Literatur zum Auschwitzgedenktag, 27. Januar, Teil 6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir wollen heute das Thema weiten. Auch wenn die Judenverfolgung und Ermordung in deutschem Namen in den Konzentrationslagern in geradezu industrieller Weise, nämlich logistisch und massenhaft organisiert, einzigartig in ihrer kalten, bürokratisch durchgezogenen Art, ein ganzes Volk auslöschen zu wollen war und ist, sind doch die Themen wie Exil etwas, was alle die eint, die in ihren Ländern nicht leben können, weil sie nicht sprechen dürfen, schreiben und veröffentlichen dürfen oder sogar verschärft in Gefängnissen sitzen oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Und weil die deutsche Exilliteratur vielfältig und gleichzeitig bekannt ist, auch weil die DDR dieses Erbe, vgl. Aufbau-Verlag, sehr ernst nahm, wollen wir über Texte von heutigen Autorinnen und Autoren, die im Exil leben müssen, berichten.
Das deutsche PEN-Zentrum in Darmstadt hat sich seit jeher, eben auch aus deutscher Erfahrung heraus, sich um diejenigen Schriftsteller und Autorinnen gekümmert, die in ihren Ländern sich entweder nicht mündlich und schrfitlich äußern dürfen oder sogar verfolgt und inhaftiert werden. In einer großen Weltkarte werden jährlich zudem alle Länder deutlich markiert, immer, ob sie Pressefreiheit garantieren, was in den letzten Jahren stark abgenommen hat, Zensur und Verbote und die Gefahr für das eigene Leben nehmen also zu.
Auf der Frankfurter Buchmesse 2021 wurde seitens des PEN ein Buch vorgestellt, das die Vielfalt der Stimmen genauso ausweist, wie die individuellen Schicksale. 24 Autorinnen und Autoren werden vorgestellt und bei manchen sogar mit elf Texten von ihnen dokumentiert. Es sind nicht willkürlich ausgewählte Exilanten, sondern diejenigen, "die im Writers-in-Exile-Programm des deutschen PEN für ein bis drei Jahre 'Zuflucht in Deutschland finden", wie Regula Venske, damals Präsidentin des PEN-Zentrum Deutschlands in ZUM GELEIT, ausführt. Jedes Jahr wird auf einer Pressekonferenz über die Situation derer, die in Deutschland im Exil leben und schreiben, berichtet. Ist das nicht eine hilfreiche Geste, ihre kürzeren Texte hier lesen zu können? Hilfreich für diejenigen, deren Stimme in ihren eigenen Ländern verboten ist, hilfreich aber auch für uns, denn Augen, die von außen kommen, sehen Dinge, die wir übersehen, weil wir mit ihnen aufgewachsen sind und sie deshalb kaum wahrnehmen.
Der Beginn: Zhou Qing, den man sofort als Chinesen ortet, schreibt eine Kurzgeschichte BERLINER HASCHISCH STINKT NACH URIN. Da merkt man sofort auf. Was ist hier los.? Ein nachdenkenswertes Sprichtwort steht voran: Wege, die du nie gehen wolltest, wirst du noch oft gehen. Menschen, die die nie von Nutzen schienen, werden dir noch oft von Nutzen sein. Und dann folgt die Ich-Erzählung einem, der auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station Ruhleben (kenne ich!) steht und zu den Lautsprecherdurchsagen anmerkt, auch nach zehn Jahren könne er kein Deutsch, dann unvermutet in Erinnerungen auf das Wort 'Geschlechtsverkehr' kommt und etymologisch fragt: "Geschlechtsverkehr...bist du vielleicht ein Verkehrsmittel?" Eindeutig nein, aber das ist immer interessant, wie eine Sprache, mit der man aufwächst, für den Sprechenden nur aus ihrer Bedeutungslehre, der Semantik, besteht und nicht aus ihren etymologischem Herkommen. Fragen Sie mal einen Ausländer , der noch kaum Deutsch kann, was dies Wort bedeuten könne, wenn Sie 'zart' aussprechen! Sie werden sich wundern oder eben nicht, wenn Sie wissen, daß wir nicht die Aussprache hören, sondern die Bedeutung, ein Ausländer aber auf das Hören und nicht auf das Gemeinte angewiesen ist. Deutsche Sprache-schwere Sprache. Aber an dieser Stelle ist jede Sprache schwer. Da sind wir doch weit abgekommen vom eigentlichen Text. Aber das macht nichts, solche Bücher sind ja auch dazu da, daß man sich seine und ihre eigenen Gedanken macht.
Wir haben das Buch durchgelesen, man kann es nicht wiedergeben, aber zumindest weitersagen, daß die meisten Übersetzungen aus dem Arabischen und Türkischen sind, Russisch ist dabei, Georgisch auch, auch kubanisches Spanisch, aber nur einmal Persisch sowie Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen, was daran liegt, daß Bewohner ehemaliger Kolonialländer diese Sprachen noch beherrschen. Ach ja, Kurdisch auch. Aber es fällt doch auf, daß der PEN sich um den vorderasiatischen und afrikanischen Kontinent am meisten kümmern muß. Und dann zur Freude und Überraschung: ein Originaltext auf Deutsch eines Geflüchteten.
Das Nachwort von Leander Sukov ist für das Verständnis und für die politische Einschätzung ebenfalls sehr wichtig. Er war damals Vizepräsident des deutschen Pen-Zentrums und Beauftragter für Wirters-in Exile. Mehr als 60 Personen haben bisher das Programm, das es seit 1999 gibt, durchlaufen, und die Mittel, die der Bund für die Finanzierung der Geflüchteten und für die, die sie betreuen aufbringt, wachsen ständig, weil sich die Weltlage immer stärker in Richtung Unterdrückung von Meinung neigt. "Wir können aus ihren Lebensgeschichten lernen, Mut zu haben, jenen Mut, den es braucht im Kampf um insere und ihre Freiheit. Hoffen wir eigennützig, daß wir die Zufluchtsgewährenden bleiben und nicht die Zufluchtssuchenden werden.", schließt Leander Sukow. Das paßt gut in die gegenwärtige Zeit, wo erstmals, so glaubt man, eine Zivilgesellschaft durch Demonstrationen den Mund aufmacht und sich gegen die wehrt, die ein reinrassiges Deutschland zurückhaben wollen, das es im übrigen nie, nie, nie gab. Den Leuten fehlen einfach Geschichtskenntnisse. Sie wissen nicht, wie bunt das Leben und die Bevölkerung im Mittelalter und danach war. Erst die Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts faselten etwas von dem, was heute rechtslastige Gesinnung schon wieder von sich gibt. Mit uns nicht!
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Info:
PEN (Hrsg.), Stimmen aus dem Exil, In der nie endenden bernsteinfarbenen Nacht, Kursbuch Kulturstiftung, 2021
ISBN 978 3 96196 200 6