schachingerSerie: Deutscher Buchpreis 2023, Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Immer dasselbe und doch jedesmal neu und anders: das sind die Verleihungen des Deutschen Buchpreises seit dem Jahr 2005, an denen ich jährlich dabei sein konnte und die nun auch digital das Zuschauen möglich macht.  Die Moderation wechselte nach zehn Jahren zu Cécile Schortmann, 3sat und Hessischer Rundfunk, die inzwischen Routine hat, ohne daß dies routiniert wirken würde. Sie war eine angenehme Begleiterin, vernünftige Fragen stellende, zugewandte Moderatorin. Das Wichtigste kommt wie immer zum Schluß der Stunde: Wer wird es diesmal? Es war ECHTZEITALTER. Denn eigentlich wird der ROMAN DES JAHRES gekürt, aber wie wir so sind, stehen die Preisträger, die Autoren im Vordergrund: Tonio Schachinger.

Und daß sein Buch von Rowohlt verlegt wurde, wollen wir gleich hinzufügen und auch unsere Freude, daß in diesem Jahr der Verlag Rowohlt bei den ausgewählten Büchern die größte Rolle spielte, was deshalb zu betonen wichtig ist, weil wir in der Vergangenheit die Romane von Rowohlt von den jeweiligen Jurys unterbelichtet,  unberücksichtigt fanden. Ein später Triumph, aber immerhin einer. Auch unser Favorit, DRIFTER von Ulrike Sterblich ist bei Rowohlt Hundert Augen erschienen. Daß sich die Jury hat entgehen lassen, einmal etwas literarisch wirklich Neues auszuzeichnen, spricht nicht für sie. Ich hätte noch verstehen können, wäre Anne Rabe DIE MÖGLICHKEIT VON GLÜCK ausgewählt worden, denn sie hat den tiefsten,  geschichtsträchtigsten, wichtigsten Roman geschrieben, authentisch aus Ostdeutschland, womit wir sofort in einer nur kurz angesprochenen, aber sicher öffentlich zu führenden Diskussion darüber sind, ob man dabei gewesen sein muß, um über etwas schreiben zu können. Beim Sachbuch würden wir alle NEIN sagen, daß einer ohne Kenntnisse des Sachverhalts schreiben dürfe, aber noch nicht mal dort muß oder kann der Autor dabeigewesen sein. 

hartwigDie Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig, ebenfalls Kulturjournalistin und Autorin, begrüßte für den Hausherrn, die Stadt Frankfurt (typisch, da fällt es einem heute doch auf, was man Jahrzehnte nicht in Frage stellte: daß es Hausherr heißt, während die Hausfrau ganz etwas anderes ist und in der Küche den Braten zu begießen hat), ging auf das 75 Jahre Jubiläum der Buchmesse ein, die ja nach dem Krieg  1948 in der Frankfurter Paulskirche als Bücherschau für Westdeutschland begann, während die Leipziger Buchmesse sich in der Sowjetzone fortsetzte. Sie ging auf die gegenwärtige Diskussion ein, welche Geschichten wir erzählen und wie wir sie erzählen und daß das Was und das Wie verzahnt gehört. Sie verstört, daß man über etwas, was man nicht persönllich erlebt habe, nicht schreiben dürfe. Nach welchen Maßstäben hier gemessen werde. Sie nahm damit die Diskussion auf, die spätestens seit den Anfeindungen der Übersetzungen durch Weiße einer schwarzen amerikanischen Lyrikerin aufkamen. Erstens dürfen nur Frauen eine Frau übersetzen, aber vor allem nur schwarze Frauen und wenn dann höchstens noch schwarze Männer, aber weder weiße Frauen noch weiße Männer. Die vor allem nicht. Erst wenn die Frage auftaucht, wie es denn mit gelben Männern und gelben Frauen als Übersetzer sei, kommt die kurze Erschütterung und Reflexion, ob da nicht doch etwas nun wirklich Rassistisches eingetreten sei. Denn der Begriff 'gelb' läßt einen solchen Kontext eher durchscheinen. 

Das waren aber nur die Gedanken beim Zuhören, weil Ina Hartwig damit den gegenwärtigen Diskussionspunkt ansprach, der konkret am Roman GITTERSEE von Charlotte Gneuß, die 1992 in Ludwigsburg geboren wurde und der auch nicht hilft, daß ihre Eltern aus der DDR flüchteten und sie selber in Dresden, Leipzig und Berlin studiert hatte. Ihr wird öffentlich abgesprochen, über die DDR schreiben zu dürfen. Wie gut, daß das nicht mehr Ludwig XIV. oder Karl der Große oder Kaiserin Sissi zu entscheiden haben, der Buchmakrt historischer Romane wäre leer gefegt. Gilt also das Verdikt, dabei gewesen zu sein nur für die Gegenwart? Dann aber fragt sich, kann nicht ein Gegenwärtiger oder eine Gegenwärtige sehr viel besser recherchieren als es die, die über vergangene Zeiten und längst gestorbene Personen schreiben und ihnen damit ein Gesicht geben, ihr eigenes, der Schriftsteller  Gesicht nämlich?

Höchste Zeit, im Kaisersaal wieder richtig zuzuhören, wo 
Forstetzung folgt noch heute

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