalfeldwebel erscheint, der aber mehr ist als ein sadistischer Lehrer, der auch im Roman eine facettenreiche Entwicklung durchmacht, bzw. vielleicht immer derselbe war, aber durch die Augen des erwachsen werdenden Till auch Eigenschaften erhält, die für ihn wichtig und lebenswert sind. Eine Figur, die man sich gleich als Held eines eigenen Roman wünscht, so zwiespältig sind diese Eindrücke für den Leser. Für Till dagegen ist die Schule der Graus, er durchleidet jeden Tag, fürchtet sich vor dem nächsten, Überleben ist alles. Gleichzeitig trennen sich die Eltern, er lebt bei der Mutter, der Vater wird sterben und ganz am Schluß, als er volljährig ist, wird er sogar Erbe und wird immer bedauern, daß er die Zeiten mit seinem Vater nicht richtig nutzte.
Die Fragen, mit denen Casimir neben den Lesungen durch den Autor durch den Abend leitete, drehten sich auch um das Schreiben selbst, die Schriftstellerarbeit...aber Tonio Schachinger ging lieber immer wieder auf das Typische an Österreich ein. Daß dort ein Konservatismus herrsche, der jegliche Neuerungen auflaufen lasse, daß es einen Stillstand gäbe, der lähme, man unentwegt auflaufe.
Daß der zweite Teil des Romans ganz andere Töne anschlägt, daß sich Till verliebt, doch eher in das Konstrukt Mädchen als in eines der beiden, um die es geht….das alles wurde nur kurz angedeutet. Der Abend war längst überzogen. Aus.