Abschluß der Rote-Königin-Trilogie von Juan Gómez-Jurado
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das mit der Trilogie ist schon mal falsch. Nach beiden Seiten. Denn, wie der Autor, der erfolgreichste Thrillerautor Spaniens im Nachhinein betont, gehören seine beiden Vorläufer, EL PACIENTE und CICATRIZ unbedingt dazu, so daß es sich bei der Reihe um einen Fünfteiler handelt. Und wenn ganz am Schluß das Ermittlerpaar Antonia Scott und Inspector Jon Gutiérrez auch die schlimmsten Attacken, einschließlich unter die Haut operierter Bomben überleben und gemeinsam auf die europäische Ebene in Brüssel wechseln, dann könnte man sich eine literarische Fortsetzung ihrer Polizeiarbeit gut vorstellen. Clever beantwortet der Autor diese Vermutung damit, daß es auf die Leser ankomme. Kaufen genug die bisherigen Bände, dann JA, denkt man sich.
Muß man DIE ROTE JÄGERIN und die SCHWARZE WÖLFIN kennen, um DER WEIßE SPIELER zu verstehen. JEIN. Die Handlung selbst ist in sich abgeschlossen und die beiden Protagonisten erinnern sich beim Nervenkitzel, wobei es immer um Minuten geht!, gegenseitig immer noch rechtzeitig der Vergangenheit, so sie gerade eine Rolle spielt, so daß auch die, die direkt in DER WEIßE SPIELER einsteigen, das Wichtigste mitbekommen. Das Allerwichtigste sind sowieso die beiden Ermittler, mit leichtem Vorrang für Antonia. Denn sie ist die Naturbegabung, die so schlau ist, so schnell rechnen, berechnen, kombinieren, schließen, visualisieren, phantasieren...kann, schneller als die Polizei erlaubt und Lösungen hat, bevor der Gegner sozusagen zu Ende gedacht und gesagt hat. Bis auf einen. Mr. White. Und um den geht es diesmal zentral.
Nach Jahren teilt er ihr mit: „Ich hoffe, Du hast mich nicht vergessen. Wollen wir spielen?“, was Antonia sofort als Kampfansage mit vielen Toten versteht. Problem: sie muß sich darauf einlassen, denn er hat ihren Kompagnon Jon verschleppt. Den bekommt sie bei ihrer Zusage sogar zurück, allerdings ist eine Bombe unter seiner Haut eingenäht, einschließlich einer GPS-Antenne, damit sie White jederzeit und von überall zünden kann. Dann nämlich, wenn Antonia nicht funktioniert, was sie umgehend tut. Mr. White will etwas sehr Seltsames:“Ich will, daß Sie drei Verbrechen aufklären und Gerechtigkeit walten lassen.“
Dazu teilt er ihr eine Madrider Adresse mit und die Zeitabgabe von sechs Stunden. Da dies dreimal hintereinander geschieht, hat also der Krimi eine innere Uhr, die die Spannung auf jeden Fall aufrecht hält. Die beiden rasen zur angegebenen Adresse. Dort war die erwachsene Tochter des Hauses vor vier Jahren ermordet worden und Antonia soll den unschuldigen, aber Verurteilten aus dem Gefängnis holen – und den Mörder entlarven. Zwar gelingt beiden, die Unschuld des Verurteilten zu beweisen, aber noch wissen sie nicht, wer der Mörder war, da die Mutter der Toten mauert. Und schon gibt’s den zweiten Fall: neue Adresse, ein Einfamilienhaus, sechs Minuten.
Da ist Mr. White einfallsreich, denn in sechs Minuten wird dort der Hausherr ermordet und seine Frau schwer verletzt, der es gelang, daß der Mörder nicht an die beiden kleinen Töchter herankommt. Die beiden Ermittler kommen also zu spät, aber früh genug, um den Einbruch und Mord verstehen zu können, nachdem sie den Rechner des Ermordeten mit dessen abgeschnittenen Finger zum Laufen brachten. Auch Polizeiermittler müssen mit harten Bandagen arbeiten, wollen sie den Verbrechern das Handwerk legen. Das ist ein interessanter Fall, weil sich später herausstellt, daß der Ermordete der gesuchte Mörder ist, der aber aus Not mordete, weil es sonst seiner Familie an den Kragen ging. Das alles wird von Mr. White inszeniert, der ein absoluter Sadist und gefühlloser Psychopath ist, und geschickterweise in ihre Telefone und andere elektronische Geräte Abhöreinrichtungen installiert hatte, was erklärt, warum er immer zum rechten Zeitpunkt mit der nächsten Nummern kommt, die diesmal in drei Minuten erledigt sein muß. Über diese Aufgabe schreiben wir jetzt nicht mehr, weil sie zur Erklärung des ganzen Spektakels beiträgt. Und am Schluß auch die übriggebliebenen Reste der ersten Bände erklärt und damit erledigt sind.
Doch, auf jeden Fall spannend, durch die ungewöhnliche Antonia auch auf Dauer interessant, denn solche Fähigkeiten zu besitzen und doch zu spät zu kommen, kann man als Leser nur dann aushalten, wenn sie am Schluß gewinnt und alles aufklärt, was sie tut.
Was mir am besten gefallen hat, hat ja eigentlich nichts mit dem Krimi, aber mit der Person Antonia zu tun. In jeder zugespitzten Situation fällt ihr ein Wort aus einer anderen Sprache ein: Mamihlapinatapai z.B. auf Yagan, Sprache der Ureinwohner von Feuerland oder Kariskirkira, die drei Millionen Menschen in Zentralasien sprechen. Immer bedeutet dies eine Wort ihren momentanen Gefühls- und Erkenntnisstand, für den man im Spanischen und im Deutschen viele Wörter braucht.
P.S.I
Nur mit einer Person hat sich der Autor vertan. Wir dürfen hier nicht verraten, um wen es sich handelt. Aber daß diese im Kreis der Ermittler eigentlich aber ein Handlanger des Mr. White ist, entdeckt die Leserin weit vor Antonia, was man nicht ihr, sondern dem Autor anlasten muß.
PS II.
Übrigens kommen immer wieder Zitate aus dem Buch von Kübler-Ross vor. Das hat mich verwundert. Die schweizer-US-amerikanische Psychiaterin und Sterbeforscherin hatte 1971 damals tief, breit und hoch diskutierte fünf Phasen des Sterbens veröffentlicht, die heute allesamt verworfen sind, im Buch aber von Jon ernsthaft diskutiert wird, woraufhin ihn Antonia aufklärt, wie umstritten diese heute sind. Aha.
Foto:
Umschlagabbildungen
Info:
Juan G´mez-Jurado, Der weiße Spieler, Thriller, Goldmann Verlag 2023
ISBN 978 3 442 49333 3